„Die Bastarde haben mich erwischt“

London · Seit gestern soll eine öffentliche Untersuchung in London klären, wer hinter dem Giftmord an dem russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko steckt. Der Richter will auch herausfinden, welche Rolle die russische Regierung in dem aufsehenerregenden Fall gespielt hat.

Es war ein Spionage-Thriller in Echtzeit, der die Welt wochenlang in Atem hielt. Ein ehemaliger russischer KGB-Agent trifft sich am 1. November 2006 mit zwei Landsmännern im Londoner Luxushotel Millennium und trinkt eine Tasse Tee. Kurz darauf leidet er unter einer rätselhaften Krankheit, kommt in eine Klinik, die Ärzte in der britischen Hauptstadt versuchen die Ursache für seinen täglich schlechter werdenden Zustand herauszufinden.

Erst spät, zu spät, wissen sie, dass Alexander Litwinenko mit radioaktivem Polonium 210 vergiftet wurde. Der 43-jährige Regierungskritiker ist sich dagegen von Anfang an sicher, dass er einem Giftanschlag zum Opfer gefallen ist. "Die Bastarde haben mich erwischt", der Kreml habe ihn zum Schweigen gebracht, sagt er in einem Interview vom Krankenbett aus, abgemagert, haarlos und umgeben von Schläuchen. Kurz darauf stirbt er.

In den Wochen danach geisterten zahlreiche Verschwörungstheorien durch die Medien, vor allem der russische Präsident Wladimir Putin geriet ins Blickfeld. Schließlich war erst kürzlich die Menschenrechtsaktivistin und Putin-Kritikerin Anna Politkowskaja erschossen worden. Tötete der Kreml wirklich seine Kritiker? Dieser Frage wird seit gestern, fast acht Jahre nach dem Mord in London , in einer öffentlichen Untersuchung nachgegangen. Marina Litwinenko, die Witwe des Ermordeten, hatte jahrelang dafür gekämpft und ist bis vor das höchste britische Gericht gezogen. Doch erst in der vergangenen Woche gab Innenministerin Theresa May bekannt, dass der aufsehenerregende Fall neu aufgerollt wird. Ist es Zufall, dass der Sinneswandel fünf Tage nach dem Flugzeugunglück in der Ostukraine, bei dem auch zehn Briten starben, verkündet wurde? Downing Street sagt ja.

Die Beziehungen zwischen London und Moskau sind nicht erst seit dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine angespannt. Schon damals hatte der Tod Litwinenkos das Verhältnis schwer belastet. So wurden vier Diplomaten der russischen Botschaft in der britischen Hauptstadt ausgewiesen, da Russland die Auslieferung von Andrey Lugowoi verweigerte. Der Geschäftsmann und Ex-Agent galt als Hauptverdächtiger für die Ermittler von Scotland Yard - ihn und einen weiteren Geschäftspartner hatte Litwinenko bei der Teezeit im Hotel getroffen. Lugowoi war ebenfalls verstrahlt und wurde in Moskau behandelt. Er wiederum beschuldigte den mittlerweile verstorbenen Oligarchen Boris Beresowski , der im Londoner Exil lebte und als Intimfeind von Putin galt. In einer anderen Version Lugowois machte er den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 verantwortlich für den Tod von Litwinenko, der im Jahr 2000 ins Vereinigte Königreich übergesiedelt war. Für diesen soll der Ex-Agent laut Lugowoi gearbeitet haben.

Zum Auftakt der öffentlichen Untersuchung, die voraussichtlich bis 2015 andauern wird, sagte der Richter Robert Owen , dass die Rolle Russlands bei dem Giftmord wichtig und ein Schwerpunkt seiner Arbeit sein werde. Das Verfahren erlaube es, als geheim eingestufte Unterlagen auszuwerten und hinter verschlossenen Türen Zeugen zu vernehmen. Marina Litwinenko, die glaubt, der russische Staat habe ihren Mann umbringen lassen, war gestern ebenfalls im Londoner Gerichtsgebäude anwesend. Sie zeigte sich zufrieden. "Alle, überall auf der Welt, werden die Wahrheit erfahren."

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Hintergrund Schon ein millionstel Gramm Polonium 210 kann einen Menschen töten. Das Radionuklid sendet zwar nur eine kurze Strahlung aus, die durch Kleidung oder Haut abgehalten wird. Es wird aber gefährlich, wenn Polonium geschluckt, eingeatmet oder über Wunden aufgenommen wird. dpa

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