"Die ARD entschuldigt sich!"

Frankfurt. Wie in jedem Jahr, so sollte auch Silvester 1986 nach "Tagesschau" um 20 Uhr der amtierende Bundeskanzler die zurückliegenden zwölf Monate resümieren und einen zuversichtlichen Ausblick ins neue Jahr wagen

Frankfurt. Wie in jedem Jahr, so sollte auch Silvester 1986 nach "Tagesschau" um 20 Uhr der amtierende Bundeskanzler die zurückliegenden zwölf Monate resümieren und einen zuversichtlichen Ausblick ins neue Jahr wagen. Helmut Kohl (CDU) pries die Bundesrepublik als "verlässlichen Partner im westlichen Bündnis", freute sich über den wirtschaftlichen Aufschwung und stellte fest, dass das Land "Hoffnungslosigkeit und Pessimismus" überwunden habe. Er sei stolz "auf Deutschland, unsere Heimat, unser Vaterland". Alles wie immer also, und während mancher mutmaßte, Kohl erzähle jedes Jahr das Gleiche, dämmerte den ersten, dass etwas nicht stimmt. Als dann eine Jahreszahl fiel, war klar: Kohls Rückblick galt Ereignissen aus dem Jahr 1985. Gegen 21.25 Uhr blendete das Erste in seine laufende Sendung - das "ARD-Wunschkonzert" mit Dagmar Berghoff und Max Schautzer - einen Text ein: "Durch ein Versehen ist die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers heute Abend verwechselt worden. Die ARD entschuldigt sich dafür! Die korrekte Fassung wird morgen, am Neujahrstag, um 20.05 Uhr, nach der 'Tagesschau' ausgestrahlt!".Der ARD war ein überaus peinlicher Fauxpas unterlaufen: Ein Mitarbeiter hatte das falsche Band eingelegt. Der damalige NDR-Programmdirektor Rolf Seelmann-Eggebert, heute als Adelsexperte bekannt, bedauert das Missgeschick am Folgetag und spricht von einem "Alptraum": Eine Videokassette mit der Aufschrift "Neujahrsansprache" habe zum Abspielen bereitgelegen. Als der Irrtum bemerkt wurde, sei die richtige Kassette fieberhaft gesucht worden, aber nicht zu finden gewesen. "Eine zweite lag nicht vor."

Sabotage? Die schwarz-gelbe Bundesregierung gab sich gegenüber der ARD gekränkt. Regierungssprecher Friedhelm Ost sah in dem Vorgang eine "Beleidigung für die Zuschauer". Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte der Regierungssprecher.

Andrea Wich, Leiterin der Programmplanung für das Erste, ist heute sicher: "Nach menschlichem Ermessen ist so ein Fehler nicht mehr möglich." Das hat Harald Weiß bis vor knapp zwei Jahren auch gedacht. Am Neujahrstag strahlte das Hörfunkprogramm SWR 1 Rheinland-Pfalz um 13.05 Uhr eine Ansprache von Kurt Beck (SPD) aus, die der rheinland-pfälzische Ministerpräsident bereits im Vorjahr gehalten hatte. Deutlich wurde das auch in diesem Fall erst durch den Hinweis auf ein konkretes Ereignis: Beck rief zur Teilnahme an der Bundestagswahl auf.

Programmchef Weiß wird noch heute abwechselnd heiß und kalt, wenn er daran denkt. "Das war ein professionelles Fiasko und eine fatale Verkettung kaum vorstellbarer Einzelzufälle: Wegen der Umstellung von analog auf digital war vorübergehend die Löschroutine ausgesetzt, damit keine Inhalte verloren gehen. Durch einen falschen Klick ist eine Reihenfolge verkehrt worden, so dass die älteste Datei plötzlich ganz oben auf der Liste stand. Der zuständige Senderedakteur hat sich die Datei nicht noch mal angehört, und die Moderatorin im Studio hatte technische Probleme und keinen Ton auf ihrem Kopfhörer, so dass der Fehler nicht auf Anhieb aufgefallen ist."

Als klar wurde, dass Beck über Ereignisse aus dem Vorjahr sprach, gab es umgehend eine Entschuldigung bei den Hörern, in der Stunde drauf wurde die richtige Version gesendet.

Kurt Beck hat übrigens laut Weiß damals "ausgesprochen gelassen" reagiert. Im Gegensatz zu 1986 habe aber niemand unterstellt, der SWR habe Becks Partei gezielt Schaden zufügen wollen.

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800 Jahre Breiten Alsfassen und Breiten waren einst selbstständige Orte und kamen 1859 zu St. Wendel. Während sich der Begriff Alsfassen erhalten hat, ist Breiten ein fast vergessener Stadtteil. Vor 800 Jahren ist das Dorf erstmals erwähnt worden.
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