Die Bienen halten ihn jung und gesund

Saarlouis · Mit 17 fing alles an. Von einem Nachbarn bekam Kaspar Kettel ein Bienenvolk geschenkt. Es wurde eine Liaison fürs Leben. Vergangene Woche feierte der älteste Imker des Landes in Saarlouis seinen 100. Geburtstag.

 Kaspar Kettel trägt beim Umgang mit seinen Bienen keine Schutzkleidung. Stiche machen ihm nichts mehr aus, sagt er. Fotos: Ruppenthal/dpa

Kaspar Kettel trägt beim Umgang mit seinen Bienen keine Schutzkleidung. Stiche machen ihm nichts mehr aus, sagt er. Fotos: Ruppenthal/dpa

"So ein Bienchen ist ein Wunderwerk", schwärmt Kaspar Kettel: "Da könnte man stundenlang zugucken." Und das tut der Hundertjährige - seit über 80 Jahren bestaunt er die Welt der Bienen. Kaspar Kettel ist der älteste aktive Imker im Saarland. Mit leuchtenden Augen erzählt der leidenschaftliche Züchter von der intelligenten Kommunikation der Tiere, vom Zusammenwirken im Bienenvolk. Er weiß nahezu alles über die Tiere und ihre Lebensweise. Ihr Mikrokosmos hat für den alten Mann über all die vielen Jahrzehnte nichts an Faszination verloren.

Schon als Junge hatte Kettel einem benachbarten Imker gern über die Schulter geschaut. Dieser schenkte dem damals 17-Jährigen ein Bienenvolk, in einem Weidenkorb. "Das hat mich nicht mehr losgelassen", sagt Kettel. Vieles in der Welt hat sich in den vergangenen 100 Jahren geändert. Aber nicht die Arbeit des Imkers. "So ist die Natur: Jedes Jahr ist anders. Als Imker muss man sich nach den Bienen richten, nicht umgekehrt." Um seine zwei Völker kümmert er sich noch selbst, früher hatte er bis zu 25 Stöcke. Sommer für Sommer schleudert er seinen Honig , 15 bis 30 Kilogramm pro Volk seien ein guter Durchschnitt. Schutzkleidung trägt er nicht, Stiche machen ihm nichts mehr aus, sagt er.

Ein ganzes Jahrhundert hat Kettel durchlebt: Von einer Zeit, in der es kaum Fahrräder gab, bis zu einer, in der fast jeder ein Smartphone mit sich trägt. "Ja, ich hab so einiges erlebt", schmunzelt Kettel am Esstisch seines Hauses im Saarlouiser Stadtteil Steinrausch. Geboren wurde er am 6. März 1915 in Stadtkyll in der Eifel . Nach der Schule absolvierte er eine Schlosserlehre, dann wurde er einberufen, erlebte die Schrecken des Zweiten Weltkriegs samt Kriegsgefangenschaft. "Es war kurios manchmal", erinnert er sich: "Immer ist etwas Unerfreuliches vorausgegangen. Und nachher hat sich dann herausgestellt, dass es eigentlich zu etwas Erfreulichem führte." Wie während seiner Militärzeit, als er zur Strafe versetzt wurde - in die Schlosserei. "Ein Glück", sagt er heute: "Ich habe dann den Waffenmeisterlehrgang gemacht." Oder als er während des Russland-Feldzugs von einem Schuss ins Bein getroffen wurde. Kettel kam ins Lazarett und erfuhr später, dass von 240 Mann in seinem Regiment nur 32 überlebt hatten. "Ich hab immer Glück gehabt", sagt der Hundertjährige. "Und es war nie langweilig."

An alle Geschehnisse erinnert sich Kettel, als wären sie erst gestern passiert. In einem Ordner hat er fein säuberlich unzählige Dokumente abgeheftet. Sein Militärdienst führte ihn 1938 zum ersten Mal nach Saarlouis , dort lernte er auch seine Frau Susanne kennen. 1939 heirateten die beiden, bekamen drei Söhne. Seine Frau starb nach 54 Jahren Ehe. "Das ist so schnell vorbeigegangen", seufzt er. Was sind schon 50 Jahre? Gerade mal sein halbes Leben.

Nach dem Krieg wurde Kettel Lokführer bei der Deutschen Bahn, erst in der Eifel , 1960 wechselte er wieder ins Saarland, ins Betriebswerk Dillingen. Lange Jahre fuhr er Dampfloks, "Millionen von Kilometern". Die letzten vier Jahre seines Berufslebens dann E-Loks: "Mit 58 musste ich noch mal die Schulbank drücken."

Heute lebt Kettel zusammen mit seiner Familie in Steinrausch, drei Generationen unter einem Dach. Schon am Morgen geht der Imker in den Garten und schaut nach seinen rund 30 000 Bienen. Nach wie vor geht er jeden Tag spazieren, gesundheitliche Probleme hat der Hundertjährige keine. Er braucht noch nicht einmal eine Brille. "Ich bin zufrieden", formuliert Kettel es bescheiden. "Mein Arzt sagt immer: An Ihnen wird man nicht reich!" Er trinkt wenig Alkohol, mittags einen Espresso, er isst kaum Fleisch, aber immer Honig zum Frühstück. Das Geschehen in der Welt beobachtet er genau: Morgens liest er ausgiebig die Zeitung, abends schaut er Nachrichten, Sport "und manchmal einen Naturfilm".

Die meiste Zeit widmet er jedoch seinen Bienen. "Zwischendurch wollte ich mal aufhören. Aber ich konnte nicht", gesteht er. Für seine besonderen und jahrzehntelangen Verdienste hat Kettel nun vom Bundesverband der Imker den "Zeidler" erhalten, die höchste Auszeichnung der Bienenzüchter. Zeidler waren im Mittelalter die Sammler wilden Honigs. Stolz zeigt er die handgeschnitzte Figur: "Sie wird selten vergeben."

Als Zeitzeuge wie als erfahrener Imker ist Kettel ein beliebter Gesprächspartner. Der Hundertjährige strahlt eine bewundernswerte Gelassenheit aus. "Ich rege mich nicht auf. Es bleibt jedem überlassen, wie er sein Leben gestaltet. Ich finde es spaßig, wenn andere sich aufregen." Streit habe er vermieden. "Radikalismus war mir immer ein Gräuel, egal ob politisch oder religiös." Optimist sei er stets gewesen, betont er: "Angst kenne ich nicht. Sogar im Krieg hatte ich keine. Warum auch? Was kommt, das kommt. Entweder man hat Glück - oder eben nicht." Diese Einstellung, den Blick immer auf das Gute zu lenken, ist es vermutlich, die ihn so zufrieden macht. "Ich kann mich über jede Kleinigkeit freuen." Zum Beispiel über eine tanzende Biene.

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