Die EU sucht ihre Crew

Brüssel · Schon der Start war holprig. Das Gipfeltreffen in Brüssel musste erst mal um zwei Stunden verschoben werden. Hinter den Kulissen konnten sich die Länder nicht auf Kandidaten für die zu besetzenden Spitzenposten einigen.

Wenn 28 Staats- und Regierungschefs versuchen, sich auf die Besetzung von drei bis vier Top-Jobs in der EU zu verständigen, kann aus einem geplanten Abendessen schon mal ein Nachtmahl werden. So begann der Gipfel gestern Abend denn auch mit erheblicher Verspätung. Bis zuletzt hatten die EU-Spitzen miteinander gerungen, wer sie selbst am Ende beerben soll. Außer dem am Vortag vom Europäischen Parlament gewählten Jean-Claude Juncker (59), der am 1. November den Chefsessel der neuen Kommission übernehmen wird, stand nur wenig fest.

Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt (47) sah lange wie die geborene Kandidatin für den Posten des EU-Ratspräsidenten (bisher Herman Van Rompuy) aus. Kurz vor der Sitzung wurden erste Stimmen laut, die sich gegen die frühere EU-Abgeordnete aussprachen, weil diese aus einem Nicht-Euro-Land stamme. Sie selbst sagte vor dem Treffen: "Ich bin keine Kandidatin, ich habe es mehrfach gesagt, und ich füge nichts hinzu." Die Sozialdemokraten gingen trotzdem mit ihr ins Rennen.

Währenddessen ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel schon mal verbreiten, man müsse sich vielleicht nicht unbedingt auf diesem Gipfel schon auf ein vollständiges Personal-Tableau einigen. "Es gibt den Wunsch, für jeden europäischen Posten jemanden zu finden, der das Richtige für die Europäische Union tut", teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Doch da hatten die unterschiedlichen Lager bereits ihre Kandidaten und Argumente in Stellung gebracht. Italiens Premier Matteo Renzi forderte "auf jeden Fall" einen der Chefsessel für sein Land. Doch sein Drängen, Außenministerin Federica Mogherini (41) zur neuen Außenbeauftragten zu ernennen, traf auf den erbitterten Widerstand der Konservativen. "Wir brauchen jemanden, der Erfahrung in der Außenpolitik hat und der vor allem nicht für den Kreml ist", winkte für die baltischen Staaten Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite ab. Die Christdemokraten attackierten Juncker derweil wegen dessen Ankündigung, den sozialistischen französischen Finanzminister Pierre Moscovici zum neuen Währungskommissar machen zu wollen. "Das geht gar nicht", hieß es in Berlin und Brüssel . "Wer den Etat seines Landes nicht in Ordnung bringen kann, darf nicht für die Euro-Zone sprechen." Und während so im Laufe des Tages ein Name nach dem anderen "verbrannt" wurde, brachten sich einige Kandidaten eher stillschweigend in Stellung, so als habe ihr Aufrücken gar nichts mit dem Personalkarussell zu tun. Zum Beispiel Jyrki Katainen (42), ehemaliger konservativer finnischer Ministerpräsident. Er rückte ohne großes Aufsehen gestern zum neuen Währungskommissar auf, weil sein Vorgänger Olli Rehn ins Europäische Parlament gewechselt ist. Drei weitere Kommissare wurden ebenfalls ersetzt. Erstaunlich still war es in den vergangenen Wochen auch um den polnischen Premier Donald Tusk (57) geworden, der seit langem als Wunschkandidat Merkels für das Amt des Ratspräsidenten gilt, auch wenn er nur bruchstückhaft Englisch spricht.

Als die Staats- und Regierungschefs am Abend schließlich zusammenkamen, wollte niemand darauf wetten, dass es in dieser Nacht zu einem Ergebnis kommen würde. "Hier ist derzeit wohl alles möglich", erklärte der schwedische Regierungschef Fredrick Reinfeldt (48). "Fast alles", ergänzte er dann. Auch er stand schon auf der Liste der Van-Rompuy-Nachfolge. Aber da Schweden nicht zur Euro-Familie gehört, wurde er irgendwann wieder gestrichen.

Diplomaten teilten dann am Abend mit, der Machtkampf in und um Brüssel werde weitergehen: "Wir brauchen wohl noch einen EU-Gipfel." Die Beschlüsse könnten auf August verschoben werden.

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HintergrundBei der Vergabe der EU-Posten spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Entscheidend ist aber der Parteienproporz. Da die Konservativen mit Juncker den Kommissionschef stellen, muss ein anderer Top-Job (Außenbeauftragter, Ratspräsident) an die Sozialdemokraten gehen, die mit den "Schwarzen" eine informelle Koalition im EU-Parlament bilden. Zudem soll mindestens eine Frau in der EU-Führungsriege sein - und auch die Ost- und Südeuropäer wollen stärker vertreten sein. ing

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