Die freundlichen Menschen von Kundus "Wir sind ein potenzielles Ziel"

Kundus. Auch dieses Mal ging wieder alles gut, aber nur knapp. Zu Dutzenden durchkämmten Soldaten der Saarlandbrigade bei Tagesanbruch eine Ortschaft bei Kundus, auf der Suche nach einem hundert Kilogramm schweren "Monster-Sprengsatz". Als die Minenräumer ihn fanden und in die Luft gingen ließen, blieb ein zwei Meter tiefer Krater zurück - und riesige Erleichterung

 Erinnerungsfoto aus dem Kriegsgebiet: Hochgerüstete Soldaten der Saarlandbrigade mit jungen Afghanen. Fotos: BundesWehr

Erinnerungsfoto aus dem Kriegsgebiet: Hochgerüstete Soldaten der Saarlandbrigade mit jungen Afghanen. Fotos: BundesWehr

Kundus. Auch dieses Mal ging wieder alles gut, aber nur knapp. Zu Dutzenden durchkämmten Soldaten der Saarlandbrigade bei Tagesanbruch eine Ortschaft bei Kundus, auf der Suche nach einem hundert Kilogramm schweren "Monster-Sprengsatz". Als die Minenräumer ihn fanden und in die Luft gingen ließen, blieb ein zwei Meter tiefer Krater zurück - und riesige Erleichterung. Denn Stunden zuvor waren die Fallschirmjäger unwissend über den eingegrabenen Sprengsatz marschiert. Der Auftrag hätte im Desaster enden können.Schon ein paar Mal sind Soldaten aus dem Saarland und aus Zweibrücken haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, seitdem sie im Januar an den Hindukusch aufbrachen. Einmal riss ein Sprengsatz vor den Augen der Fallschirmjäger zwei afghanische Polizisten in den Tod. Ein anderes Mal wurden Soldaten bei drei Anschlägen auf Patrouillen im 20-Minuten-Takt nur leicht verletzt. "Wir hatten bisher viel Glück", sagt Hauptfeldwebel Jochen Schmitt (Name geändert) am Telefon. "So soll es einfach bleiben." Der Zugführer, der 2008 bei einem Anschlag seinen Stellvertreter verlor, weiß, dass es jeden Augenblick mit dem Glück vorbei sein kann. Die Stimmung sei dennoch gut: "Die Jungs sind so motiviert, als ob sie noch ganz frisch wären."

Vier von Schmitts Kameraden sind bei Anschlägen seit Januar so schwer verletzt worden, dass sie nach Deutschland ausgeflogen wurden. So tragisch jede Verwundung für sich genommen ist (einem Soldaten zerfetzte ein Sprengsatz zum Beispiel beide Füße): Gemessen an den vier Gefallenen im bisher schwärzesten Jahr 2008 ist das bislang eine ordentliche Zwischenbilanz. Bislang - denn niemand weiß, ob es so bleibt. Erst vor Tagen haben die Taliban den Beginn ihrer Frühjahrsoffensive angekündigt. "Alle sind alarmiert und darauf eingestellt, dass Mai und Juni schwere Monate werden können", sagt der Kommandeur der Saarlandbrigade, General Eberhard Zorn, der in Saarlouis geblieben ist, mit seinen hohen Offizieren aber in Kontakt steht. Um sie bei Laune zu halten, schickt er ihnen per Feldpost regelmäßig Briefe, Fotos und Zeitungsausschnitte aus der Heimat.

Die 640 Fallschirmjäger aus Lebach, Saarlouis, Merzig und Zweibrücken haben in Afghanistan zwei Aufgaben: Etwa 60 Mann aus Lebach und Saarlouis bilden die afghanische Armee aus, eine echte Herausforderung (siehe Interview). Der weitaus größere Teil des Kontingents - aus Zweibrücken und Lebach, darunter auch Schmitt - gehört zwei Kampfverbänden an, die gemeinsam mit den Afghanen Dorf für Dorf von Taliban befreien, Sprengsätze entschärfen und Außenposten zur Überwachung wichtiger Straßen, Brücken oder Dörfer bauen. In den Ortschaften stoße man kaum auf Gegenwehr, sagt Hauptfeldwebel Schmitt, "eher sogar auf freundliche und sympathische Menschen, mit denen man sich auch gerne und lange unterhalten kann und sollte".

