Deutschlands Jugend hat „voll Bock“

Berlin · Rebellierende Jugendliche mit Flausen im Kopf sind laut einer neuen Studie passé: Die jungen Menschen von heute wollen vor allem im Beruf vorankommen. Mehr als die Hälfte von ihnen will studieren.

Ehrgeizig, leistungsbereit und die Eltern als wichtigste Ratgeber: Was eher nach Streberei klingt, ist laut einer Studie das Gefühl der jungen Menschen in Deutschland. "Die heutige junge Generation ist der genaue Gegenpol zur Null-Bock-Generation", sagte die Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, gestern in Berlin. Die jungen Leute seien leistungsbereiter als noch vor etwa 20 Jahren. Sie wollten nach vorne und Chancen nutzen. Jugendforscher Klaus Hurrelmann spricht denn auch von einer "Voll-Bock-Mentalität". "Der Drang, sich beruflich etablieren zu wollen, war noch nie so hoch wie aktuell", sagt er.

63 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jahren sind der Allensbach-Studie zufolge der Meinung, dass sich Leistung im deutschen Wirtschaftssystem lohne. Das Institut befragte rund 3000 Mitglieder dieser Altersgruppe. Demnach will ein Großteil der jungen Leute einen Erfolg versprechenden Beruf, der Zukunft hat und zugleich Spaß macht. Eher auf den hinteren Plätzen rangieren Aspekte wie wenig Stress oder viel Urlaub. Sehr realistisch sei diese Generation und sehr angepasst, sagt Jugendforscher Hurrelmann: "Ohne Flausen im Kopf." Passend dazu sind die wichtigsten Ratgeber der jungen Menschen die Eltern. 83 Prozent der Schüler sprechen mit ihnen über ihre beruflichen Möglichkeiten. Das Elternhaus sei für die jungen Menschen eine sichere Basis, sagt Hurrelmann.

Für den Optimismus und Tatendrang der Jugend machen die Forscher zwei Gründe aus: die demografische Entwicklung und den robusten Arbeitsmarkt. Der "Kampf um Talente" beschränke sich nicht mehr auf begabte Hochschul-Absolventen, sondern betreffe auch schulisch Hochqualifizierte, die Unternehmen als Auszubildende gewinnen wollen. Arbeitgeber müssten sich deshalb intensiv mit den Erwartungen der jungen Leute auseinandersetzen.

Der Studie zufolge wollen 51 Prozent aller Schüler nach der Schulzeit studieren - mit teils problematischen Folgen. Denn gleichzeitig verliert damit das duale System aus Schule und Berufsausbildung. Ursprünglich sollten an einer Hauptschule handwerklich Begabte ausgebildet werden - mittlerweile gilt diese Schulform vielen aber als "Resterampe". Der Ansturm auf die höheren Schulen verändert die Situation auf dem Ausbildungsmarkt: Es fehlen Lehrlinge, obwohl es nicht an Bewerbern mangelt. Mit Beginn des neuen Ausbildungsjahres Anfang September waren laut Bundesagentur für Arbeit bundesweit über 100 000 Lehrstellen als unbesetzt gemeldet. Gleichzeitig waren etwa ebenso viele Jugendliche unversorgt. "Viele Lehrstellen erreichen junge Leute nicht", sagt Hurrelmann.

Industrie und Handel sehen die steigenden Studierendenzahlen in Deutschland kritisch. "Nicht jeder ist mit einem Studium auf der Erfolgsspur. Rund 25 Prozent der Studienanfänger brechen ab", sagte der Ausbildungsreferent des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Markus Kiss, kürzlich. "Der Trend zur Akademisierung um jeden Preis muss gestoppt werden." Inzwischen gebe es mit 500 000 Menschen fast so viele Erstsemester wie Ausbildungsanfänger. Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sprach sich dafür aus, die duale Ausbildung attraktiver zu machen. "Leider wurde in Deutschland über viele Jahrzehnte intellektuelle Arbeit mehr geschätzt als praktische Arbeit", sagte sie der "Welt". Sie betonte, die berufliche Bildung sei "eine ganz starke Säule".

Doch längst nicht alle jungen Menschen sind sehr ehrgeizig: Gut jeder Fünfte glaubt, dass sich der soziale Status durch Leistung nicht verbessern lässt. Besonders pessimistisch schätzen junge Leute aus den unteren gesellschaftlichen Schichten ihre Aufstiegschancen ein. "Wir haben in Deutschland eine zu verfestigte Unterschicht", sagt Köcher. Doch im Vergleich mit europäischen Krisenländern kann sich das Lebensgefühl der jungen Deutschen insgesamt sehen lassen: Laut Studie blicken 71 Prozent mit Optimismus in ihre berufliche Zukunft.

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