Deutschland wird durchgezählt100 000 Saarländer bekommen Besuch von Statistikern Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich nicht von Umfragen lenken lassen

Berlin. Beim Wort "Volkszählung" werden Erinnerungen an das Jahr 1987 wach. Damals brach über die alte Bundesrepublik eine Welle des Protestes herein: Es gab Boykottaufrufe und Massendemonstrationen, viele Bürger wollten die Fragen falsch beantworten. Andere überlegten gar, ihre Wohnungstür zuzumauern, um dem Zähler den Zutritt zu verwehren. Diesmal soll alles anders werden

Historischer Datenspeicher: Das Bild zeigt Berge von Volkszählungslisten im französischen Innenministerium um das Jahr 1939. Bei heutigen Volkszählungen werden die gewonnenen Daten zum großen Teil digital erhoben und gespeichert. Foto: interfoto

Historischer Datenspeicher: Das Bild zeigt Berge von Volkszählungslisten im französischen Innenministerium um das Jahr 1939. Bei heutigen Volkszählungen werden die gewonnenen Daten zum großen Teil digital erhoben und gespeichert. Foto: interfoto

Berlin. Beim Wort "Volkszählung" werden Erinnerungen an das Jahr 1987 wach. Damals brach über die alte Bundesrepublik eine Welle des Protestes herein: Es gab Boykottaufrufe und Massendemonstrationen, viele Bürger wollten die Fragen falsch beantworten. Andere überlegten gar, ihre Wohnungstür zuzumauern, um dem Zähler den Zutritt zu verwehren.

Diesmal soll alles anders werden. Der "Zensus 2011", die erste Volkszählung im vereinten Deutschland, ist angelaufen. 6000 Fragebögen wurden inzwischen zu Testzwecken verschickt. Eines ist schon jetzt klar: Nach Informationen unserer Zeitung wird das ganze Vorhaben nämlich deutlich teurer als erwartet.

"Wir liegen gerade so im Plan", sagt der Vorsitzende der Zensus-Kommission, Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), über den Stand der Vorbereitungen. Das neunköpfige Experten-Gremium begleitet die Befragung wissenschaftlich. Zum Stichtag 9. Mai 2011 sollen die Bevölkerung sowie die Gebäude und Wohnungen gezählt werden. Das erwartet die Europäische Union von ihren Mitgliedsländern. Weil das in Deutschland vor allem über ein "auf Register basierendes" Verfahren abläuft, wie es beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden heißt, hoffen die Organisatoren auch auf einen problemlosen Verlauf. Denn im Unterschied zur traditionellen Erhebungsmethode früherer Volkszählungen, als ausschließlich der Zähler mit dem Fragebogen in der Hand zum Hausbesuch kam, werden für den Zensus im kommenden Jahr vorwiegend die Melderegister der Kommunen und die Karteien der Bundesanstalt für Arbeit ausgewertet. Davon merken die Bürger nichts.

Aber: Bereits ab Herbst werden zusätzlich 17,5 Millionen Wohnungs- und Hauseigentümer postalisch befragt werden, weil für sie in Deutschland kein Register existiert. Und: Acht Millionen Bürgern soll außerdem ein Fragebogen vorgelegt werden, um Auskünfte zu Bildung, Ausbildung oder zur Erwerbstätigkeit von Selbstständigen zu erhalten. Diese zehnprozentige Stichprobe soll die Daten aus den amtlichen Statistiken genauer machen. Für die Befragung müssen die Kommunen bis zum 1. November Erhebungsstellen einrichten, bundesweit werden dann 70 000 Interviewer zum Hausbesuch ausschwärmen. Welche Bürger es trifft, wird nach dem Zufallsprinzip repräsentativ ermittelt. Wer die Beantwortung verweigert, muss mit einer satten Ordnungsstrafe rechnen.

Der Fragebogen ist nach jetzigem Stand zwölf Seiten lang und umfasst 57 Punkte. Derzeit wird anhand von 6000 Tests geprüft, ob die Frageführung in Ordnung und verständlich ist. Neben Daten zum Geschlecht, Alter, Geburtsort, Schulbesuch, zum Arbeitsort und zur Haushaltsgröße wird auch umfangreich nach einem möglichen Migrationshintergrund sowie zur Religionszugehörigkeit und dem Bekenntnis zu einer Glaubensrichtung gefragt - "in einer modernen Form", wie die Organisatoren versichern. Denn gerade dieser Punkt geht über den Katalog hinaus, den die EU festgelegt hatte. Im Vorfeld war daher um die Aufnahme des Religions-Komplexes in den Fragebogen heftig gestritten worden. Kritiker hatten ihn als "verfassungsrechtlich unzulässig" bewertet. Am Ende setzten sich die südlichen Bundesländer im Zuge der Gesetzgebung für das "Zensusordnungsgesetz" durch, das 2009 erlassen wurde.

