Deutschland sucht den Super-Kanzler"Es ist besser als die Hände in den Schoß zu legen"

Berlin. Superstars, Topmodels und Supertalente sucht Deutschland bereits - jetzt soll auch ein Super-Kanzler im Fernsehen gekürt werden. Doch "Ich kann Kanzler", eine politische Talentshow im ZDF, will keine typische Castingshow sein

Berlin. Superstars, Topmodels und Supertalente sucht Deutschland bereits - jetzt soll auch ein Super-Kanzler im Fernsehen gekürt werden. Doch "Ich kann Kanzler", eine politische Talentshow im ZDF, will keine typische Castingshow sein. "Man wird ziemlich schnell merken, dass es um Inhalte geht, um politische Visionen für Deutschland", sagt ZDF-Innenpolitik-Chefin Bettina Schausten. Die Idee: Junge Leute sollen vor laufender Kamera ihre politischen Visionen verteidigen, beweisen, dass sie das Zeug zum Bundeskanzler haben - und so im Superwahljahr vor allem junge Erwachsene wieder für Politik begeistern. Mehr als 2500 Kanzler-Bewerbungen sind beim ZDF eingegangen.

Deutlich weniger zwar als die 600 000 für "Deutschland sucht den Superstar" - doch die Anforderungen an einen Kanzler sind auch alles andere als gering: Eine mitreißende politische Idee ist gefragt.

Diese reichen bei den Kandidaten von "Parteien abschaffen", über Jugendquoten im Bundestag bis hin zur Forderung: "Macht mehr Kinder".

Von Jungliberalen bis zu jungen Grünen oder CSU-Anhängern und vielen Parteilosen ist das gesamte politische Spektrum vertreten.

Der größte Unterschied zu Privatsender-Castingshows? "Es wird nicht gesungen", sagt Schausten lachend. Ihre politische Idee präsentieren die Kandidaten angelehnt an das kanadische Format "Canada's Next Great Prime Minister" zunächst im Internet, dann live vor der Jury - und so mancher Bewerber wird hoffen müssen, dass "Ich kann Komma" in der schriftlichen Bewerbung nicht zu den Voraussetzungen für einen künftigen Kanzler gehört.

Der Münchener Delano Osterbrauck hat es ohne Komma-Fehler bis ins Finale der besten sechs geschafft. Mit 18 Jahren gehört er zu den jüngsten Kanzler-Kandidaten. "Vielfalt ist unsere Stärke" ist sein Wahlslogan, Integration und Gleichstellung sind seine Themen. Wenn es nach den Fans im Internet geht, hat der dunkelhäutige Schüler damit - und nicht zuletzt mit seiner Ähnlichkeit zu US-Präsident Barack Obama - beste Chancen auf den Sieg. Als Hauptpreis würde ihm ein Praktikum bei der Bundesregierung winken. Doch zuvor müssen Osterbrauck und seine fünf Konkurrenten in der Finalshow am 19. Juni die Jury überzeugen. Darin sitzt laut Schausten "kein Dieter-Bohlen-Typ", sondern Schauspielerin Anke Engelke, Moderator Günther Jauch und Bremens Ex-Bürgermeister Henning Scherf.

"Es geht uns nicht darum, die Kandidaten lächerlich zu machen", betont die ZDF-Politik-Chefin Schausten. Vielmehr solle die Show "eine neue Form der Politikberichterstattung für junge Erwachsene" sein.

"So eine politische Talentshow", meint Politikwissenschaftler Wolfgang Gaiser vom Deutschen Jugendinstitut, "kann Jugendliche durchaus für Politik begeistern". Zwar interessierten sie sich oft nur wenig für Parteien. "Konkrete Themen und die politische Gestaltung ihrer Zukunft sind ihnen trotzdem wichtig - nur eben unabhängig von Parteidebatten". Klassische Politikberichterstattung, das weiß man auch beim ZDF, spricht junge Erwachsene kaum an. "Damit können wir uns nicht zufrieden geben", gibt Schausten zu.

"Dass man mit der Show der Politikverdrossenheit entgegensteuern will, ist natürlich sehr idealistisch gedacht", meint Kandidatin Katja Leveling. "Doch es ist nötig." Die 27 Jahre alte Politiklehrerin aus Lingen (Niedersachsen) hat es nicht bis ins Finale geschafft. Und doch war die Bewerbung für sie ein voller Erfolg: "Ich wollte ein Vorbild für meine Schüler sein", sagt Leveling. Im Unterricht hätten ihre Wahlkampf-Ideen engagierte Diskussionen ausgelöst. "Die Schüler haben gemerkt, dass Politik Spaß machen kann."Finden Sie ein Format wie "Ich kann Kanzler" geeignet, um politische Hintergründe den Jugendlichen näher zu bringen?

Jellonnek: Ich finde es gut, dass man mit neuen Ideen versucht, etwas gegen Politikverdrossenheit zu unternehmen. Das kann dieses Format auch leisten. Aber wenn ich mir anschaue, dass in der Jury Günther Jauch sitzt, der mal gesagt hat "Politiker alle in einen Sack stecken, drauf hauen, man trifft garantiert den richtigen", dann zeugt das für mich nicht von einer sensiblen Herangehensweise. Man muss schon genau auf die Unterschiede zwischen den Parteien schauen und diese herausarbeiten. Das muss man Jugendlichen vermitteln.

"Deutschland sucht den Superstar" hat hohe Einschaltquoten. Kann man den Erfolg einfach auf die Politik übertragen und damit Jugendliche erreichen?

Jellonnek: Man muss sich erstmal überlegen, ob die Zielgruppe wirklich das ZDF guckt und sich davon angesprochen fühlt. Der Altersdurchschnitt spricht dagegen.

Es gibt viele Ansätze, Jugendliche zu erreichen. Kann das funktionieren oder müssen das die Jugendlichen von sich aus wollen?

Jellonnek: Wir haben mit dem Wahl-O-Mat hervorragende Erfahrungen gemacht, bei dem spielerisch Thesen zu den Grundhaltungen formuliert worden sind und man sieht, welcher Partei man näher oder ferner steht. Das macht deutlich, dass man differenziert hinschauen kann. Wir vermitteln viel zu häufig den Eindruck, dass Politik irgendwo in Berlin gemacht wird und junge Leute das Gefühl haben, es hat nichts mit ihnen zu tun. Aber Politik heißt, sich in die Verhältnisse einzumischen und das müssen wir rüber bringen. Und da ist jedes Mittel ein besseres, als die Hände in den Schoß zu legen.

Wie sehr, meinen Sie, wird der Show-Charakter die thematischen Inhalte überlagern?

Jellonnek: Es ist eine Gefahr, dass der Einzelne über seine Persönlichkeit die Inhalte überdeckt und derjenige gewinnt, der am besten rüberkommt und nicht der, der die besten Inhalte hat. Und man muss aufpassen, dass nicht die Nachwuchs-Rhetoriker aus den Parteien hier das Rennen machen. "Man wird ziemlich schnell merken, dass es um Inhalte geht, um politische Visionen für Deutschland."

Bettina Schausten, Innenpolitik-Chefin des ZDF

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