Auf den Patrouillen, die häufig über eine Woche dauern, müssen die Soldaten große Entbehrungen hinnehmen. Sie haben kein Bett, kein fließendes Wasser, keine Toilette (stattdessen einen Klappstuhl mit Plastiktüte, die anschließend vergraben oder verfeuert wird) und kein Telefon. Genächtigt wird häufig im Freien, das Wasser zum Waschen kommt aus der Trinkflasche, zu essen gibt es immer die gleichen Fertiggerichte. "Die Lebensumstände sind mega-rustikal", sagt General Zorn. Für Abwechselung sorgt eine betagte Hundedame, die erst vor einigen Tagen zehn Welpen bekam. Um die Einhaltung der Hygiene-Vorschriften kümmert sich eine Merziger Bundeswehr-Ärztin.

Langsam neigt sich der Einsatz dem Ende zu. 57 Tage sind es für Schmitt noch, und täglich steigt die Vorfreunde auf Zuhause - sein neues Zuhause. Als er im Januar in den Einsatz flog, stand erst der Rohbau. Wenn Schmitt nach Hause kommt, soll alles fertig sein. Und die Welpen, so berichtete ein Offizier aus Kundus der SZ, "sollen bis dahin so kräftig sein, dass sie sich draußen im Distrikt neue Freunde suchen können".Herr Oberstleutnant, wie läuft die Ausbildung der Armee?

Blank: Sehr langsam. In der ANA gibt es teilweise eine sehr hohe Analphabetenquote. Viele Soldaten können sich daher nicht über das Lesen selber Wissen aneignen. Wir können da keine mitteleuropäischen Maßstäbe anlegen. Und die afghanischen Soldaten können Sie im Schnitt nur drei bis vier Stunden geistig belasten. Effektives Lernen ist für sie ein Fremdwort. Das macht die Ausbildung spannend, weil man sehr kleine Portionen zuteilen muss.

Ist das Ihr größtes Problem?

Blank: Es gibt noch ganz andere Probleme. Man muss ganz klar sagen: Die ANA hat ein großes Problem mit Vetternwirtschaft und Korruption. Das Problem ist, dass sie oftmals nicht unbedingt die richtigen Leute an den wichtigen Stellen haben.

Werden Ihre hochqualifizierten Offiziere und Feldwebel nicht ungeduldig, wenn alles so schleppend vorangeht?

Blank: Meine Männer sind einsatzerfahren, kennen also die Verhältnisse vor Ort. Aber es war schon erforderlich, ihnen von Anfang an zu sagen: Freunde, das ist hier kein Kampfeinsatz, ihr müsst zurückschrauben. Das funktioniert ganz gut. Die Stimmung ist gut.

Wie gefährlich ist Ihr Alltag?

Blank: Wir sind natürlich ein potenzielles Ziel für Selbstmordattentäter. Damit muss man einfach umgehen. Aber Gefechte in dem Sinn hat es noch nicht gegeben. Eines unserer Teams wurde mal von einem Aufständischen beschossen, aber ohne Folgen. Vor Wochen hatten wir einen Vorfall, bei dem unser afghanisches Bataillon einen Raum einnehmen sollte und mit dem Geheimdienst aneinandergeraten ist. Dann haben die sich vor die Füße geschossen. Mein Auto hat zwei Löcher abbekommen, aber es ist nichts passiert.

Im Februar hat ein afghanischer Soldat drei deutsche Soldaten erschossen. Er gehörte zu dem Bataillon, das Sie ausbilden. Hat dies das Vertrauensverhältnis zu den afghanischen Soldaten belastet?

Blank: Nicht nachhaltig. Aber es gab zwei, drei meiner Soldaten, die in den ersten Stunden danach etwas verhalten waren. Ich habe denen ganz klar gesagt: Das ist unser Job, damit müssen wir umgehen. Die haben sich geschüttelt, und damit war es wieder in Ordnung. "Die Lebens- umstände sind mega- rustikal."

General

 Thomas Blank

Thomas Blank

 Erinnerungsfoto aus dem Kriegsgebiet: Hochgerüstete Soldaten der Saarlandbrigade mit jungen Afghanen. Fotos: BundesWehr

Erinnerungsfoto aus dem Kriegsgebiet: Hochgerüstete Soldaten der Saarlandbrigade mit jungen Afghanen. Fotos: BundesWehr

 Thomas Blank

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Eberhard Zorn

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