Die eiserne Angela

Symbolträchtiger geht's in diesen Zeiten eigentlich nicht: Die Uhr im Bundestag springt tatsächlich auf fünf vor zwölf, als Angela Merkel das Plenum betritt. Die Kanzlerin stellt ihre orange Tasche auf der Regierungsbank ab, kramt die schwarze Kladde mit ihrer Erklärung zur Eurokrise hervor und macht sich schnurstracks auf den Weg. Ausgerechnet zur Opposition

Symbolträchtiger geht's in diesen Zeiten eigentlich nicht: Die Uhr im Bundestag springt tatsächlich auf fünf vor zwölf, als Angela Merkel das Plenum betritt. Die Kanzlerin stellt ihre orange Tasche auf der Regierungsbank ab, kramt die schwarze Kladde mit ihrer Erklärung zur Eurokrise hervor und macht sich schnurstracks auf den Weg. Ausgerechnet zur Opposition.Sie geht zu SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der gerade mit seinem obersten Haushälter Carsten Schneider zusammensteht, und begrüßt beide. Auch diesen Herren hat es die Kanzlerin zu verdanken, dass sie am Abend mit breiter Rückendeckung des Bundestages die schwierigen und von aller Welt beobachteten Verhandlungen in Brüssel zur finanztechnischen Maximierung (Hebelung) des Euro-Rettungsschirms EFSF führen kann. Dass sie die Hilfe der Opposition anerkennt, will Merkel mit ihrem Kurzbesuch auf der linken Seite zeigen. Dem gemeinsamen Entschließungsantrag von Union, FDP, SPD und Grüne stimmen 503 von 596 Abgeordneten zu, die Koalition erreicht sogar die Kanzlermehrheit von 311 Stimmen, und zwar exakt. Merkel selbst versteht das Votum als Signal an die anderen Staats- und Regierungschefs, "dass Deutschland parteiübergreifend das europäische Einigungswerk schützt", wie sie sagt. Das klingt nach eiserner Angela. Von Merkel weiß man, dass ihre Reden im Verlauf meist stark an Emotion und Elan verlieren. Doch diesmal ist es andersherum. Das Thema ist so wichtig, dass die Kanzlerin gerade zum Schluss ungewohnt dramatisch wird. Das Risiko für Deutschland bei der "Maximierung" des Euro-Rettungsfonds von 440 Milliarden Euro auf mindestens ein Billion sei vertretbar. Sie ergänzt: "Es wäre nicht vertretbar, das Risiko nicht einzugehen." Dann mahnt sie, man solle nicht glauben, dass Frieden und Wohlstand in Europa "selbstverständlich ist, das ist es nicht". Die Lage sei vielmehr "existentiell". Viele Abgeordnete verzichten diesmal darauf, wie sonst bei Debatten in Zeitungen und Unterlagen zu blättern oder mit dem iPad zu hantieren. Sie hören Merkel aufmerksam zu. Zwischenrufe gibt es nur aus der Linksfraktion, die den Rettungsschirm generell ablehnt.

Umso verblüffter wirkt die Kanzlerin, als sie die ersten Sätze von Steinmeiers Rede hört. Hat sie nicht gerade die Bewältigung der Schuldenkrise als eine nationale, gar historische Aufgabe beschworen? Und was macht der SPD-Fraktionschef? Er verpasst Merkel eine Watschen nach der anderen: Ob bei der Griechenlandhilfe oder den Rettungsschirmen, das Merkelsche Gesetz sei in den letzten 18 Monaten gewesen, "je bestimmter sie etwas ausschließen, desto sicherer kommt es". Die Koalition benötige die Hilfe der Opposition, "um sich von den eigenen Irrtümern zu verabschieden". Das sitzt. Beim Euro erfolge deshalb eine "Operation am offenen Herzen. Jeder vernünftige Mensch kann nur hoffen, dass diese Operation gelingt", erklärt Steinmeier.

Die Opposition ist nun mal nachhaltig vergrätzt, dass sie in den letzten Wochen mehrfach insbesondere von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) "nicht offen und ehrlich" informiert worden ist, wie Steinmeier beklagt. Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisiert, dass die Regierung es vermieden habe, über die finanziellen Gefahren hinter dem Hebel zu reden. "Warum scheuen Sie sich, den Menschen die Wahrheit zu sagen?", fragt Trittin. Verärgert ist der Linke Gregor Gysi - allerdings auch über SPD und Grüne: Es sei schon merkwürdig, frotzelt der Fraktionschef, dass Steinmeier und Co die Oppositionellen spielen würden, "und in der Sache der Koalition zustimmen". Die Linke macht dies nicht. "Es wäre nicht vertretbar, das Risiko nicht einzugehen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel

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