„Die Extremisten werden am Ende die Stärkeren sein“

In der Nacht zu Dienstag haben die EU-Außenminister das Waffenembargo für Syrien gekippt. Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour (89) sieht dies kritisch, weil er befürchtet, dass die Waffen in die Hände von Extremisten fallen könnten. Mit ihm sprach SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn.

Herr Scholl-Latour, Sie kehren gerade von der türkisch-syrischen Grenze zurück. Was haben Sie vor Ort gemacht?

Scholl-Latour: Ich bin nicht so weit reingegangen, war in der Grenzregion, wo die sogenannte Befreiungsarmee steht, und habe mich dort mit Leuten getroffen. Weiter nach Syrien reinzugehen ist im Moment zu heikel, weil die Befreiungsarmee keine tatsächliche Kontrolle über das Land hat.

Es ist ja überhaupt schwer zu erkennen, wo die Frontlinien verlaufen . . .

Scholl-Latour: Die großen Provinzstädte sind alle noch in Händen der Regierung. Drumherum sind sie relativ eingekreist. Die Situation ist sehr undurchsichtig.

Was bedeutet die Aufhebung des Waffenembargos durch die EU-Staaten?

Scholl-Latour: Na ja, das ist eine Beteiligung der Europäer, die völlig überflüssig ist. Waffen kommen ja sowieso zu den Aufständischen nach Syrien und zwar ganz offen über die türkische Grenze. Ich habe selbst gesehen, wie die Leute über die Grenze gehen, um in Syrien Benzin einzukaufen, weil es dort immer noch wesentlich billiger ist als in der Türkei. Da gehen auch die Kämpfer der Freien Syrischen Armee, die ein ziemlich bunter Haufen sind, rüber, um zu kämpfen und ziehen sich dann wieder auf türkisches Gebiet zurück.

Die Waffen für die syrischen Rebellen kommen also aus der Türkei?

Scholl-Latour: Aus der Türkei, aber auch aus dem Irak und Saudi-Arabien. An Waffen für die Rebellen dürfte es daher eigentlich nicht fehlen. Ich weiß nicht, was wir denen noch liefern sollen.

Die Rolle der EU in diesem Konflikt ist nicht gerade ruhmreich, eine gemeinsame außenpolitische Linie gibt es nicht.

Scholl-Latour: Wenn ich zu entscheiden gehabt hätte, hätte ich bei Waffenlieferungen auch nicht mitgemacht. Es besteht nämlich weiterhin die Gefahr, dass die Waffen in die Hände der Extremisten kommen. Die machen Schätzungen zufolge etwa 40 Prozent der Kämpfer aus - Dschihadisten, Salafisten und Al-Qaida-Kämpfer. Die werden am Ende auch die Stärkeren sein, weil sie bereit sind, sich aufzuopfern. Das sind absolut fanatische Leute.

Gibt es überhaupt eine Lösung für diesen Konflikt?

Scholl-Latour: Ich sehe zurzeit keine, schon gar nicht politisch. Eine Prognose für die Zukunft ist im Moment nicht möglich.

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