Die Frau der leisen Töne in tiefer Bedrängnis

Düsseldorf. "Der Vorwurf der Täuschung trifft mich ins Mark." Solche persönlichen und deutlichen Worte sind von Annette Schavan (CDU) selten zu hören. Die Bundesbildungsministerin ist eine Frau der leisen, wohl abgewogenen Töne. Doch seit einigen Monaten ist alles anders

 Politiker, Lebemann und Medienmogul: Silvio Berlusconi ist alles. Und in Wahlkampfzeiten kommt ihm das zugute. Foto: Montani/dpa

Politiker, Lebemann und Medienmogul: Silvio Berlusconi ist alles. Und in Wahlkampfzeiten kommt ihm das zugute. Foto: Montani/dpa

Düsseldorf. "Der Vorwurf der Täuschung trifft mich ins Mark." Solche persönlichen und deutlichen Worte sind von Annette Schavan (CDU) selten zu hören. Die Bundesbildungsministerin ist eine Frau der leisen, wohl abgewogenen Töne. Doch seit einigen Monaten ist alles anders. Ausgerechnet mit Plagiatsvorwürfen macht die oberste Bildungsverantwortliche des Landes mehr Schlagzeilen als mit ihren politischen Projekten. Und jetzt ist das undenkbare Wirklichkeit geworden: Schavan steht ohne Doktortitel da. Der Dekan der Philosophischen Fakultät, Bruno Bleckmann, sagte gestern Abend in Düsseldorf, dass in Schavans Dissertation "in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden sind". Im Spätherbst ihrer Karriere muss die 57-Jährige um ihr politisches Erbe bangen.

Dabei hat Schavan durchaus wichtige Themen angepackt: den Hochschulpakt etwa oder einen deutlichen Budgetzuwachs für Bildung und Forschung. Auch hat sich die CDU-Politikerin um eine Abschaffung oder zumindest Aufweichung des Kooperationsverbots eingesetzt. Dass Bund und Länder in Wissenschaftsfragen kaum zusammenarbeiten dürfen, hält die Ministerin für unsinnig.

Ihre Überzeugungsarbeit leistet die 57-Jährige vor allem hinter den Kulissen und nur selten in öffentlichen Äußerungen. Schavan ist für ihre geräuscharme Vorgehensweise bekannt. In der Öffentlichkeit geht sie damit oft unter. In Ranglisten der Politiker landet sie in puncto Bekanntheit immer weit hinten.

Schavan überlässt schneidige Interviews über die Lage der Nation oder der Koalition lieber Regierungs- und Parteikollegen, das Gleiche gilt für das Tingeltangel durch Talkshows. Ihre Sprache ist bedacht, der Ton sachlich. Lockerheit leistet sie sich nur in kleiner Runde. Zu leise, zu farblos, zu wenig präsent finden sie manche. Das ärgert Schavan nicht. Im öffentlichen Leben bekomme man eben "bestimmte Etiketten" verpasst und die ließen sich nicht so schnell abschütteln. "Es geht nicht nur leise", räumt sie ein, "aber lieber geräuschlos und erfolgreich, als viel Rauschen und wenig Ergebnisse."

Gut vernetzt

Schavan widmet sich bislang mit Inbrunst den Gebieten, auf denen sie im Rahmen des Föderalismus etwas ausrichten kann. In der Wissenschaft ist sie sehr gut vernetzt, hat dort ihre größten Anhänger. Kritik musste sie sich hingegen anhören, weil sie erst spät auf die gegen die Bachelor- und Masterreform protestierenden Studenten zuging. "Wer im öffentlichen Leben steht, wird kritisiert", sagt Schavan. Und: "Wer Kritik nicht verträgt, der wird nicht lange im öffentlichen Leben bleiben." Sie aber ist schon lange dabei - seit 2005 als Bundesbildungsministerin, davor zehn Jahre als Kultusministerin in Baden-Württemberg. Bis 2012 war Schavan 14 Jahre lang CDU-Bundesvize.

An mangelnder Nähe zu Parteichefin Angela Merkel liegt der Rückzug aus der Parteispitze aber nicht. Schavan ist Vertraute der Kanzlerin, kaum jemand im Kabinett ist ihr näher. Beide Frauen sind Quereinsteigerinnen, keine Partei-Urgewächse. Und beide mussten sich gegen jede Menge politische Kungeleien unter Männern durchsetzen.

Ernster als manch andere in der CDU nimmt Schavan das "C" im Namen ihrer Partei. "Christen sollten sich dem öffentlichen Leben stellen", sagt die Theologin, "das ist der stärkste Grund für meine politische Arbeit." Religion sei für sie "Kraftquelle" - und ein "Gegengewicht" zu ihrem hektischen Alltag in der Politik.

Mit dem Verlust ihres Doktortitels steht Schavan nun vor einem Scherbenhaufen. Die bislang skandalfreie Politikerin wird das Etikett Plagiat nicht mehr los und ihre Erfolge sind in den Schatten gestellt. Ihre zurückhaltende Art muss sie jetzt aufgeben. Es geht jetzt um Schavans Amt und das, was nach einer langen Karriere von ihr in Erinnerung bleibt.Foto: dpa

Meinung

Eine persönliche Katastrophe

Von SZ-Redakteur

Bernard Bernarding

Es waren wohl keine "Flüchtigkeitsfehler", die Annette Schavan in ihrer Dissertation unterlaufen sind. Der Fakultätsrat der Uni Düsseldorf hat sich seine Entscheidung nicht einfach gemacht, doch am Ende stand ein klares Votum - das für Schavan zur persönlichen Katastrophe wird. Ausgerechnet die Politikerin, die ein klassisches Beispiel für Seriosität und Aufrichtigkeit war, die immer korrekt und penibel auftrat, muss jetzt mit der Schande der Schummlerin leben. Die politische Bedeutung dieses Vorgangs ist klar: Schavans politische Karriere ist beendet. Sie wird zurücktreten müssen.

 "Tief getroffen" fühlte sich Bildungsministerin Annette Schavan nach eigenen Worten von den Täuschungsvorwürfen. Foto: dpa

"Tief getroffen" fühlte sich Bildungsministerin Annette Schavan nach eigenen Worten von den Täuschungsvorwürfen. Foto: dpa

Es ist keine Frage: Eine Bildungsministerin, die mit der akademischen Höchststrafe bedacht wird, kann nicht am Kabinettstisch sitzen und unbefangen mit der Welt der Wissenschaft kommunizieren. Das weiß auch die Kanzlerin, die ihrer Freundin stets den Rücken gestärkt hat. Doch schon wie beim Überflieger Theodor zu Guttenberg (für dessen Plagiatsverhalten Schavan sich "schämte") wird es zum Rücktritt keine Alternative geben. Das kommt Angela Merkel höchst ungelegen, muss sie doch im Wahljahr das Kabinett umbilden. Verlust von Niedersachsen, Kostenexplosion beim Prestige-Projekt Stuttgart 21, Rücktritt Schavan: Das Jahr 2013 fängt wahrlich nicht gut an für die Kanzlerin.

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