Die FDP ist schockiert und tief verunsichert

Berlin. Der Heilige Geist ist über Pfingsten nicht auf die Freidemokraten herniedergekommen, im Gegenteil. Seit das "Politbarometer" am Wochenende für die Liberalen in der politischen Stimmung nur noch drei Prozent maß, herrscht babylonisches Sprachgewirr. Interviews zahlreicher Politiker aus der zweiten Reihe brachten alarmierte, aber gegensätzliche Analysen hervor

Berlin. Der Heilige Geist ist über Pfingsten nicht auf die Freidemokraten herniedergekommen, im Gegenteil. Seit das "Politbarometer" am Wochenende für die Liberalen in der politischen Stimmung nur noch drei Prozent maß, herrscht babylonisches Sprachgewirr. Interviews zahlreicher Politiker aus der zweiten Reihe brachten alarmierte, aber gegensätzliche Analysen hervor. Die Führung um Parteichef Guido Westerwelle schwieg derweil in einer Art Schockstarre.

Die Situation war typisch für so manche Tage, seit die FDP mitregiert. Guido Westerwelle reiste durch den Nahen Osten und wurde seiner Verantwortung als Außenminister gerecht; Ex-Generalsekretär Dirk Niebel weilte derweil in Haiti, um die Verwendung der Gelder seines Entwicklungshilfeministeriums für die Erdbebenopfer zu begutachten. Beide konnten sich zu innenpolitischen Themen nicht äußern, und der neue Generalsekretär Christian Lindner wollte nicht, um das Feuer nicht noch anzuheizen. So übernahmen andere das Kommando.

Der von Westerwelle vor vier Jahren in die Friedrich-Naumann-Stiftung weggelobte einstige Partei- und Fraktionschef Wolfgang Gerhardt (Foto: dpa) etwa. Er fand, dass die FDP "genug Fehler gemacht" habe, unter anderem den, sich von Kanzlerin Angela Merkel nach der NRW-Wahl die Aussetzung der Steuerreform diktieren zu lassen. "Da haben wir nicht klar genug widersprochen." Es fehle der FDP derzeit "eine Markenpflege durch Selbstvertrauen, Klarheit und Bescheidenheit". Dass dies auf Westerwelle zielte, wurde deutlich, als Gerhardt gefragt wurde, ob der Parteichef an der Wahlniederlage von Düsseldorf schuld sei. Nicht allein, meinte Gerhard, aber: "Ich bin sicher, dass auch der Vorsitzende gespürt hat, dass sein Umgang mit dem Thema Hartz IV nicht unbedingt in allen Teilen vorteilhaft war."

Offener Widerstand gegen Westerwelle kam auch von seiner Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die Justizministerin sprach sich gegen die "Ausschließeritis" bei Koalitionen aus, forderte also die Bereitschaft etwa in Nordrhein-Westfalen auch über Ampel- oder Jamaika-Bündnisse nachzudenken. "Die Partei muss sich öffnen", sagte sie. Beginnt in der FDP nun die "Guidodämmerung", wie die "Welt am Sonntag" schon titelte? Im "Politbarometer" sackte der Parteichef noch einmal von Minus 1,1 auf Minus 1,3 ab, ein absoluter Negativrekord für einen deutschen Außenminister. Zum Vergleich: Gregor Gysi von den Linken, der einzige Politiker, der sonst noch im Minusbereich ist, verbesserte sich auf Minus 0,6. Dass Westerwelle verunsichert sei und wie neben sich stehend wirke, berichten Teilnehmer von internen Runden. Die Forderung nach einer Trennung von Ministeramt und Parteivorsitz wird immer häufiger erhoben, aber vorerst nur hinter vorgehaltener Hand. Aus gutem Grund: Am Freitag in der Bundestagsdebatte über das Euro-Rettungspaket zeigte sich bei Westerwelles Auftritt wieder einmal, dass die FDP derzeit niemand Gleichwertigen aufzubieten hat. Lindner, der das auch könnte, ist noch zu kurz im Amt.

Das "Grummeln", von dem Gerhardt sprach, bleibt daher ziemlich ziellos, nicht nur personell, sondern auch inhaltlich. Während Gerhardt zum Beispiel forderte, dass die FDP ihr Steuersenkungsthema nicht aufgeben dürfe, verlangte der langjährige Chef der Jungen Liberalen, Johannes Vogel, genau das. Die Partei müsse ihre Prioritäten neu bestimmen, Richtung Stabilisierung des Euro und der öffentlichen Haushalte. Fraktionschefin Birgit Homburger hingegen fand, dass die FDP immer schon eine breite Agenda gehabt habe; nur sei das eben nicht richtig wahrgenommen worden. Also doch irgendwie alles richtig gemacht? Dagegen sprechen die Zahlen des "Politbarometers". "Der FDP fehlt derzeit eine Markenpflege durch Selbstvertrauen, Klarheit und Bescheidenheit."

Ex-FDP-Chef

Wolfgang Gerhardt

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