Deutschlands Supermärkte rüsten um"Niemand möchte alt sein"

Frau Dürrer, wie reagieren die Einzelhändler auf den demografischen Wandel?Dürrer: Unsere Mitgliedsunternehmen kennen ihre Kunden ziemlich gut. Sie denken nicht nur an die "Silver Ager", sondern an alle Generationen. Die anfänglichen Konzepte, die nur auf die Generation 50 plus oder 60 plus gesetzt haben, haben sich nicht durchgesetzt - weil niemand alt sein möchte

Frau Dürrer, wie reagieren die Einzelhändler auf den demografischen Wandel?Dürrer: Unsere Mitgliedsunternehmen kennen ihre Kunden ziemlich gut. Sie denken nicht nur an die "Silver Ager", sondern an alle Generationen. Die anfänglichen Konzepte, die nur auf die Generation 50 plus oder 60 plus gesetzt haben, haben sich nicht durchgesetzt - weil niemand alt sein möchte. Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Menschen mit größeren oder kleineren Behinderungen unterwegs sind, mit Rollatoren oder Krücken. Da ist man nicht so flexibel, wie man möchte. Auch wer einen Kinderwagen vor sich herschiebt, ist unbeweglich und braucht mehr Raum.

Konkret gefragt: Welche Kriterien muss ein typischer Supermarkt erfüllen, damit er Ihr Qualitätszeichen "Generationenfreundliches Einkaufen" tragen darf?

Dürrer: Das fängt beim Eingang an: Die Tür muss breit genug sein, sie muss sich gut öffnen lassen oder von selber aufgehen. Die Gänge müssen breit genug sein, die Böden rutschfest und spiegelfrei. Regale sollten nicht zu hoch sein. Preisauszeichnungen müssen gut lesbar sein. Die eine oder andere Bank, um sich zu setzen, sollte ebenfalls vorhanden sein.

Umbauten kosten Geld. Was raten Sie den Unternehmen?

Dürrer: Wer heute umbaut, tut gut daran, in unseren Kriterienkatalog zu schauen. Viele der Kriterien sind mit Kleinigkeiten zu erreichen: Bei einer Treppe ist es bautechnisch zum Beispiel häufig möglich, eine Rampe dazu zu machen. Wir müssen das Bewusstsein für eine sich ändernde Demografie schärfen.

Ist das Bewusstsein bei Ihren Mitgliedsunternehmen schon in dem nötigen Maß vorhanden?

Dürrer: Bei vielen Händlern ja. Das Thema gibt es schon lange, aber im Moment ist das Bewusstsein größer denn je. Der Handel muss immer ein bisschen schneller sein. Die Industrie muss aber auch mitgehen. Die Haushalte werden kleiner, also brauchen wir zum Beispiel mehr Verpackungen für ein oder zwei Personen. Wir brauchen aber auch Verschlüsse, die sich gut öffnen lassen, ohne dass man extra Werkzeug braucht. Berlin/Saarbrücken. Breite Gänge für den Rollator, Single-Packungen im Supermarktsortiment oder Brillenablagen in den Umkleidekabinen. Längst hat auch der Einzelhandel die Generation 60Plus als Zielgruppe von morgen erkannt. Immer mehr Unternehmen machen ihre Läden und Märkte fit dafür. Lupen am Regal oder spezielle Seniorenangebote sind dabei mittlerweile verpönt. Die Umstellung auf die ältere Käuferschicht erfolgt eher subtil.

Bereits 2030 wird den Statistikern zufolge Deutschland mit einem Rentneranteil von fast 50 Prozent die älteste Bevölkerung Europas haben. Der Anteil an Singlehaushalten wird wachsen. Dies hat auch die Branche mit ihren rund 400 000 Unternehmen aufgeschreckt.

Sofas zum Ausruhen

"Schon heute fällt in den Straßen der Innenstädte eine zunehmende Zahl von Rollatoren auf", berichtet Andrea Ferger-Heiter. Seit 2008 ist die frühere Warenhaus-Geschäftsführerin bei Kaufhof Demografiebeauftrage - die erste und einzige im Einzelhandel überhaupt. Mit viel Engagement versucht sie, die 138 Filialen der Metrotochter auf die neuen Herausforderungen zu trimmen.

In vielen Kaufhof-Filialen wurden für die "Silver Generation", "Best Ager" oder "Generation 60 plus" beispielsweise Sofas zum Ausruhen aufgestellt, die Umkleidekabinen mit Zusatzhaken und fest montierten Sitzbänken versehen oder an den Kassen umlaufende Ablageflächen für Taschen montiert. Auch die Schrift auf Preis- und Hinweisschildern wurde vergrößert und das Personal geschult. Mittlerweile tragen 39 Kaufhof-Warenhäuser das Zertifikat "Generationenfreundliches Einkaufen". Seit vergangenem Jahr vergibt der Einzelhandelsverband HDE derartige Siegel. Nach Angaben des Verbandes soll noch in diesem Monat das bundesweit eintausendste Unternehmen zertifiziert werden.

Der Kriterienkatalog umfasst insgesamt 58 Vorgaben. Bewertet werden etwa die Gestaltung des Eingangsbereichs, die Beleuchtung oder die Parkplätze. Im Saarland, wo der Einzelhandelsverband alle in Frage kommenden Geschäfte angeschrieben hat, soll Anfang Mai das erste Unternehmen das Gütesiegel "generationenfreundlich" verliehen bekommen - die Kaufhof-Filiale in Saarbrücken. "Wir gehen davon aus, dass die einen oder anderen dann nachziehen werden", sagt Verbandsgeschäftsführer Werner Thau.

Die schwedische Einrichtungskette Ikea versucht, in ihren 46 Märkten mit speziellen Servicepaketen ältere Kundschaft anzusprechen. Dazu gehört die Lieferung der Einkäufe nach Hause oder der Aufbau von Möbeln. Auch die Öffnungszeiten wurden geändert. In den real-Warenhäusern vergrößerte man bereits 2009 den Schriftgrad an den Preisetiketten um rund 30 Prozent. Zudem wurden wieder mehr Bedientheken eingeführt. Bei Edeka sind vor allem die Märkte im Südwesten der Republik auf besondere Bedürfnisse eingestellt. "Wir denken dabei aber nicht nur an Senioren, sondern auch an Mütter und Väter oder Menschen mit Handicap", sagt Sprecher Christhard Deutscher.

Große Chancen könnte der Demografiewandel für die eigentlich kriselnden Warenhäuser bringen. "Gerade Ältere schätzen das Angebot unter einem Dach. Für sie ist es oft zu mühsam, alle Geschäfte abzuklappern", betont Manuel Jahn vom Marktforschungsunternehmen Gfk-Geomarketing.

generationenfreundliches-

einkaufen.de

Auf einen Blick

Der deutsche Einzelhandel umwirbt ältere Menschen als Zielgruppe - doch das ist nicht der einzige Trend in der Branche. Seit einigen Jahren können Verbraucher in ausgewählten Märkten mit ihrem Fingerabdruck zahlen. Wer diese Möglichkeit nutzen will, muss sich vorher mit Bankverbindung und persönlichen Daten registrieren lassen. Damit gibt man dem Geschäft eine Vollmacht, den Einkaufsbetrag vom Konto abzubuchen. Im Saarland gibt es nur einige wenige Märkte, die diese Technik nutzen. Eine zweite Innovation wird derzeit im Globus-Markt in Güdingen getestet: Ein elektronischer Artikelfinder - ein Rechner, der über die Bildschirmfläche bedient wird - hilft Kunden bei der Suche nach dem Regalstandort eines x-beliebigen Produktes. red

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