Die Ära der Eisenfürsten

Völklingen. "Da liegt eine der bedeutendsten Kulturen unter unseren Füßen, und wir wissen darüber nichts", sagt der Generaldirektor des Völklinger Weltkulturerbes, Meinrad Maria Grewenig. Nichts ist übertrieben, dank der Ausgrabungen im Kulturpark Bliesbrück-Reinheim

 Bunt und kariert liebten es die Kelten bei ihrer Kleidung. Für die Ausstellung im Völklinger Weltkulturerbe wurde ihr Alltag genau rekonstruiert. Foto: Dietze

Bunt und kariert liebten es die Kelten bei ihrer Kleidung. Für die Ausstellung im Völklinger Weltkulturerbe wurde ihr Alltag genau rekonstruiert. Foto: Dietze

Völklingen. "Da liegt eine der bedeutendsten Kulturen unter unseren Füßen, und wir wissen darüber nichts", sagt der Generaldirektor des Völklinger Weltkulturerbes, Meinrad Maria Grewenig. Nichts ist übertrieben, dank der Ausgrabungen im Kulturpark Bliesbrück-Reinheim. Die These von der vergessenen Kultur stimmt nicht ganz, schließlich spielte 1991 der Palazzo Grassi in Venedig mit einer über 2000 Exponate Schau, die eine Million (!) Besucher anzog, den Eisbrecher. Kurator war übrigens Jean-Jacques Aillagon, späterer Kulturminister Frankreichs, vor allem aber eins: Lothringer. Ein Mann aus der keltisch geprägten Großregion mithin. Die wurde, so die Völklinger These, zur La-Tène-Zeit (450-50 v. Chr.) dank einer fortschrittlichen Eisenproduktionstechnik ein führendes Zentrum Europas. Erstmals macht Grewenig die regionale Geschichte zum Thema einer Schau auf 6000 Quadratmetern (Budget: zwei Millionen Euro). Dementsprechend vorsichtig die Besucherzahl-Schätzung von 70 000. Ferne und Fremdheit punkten mehr, mutmaßt Grewenig. 2004/2005 mobilisierte das "Inkagold" 193 000 Besucher.

Aber wann hätte man hier zu Lande je die Gelegenheit gehabt zu einem derart opulenten Kelten-Panorama? Denn wer weiß um das Kriegergrab von Remmesweiler, die Fürstengräber von Schwarzenbach oder von Oberlöstern? Diese und fast alle Funde, vor rund 200 Jahren beim Straßenbau oder beim Pflügen entdeckt, wanderten im 19. Jahrhundert ob der Verwaltungs-Zersplitterung in Museen nach Speyer, Trier, Bonn oder gleich zum deutschen Kaiser nach Berlin oder wurden, wie der goldene Halsring aus Besseringen, zur Beutekunst, die das Puschkin-Museum bis heute nicht wieder hergibt. Wir sehen in der Gebläsehalle nur eine Nachbildung. Doch dank der zigfachen "Heimholung", die das Grewenig-Team jetzt geleistet hat, werden erstmals die Breite und Tiefe der Wurzeln der Großregion bewusst. Die legten eben nicht nur die Römer, sondern viel früher die Kelten. Und die waren, anders als antike Autoren überlieferten, keine Krieger-Barbaren, sondern eine wohlhabende Gesellschaft mit Hightech-Wissen über die Eisenerzeugung, mit Faible für formvollendete Trinkgefäße und und für überraschend bunte, gern auch karierte Woll-Tuniken.

Doch die Kelten hinterließen, obwohl des Schreibens mächtig, keine schriftlichen Zeugnisse. Also müssen wir ihre materiellen Hinterlassenschaften - vor allem Grabfunde - "lesen". Doch selbst die zusammengetragene Fülle von 1600 Krügen, Schalen, Schwertern, von Arm- und Halsringen, Goldmünzen und Eisenhelmen ergibt kein voll ausgeleuchtetes Gesellschaftsbild. Die Ausstellung hütet sich vor Anmaßung und davor, über den lückenhaften Forschungsstand hinweg zu inszenieren. Für die solide wissenschaftliche Verankerung sorgten ausgewiesene Kelten-Experten, unter anderem der Saarbrücker Archäologe Professor Rudolf Echt. Mögen Flyer und Plakate auch cineastische Imaginationswelten lostreten - die größten Magier, die schärfsten Klingen, die mächtigsten Herrscher - die Präsentation bleibt auf dem harten Fakten-Teppich. Grewenig, dem man zutraut, immerzu die größte Pauke zu schlagen, sprich das Populärste am Thema herauszustellen, hat diesmal darauf verzichtet. Asterix kommt ebenso wenig vor wie Tolkiens "Herr der Ringe". Auch die die Keltophilie einer speziellen heidnischen Fest- und Musikszene bleibt außen vor. Dem "Mysterium" Kelten setzt sich Grewenig also nicht auf die Spur, selbst die legendenumwobenen Druiden bleiben mangels Befunden eine Leerstelle. Dadurch vermeidet er das, was Vorgänger-Ausstellungen mitunter ins Trudeln Richtung Oberflächlichkeit brachte: das Ausfransen des Themas. Diesmal wirkt der Auftritt durch und durch "seriös". Und nie passte ein Thema besser zur düsteren, rohen Atmosphäre der Gebläsehalle mit ihren toten Maschinenriesen. Hautnahe Archaik, finsteres Schwarz-Rot als Gesamt-Farbgebung für Vitrinen, Tafeln und Stellwände - fabelhaft. Alles in bewährtem, mittlerweile garantiert überraschungsfreiem Grewenig-Stil: Exponate werden nie einfach nur gezeigt, sondern als Kostbarkeiten zelebriert. Zu Vitrinen-Parcours gesellt sich eine Art "Themenpark" zum Alltag der Kelten in der Verdichterhalle. Dort hat man das Eingangsportal des Otzenhausener Ringwalls nachgebaut, einen Streitwagen und ein Haus. Mit Pflanzen und Salzen der Region wurden Stoffe eingefärbt, zum Anfassen. Eine kratzige Erfahrung, die für Vitalisierung sorgt und für Licht in der sagenumwobenen keltischen Dämmerung.

Auf einen Blick

Eröffnung: 19.11., 19 Uhr; erster Tag für das Publikum: 20.11./ Keltenfest. Auch am 21.11. Kelten-Vorführungen.

Bis 22. Mai, täglich 10 bis 19 Uhr. Besucherservice: Tel. (06898) 9100 100. www. voelklinger-huette.org.

Die Eisenzeit gliedert sich in die Hallstattzeit (800 bis 450 v. Chr.) und in die vorrömische La Tène-Zeit (bis ca. 50 v. Chr.). Die Namen leiten sich von zwei bedeutenden Fundorten ab, dem Gräberfeld von Hallstatt am Hallstätter See (Österreich) und dem Fundort La Tène in der Westschweiz.

 Meinrad Maria Grewenig auf einem Streitwagen. Foto: Dietze

Meinrad Maria Grewenig auf einem Streitwagen. Foto: Dietze

Die Kelten sind keine klar umrissene Ethnie, eher eine Sprachgemeinschaft mit ähnlicher Kultur, in Stämme gegliedert. Ihr Verbreitungsgebiet reichte von Irland zur Türkei. ce

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