Die Kommunen müssen also nicht nur ihre Register aufwendig prüfen, sondern auch organisieren, dass die Befragungen der Bevölkerung durchgeführt werden. Deshalb wird derzeit heftig über die damit verbundenen Kosten gestritten. Waren zunächst insgesamt 500 Millionen Euro für den Zensus 2011 veranschlagt, so ist man nach SZ-Informationen inzwischen schon bei über 700 Millionen Euro angelangt. Der Bund übernimmt davon aber bislang nur gut 80 Millionen Euro, auf dem Rest bleiben die Länder sitzen, die den Großteil der Rechnung nun an die Kommunen weiterreichen wollen. Bund und Länder müssten deutlich mehr übernehmen, heißt es heute schon beim Städte- und Gemeindebund. Angesichts leerer Kassen sei "jeder Euro, der zusätzlich aufgebracht werden muss, schwierig." Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung sollen übrigens erst Ende des Jahres 2012 vorliegen. Berlin. Aus dem politischen Alltag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sind Umfrageergebnisse nicht mehr wegzudenken. Trotzdem ist selbst die Kanzlerin über manche demoskopische Erkenntnis der vergangenen Jahre verblüfft. Bei der Vorstellung des zwölften Jahrbuchs "Die Berliner Republik" des Instituts für Demoskopie Allensbach empfiehlt Merkel insbesondere die Lektüre der Seite 66, wo das Selbst- und Fremdbild der Deutschen in Ost und West aufgelistet ist. Das Jahrbuch listet Umfrageergebnisse bis zum Jahr 2009 auf. Auf 914 Seiten zeigen die Demoskopen, wie es um die Deutschen in den vergangenen Jahren bestellt war, was ihre Vorlieben und Schwächen waren.

Merkels Verwunderung über die Seite 66 bezieht sich vor allem auf die Fragen nach den Eigenschaften arrogant, bescheiden, hilfsbereit und ängstlich. So empfinden sich 33 Prozent der Westdeutschen als arrogant und schreiben diese Eigenschaft 17 Prozent der Ostdeutschen zu. Diese wiederum glauben nur zu einem Prozent, dass sie arrogant sind, weisen diese wenig schmeichelhafte Eigenschaft aber 79 Prozent der Westdeutschen zu. Die Erhebung stammt aus dem Dezember 2008. "Wenn sie mich gefragt hätten, ich hätte gedacht, dass die Wahrnehmung untereinander etwas homogener ist, als sie in dieser Befragung herauskommt", sagt Merkel.

Trotz aller Begeisterung für demoskopische Petitessen zieht Merkel eine klare Grenze zwischen Demoskopie und Politik. Deutlich warnt sie die Demoskopen davor, mit ihrer Arbeit Politik machen zu wollen. Zugleich stellt sie klar, dass auch Politiker nicht der Versuchung erliegen sollten, "mit Hilfe der Demoskopie ihre Entscheidungen zu rechtfertigen". Keinesfalls will sich Merkel in Abhängigkeit von Umfragewerten begeben.

Zuletzt fühlt sich Merkel dann aber doch bestätigt von der Demoskopie. Bei der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit stehe der Zugang zu Bildung für die Deutschen an der Spitze. Die Koalition habe den richtigen Schwerpunkt gesetzt, sagte Merkel. ddp

Saarbrücken. Noch ist über ein Jahr Zeit, bis die Volkszählung in Deutschland durchgeführt wird. Im Saarland laufen die Vorbereitung für die Datenerhebung aber bereits auf Hochtouren. Neben der Erhebung über die Melderegister werden rund 100 000 Saarländer (zehn Prozent der Bevölkerung) Besuch von Mitarbeitern des Statistischen Landesamtes bekommen, kündigt Marco Hilt, stellvertretender Projektleiter beim Statistischen Landesamt, an. Ausgewählt wird nach einem statistischen Verfahren, dass eine Forschungsgruppe der Universität Trier gerade entwickelt. Das Statistische Landesamt vereinbart dann mit den Auserwählten einen Termin. Das Zensus-Prozedere soll drei Monate dauern. Nach 18 Monaten sollen erste Ergebnisse veröffentlicht werden. Bis alle Daten ausgewertet sind, dürften zwei Jahre vergehen, so Hilt. fab

"Wir liegen gerade so

im Plan."

Gert Wagner, Vorsitzender der Zensus-Kommission

Historischer Datenspeicher: Das Bild zeigt Berge von Volkszählungslisten im französischen Innenministerium um das Jahr 1939. Bei heutigen Volkszählungen werden die gewonnenen Daten zum großen Teil digital erhoben und gespeichert. Foto: interfoto

Historischer Datenspeicher: Das Bild zeigt Berge von Volkszählungslisten im französischen Innenministerium um das Jahr 1939. Bei heutigen Volkszählungen werden die gewonnenen Daten zum großen Teil digital erhoben und gespeichert. Foto: interfoto

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