Die Dagegen-Bürger

Proteste quer durch die Republik: Gegen neue Schienenstrecken und Autobahnkilometer, gegen Stromtrassen und Windräder. Und nun auch noch ein symbolträchtiges Nein der Bürger zum Ausbau des Flughafens in München

Proteste quer durch die Republik: Gegen neue Schienenstrecken und Autobahnkilometer, gegen Stromtrassen und Windräder. Und nun auch noch ein symbolträchtiges Nein der Bürger zum Ausbau des Flughafens in München. Haben milliardenteure Großvorhaben im Industriestaat Deutschland keine Chance mehr? Seit der Eskalation um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 beteuern Politik und Verbände, mehr Anwohnerbeteiligung solle her. Leicht durchschaubar sind Genehmigungsverfahren jedoch nicht. Und manchmal untergraben auch Pannen der Planer die Akzeptanz.In der Nachbarschaft des Münchner Flughafens herrscht am Tag danach Freude über das Votum in der bayerischen Landeshauptstadt. "So gefällt es uns! Wir sind das Volk", steht auf einem Plakat im Schaufenster des kleinen Supermarktes im Freisinger Ortsteil Attaching. Mit 54,3 Prozent hatten die Münchner am Sonntag die ehrgeizigen Ausbaupläne für das zweitgrößte deutsche Luftfahrtdrehkreuz vorerst gestoppt.

Von einem lokalen Problem kann nicht die Rede sein. Von Nord nach Süd gibt es Krach um Bauvorhaben - von der Anbindung der geplanten Ostseequerung bis zum Steinkohlekraftwerk Datteln in Nordrhein-Westfalen. Der Münchner Entscheid habe gezeigt, wie schwierig es mittlerweile sei, die Bevölkerung von der Notwendigkeit wichtiger Projekte zu überzeugen, klagt der Bundesverband der Tourismuswirtschaft. "Wenn wir unsere Infrastruktur nicht auf die Zukunft vorbereiten, dann sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen", warnt auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch. Dabei argumentiert Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) seit längerem: "Eine florierende, global vernetzte Volkswirtschaft ist ohne Nebenwirkungen nicht zu haben."

Fragt sich nur wie. Zumal sich das Problem verschärft, weil wegen des Ausstiegs aus der Atomkraft die Stromnetze massiv ausgebaut werden sollen - mit allen Konsequenzen für die Lebensqualität von Nachbarn und den Wert von Eigenheimen. Notwendig sei "eine sehr intensive, aber auch nicht zu lange Diskussionsphase" mit betroffenen Bürgern, formulierte es Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Denn es muss bald Investitionsklarheit sein."

Der Spagat zwischen Beteiligung und Realisierung ist schwierig. Das zeigt sich auch am größten deutschen Flughafen in Frankfurt/Main, wo im Herbst eine neue Landebahn in Betrieb ging und nun immer montags Lärmgegner protestieren. Um gewalttätige Konflikte wie beim Bau der Startbahn West Anfang der 80er Jahre zu vermeiden, war eigens ein Vermittlungsverfahren (Mediation) organisiert worden. Das Ergebnis: Ja zum Ausbau unter der Bedingung eines Nachtflugverbots. Initiativen sahen sich aber getäuscht, als die Baugenehmigung sieben Jahre später 17 Ausnahmen vorsah. Dass es beim Milliardenprojekt Stuttgart 21 eine Befriedung erst nachträglich über eine Mediation und einen Volksentscheid gab, gilt ebenfalls nicht als ideal. Dabei sind die Interessenlagen regional sehr unterschiedlich. "Man wird es nie allen Recht machen können", meint Ramsauer, der beim langfristigen Bundesverkehrswegeplan mehr Öffentlichkeit will. Es gelte, politische Entscheidungen sorgfältiger zu erklären und für gute Argumente offen zu sein. Damit sollten die späteren formellen Verfahren der Verwaltung von heiklen Diskussionen über das "Ob" eines Vorhabens entlastet werden.

Teils torpediert indes auch die Vorgehensweise von Behörden und Bauherren die Akzeptanz. Rund um den künftigen Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg brachte es viele Anwohner auf, dass sie sich auf frühere Informationen zur Führung der Flugrouten verlassen hatten. Noch mehr Durcheinander entstand, als die für Anfang Juni geplante Airport-Eröffnung wegen Technikproblemen platzte.

Meinung

Es gibt kein Patentrezept

Von SZ-RedakteurBernard Bernarding

Die Politik hat es wahrlich nicht einfach: Erst wollten wir alle den mündigen Bürger, jetzt gibt es ihn - und dann ist es auch wieder nicht recht. Denn der aufgeklärte "Wutbürger 2.0" ist nicht mehr pflegeleicht, er mischt sich ständig ein und bockt gern gegen Großprojekte.

Neues Kraftwerk in der Nachbarschaft? Bloß nicht! Neue Trassen für Stromnetze in Sichtweite der schönen Siedlung? Kommt nicht in Frage! Eine weitere Landebahn, die den Lärmpegel noch multipliziert? Nicht mit uns! All diese Antworten sind verständlich - und erinnern zugleich an die Schattenseite der Basisdemokratie. Sie macht es den Verantwortlichen immer schwerer, eine zeitgemäße Infrastruktur zu schaffen. Aber was ist die Alternative? Bürgerwillen zu missachten?

Da niemand ein Patentrezept hat, bleibt wohl nur der gesunde Menschenverstand: Mehr Transparenz, ein modernes Bau- und Planungsrecht, im Notfall teure Umsiedlungen - oder eben der Verzicht auf Megaprojekte. Bayern droht jedenfalls nicht gleich der Rückfall zum Agrarland, wenn die dritte Startbahn nicht gebaut wird.

Hintergrund

Mit ihrem Nein zur dritten Startbahn haben die Münchner das Projekt gestoppt. Denn das Votum verpflichtet die Landeshauptstadt, in der Flughafen-Gesellschafterversammlung gegen den Bau zu votieren - und dort wäre Einstimmigkeit nötig.

Rechtlich ist der Bürgerentscheid nur ein Jahr lang bindend für die Stadt. Doch Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) betonte, er werde den Willen der Bürger unabhängig von Regeln und Kommunalrecht ernst nehmen. Einen zweiten Ausweg, auf den die Startbahn-Befürworter noch hofften, hat die Münchner SPD versperrt: Die Stadt werde ihre Anteile am Flughafen nicht hergeben, hieß es. Was in einigen Jahren ist, kann heute jedoch niemand sagen. Wenn 2014 ein neuer OB in München gewählt wird, kann dieser neu entscheiden, ob er das Bürgervotum auch weiterhin respektiert oder nicht.

Der Flughafen gibt die Hoffnung nicht auf. Es sei "keineswegs das letzte Wort gesprochen", sagte ein Sprecher. Der Bedarf für die dritte Bahn sei ja nach wie vor da - und werde weiter zunehmen. Deshalb werde man den Planfeststellungsbeschluss - sollte dieser vor Gericht bestätigt werden - nicht vernichten, sondern aufheben. dpa

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