Deutschland unter Druck

Es ist wie eine Wanderung durch den dunklen Wald. Die einen warnen vor dem Abgrund, die nächsten pfeifen laut. Alle eint die Hoffnung auf den rettenden Ausweg, den jedoch niemand klar sieht. Bei der Euro-Rettung sind die Mitgliedstaaten noch mitten im Wald, heißt es in deutschen Regierungskreisen

Es ist wie eine Wanderung durch den dunklen Wald. Die einen warnen vor dem Abgrund, die nächsten pfeifen laut. Alle eint die Hoffnung auf den rettenden Ausweg, den jedoch niemand klar sieht. Bei der Euro-Rettung sind die Mitgliedstaaten noch mitten im Wald, heißt es in deutschen Regierungskreisen.Die jüngste Krisen-Diplomatie führender Köpfe in Europa dürfte die Verunsicherung vieler Menschen noch vergrößert haben. Der Druck auf Deutschland wächst, noch mehr Geld für die Euro-Rettung zu zahlen und eine Haftungserklärung für die Schulden anderer Staaten abzugeben. Die Angst vor dem Scheitern der Gemeinschaftswährung wächst. Und es fehlen Antworten und Erklärungen. So tappen auch viele Politiker im Dunkeln.

Zuerst sagt der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, die EZB werde "alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten". Das könnte den erneuten Ankauf von Staatsanleihen von Krisenländern bedeuten. Dann kündigen Kanzlerin Angela Merkel, Italiens Ministerpräsident Mario Monti und Frankreichs Präsident François Hollande in der politischen Sommerpause überraschend an, "alles zu tun, um die Eurozone zu schützen". Was "alles" bedeutet, erfahren die Bürger nicht. Ist die Lage so katastrophal? Heißt "alles" wirklich alles, wird der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter gestern gefragt. "Das ist eine Fangfrage", antwortet er. Nachfrage: Will Merkel nun doch gemeinsame Staatsanleihen akzeptieren, die sie wegen des dann für Deutschland höheren Zinssatzes abgelehnt hat?

"Nein", winkt Streiter ab und erklärt: "Die Haltung der Bundesregierung zu Eurobonds, die steht nach wie vor, dass jegliche Vergemeinschaftung von Schulden, zum Beispiel in Form von Eurobonds nicht im Sinne der Bundesregierung ist." Aber was heißt dann "alles"? Streiter: "Nehmen Sie es so, wie es gesagt wurde." Nachfrage: "Wortwörtlich?" Streiter: "Ja".

Und nun? Welchen Plan haben die Euro-Regierungen denn? "Dem kann ich entgegensetzen, dass sie einen Plan haben, aber vielleicht nicht mit einem Plan auf dem Silbertablett durch die Gegend rennen."

Trotz aller Rettungsbeschwörung von Merkel bis Monti warnt Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker vor dem Zerfall der Eurozone. "Wir müssen jetzt mit allen verfügbaren Mitteln deutlich machen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu garantieren", sagt der Euro-Gruppen-Chef. Genau das hatten Draghi, Merkel, Hollande und Monti aber getan. Juncker urteilt außerdem, dass Deutschland etwas selbstherrlich mit der Eurozone umgehe, als wäre diese eine Filiale Berlins.

Doch was steckt hinter den Appellen? Griechenlands Probleme sind bekannt, das Land arbeitet mit höchster Anstrengung an einem weiteren Sparprogramm. Irland und Portugal machen Fortschritte, Spaniens marode Banken bekommen Geld aus dem Euro-Rettungsschirm EFSF. Eigentlich war die Finanzlage vergangene Woche recht übersichtlich. Möglicherweise hätten die Regierungen Informationen, dass Anleger Kapital abzögen aus Spanien und Italien, rätselt ein Finanzexperte der Opposition im Bundestag über die neue Hektik.

Spekuliert wird auch über einen bevorstehenden Antrag Madrids, mit EFSF-Kapital spanische Staatsanleihen aufzukaufen. Denn trotz der Aussicht auf bis zu 100 Milliarden Euro aus dem EFSF für die Banken muss Spanien hohe Zinsen für Kredite zahlen. Zudem hat sich die Talfahrt der viertgrößten Volkswirtschaft in der Euro-Zone verstärkt. Angesichts von Rezession und Rekordarbeitslosigkeit wird Madrids Ton gegenüber Berlin schärfer: EU-Minister Inigo Méndez de Vigo mahnt, Deutschland sollte nicht vergessen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg viele Länder zu seinen Gunsten auf Geld verzichtet haben.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekam gestern auf seiner Urlaubsinsel Sylt kurzfristig angemeldeten Besuch seines amerikanischen Amtskollegen Timothy Geithner. Bei dem gut einstündigen Gespräch betonten beide Minister, die Politik müsse "alle zur Bewältigung der Finanz- und Vertrauenskrise erforderlichen Reformschritte vereinbaren und umsetzen". Deutschland und die USA wollen zusammen mit den Partnerländern bis zum Herbst die "politische Agenda zur weiteren Stabilisierung der Volkswirtschaften weltweit und in Europa voranbringen". Auch wenn sich Geithner und Schäuble einmütig gaben - US-Präsident Barack Obama kann im Wahlkampf keine Eurokrise gebrauchen, die seine heimische Wirtschaft belastet. Auch von dieser Seite der Welt bekommt Deutschland also Druck. Juncker sagt: "Die Welt redet darüber, ob es die Euro-Zone in einigen Monaten noch gibt."

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