Deutschland muss Abschiebehaft reformieren

Luxemburg/Saarbrücken · Mangels entsprechender Einrichtungen landen Flüchtlinge in mehreren Bundesländern vor ihrer Abschiebung in Gefängnissen. Dort unterliegen sie ebenso strengen Bedingungen wie Kriminelle. Der EU-Gerichtshof schiebt dieser Praxis nun einen Riegel vor.

Sie sind vor Krieg und Elend geflüchtet, haben Gewalt oder Folter erlebt - und sitzen schließlich neben verurteilten Kriminellen im Gefängnis. Es klingt unglaublich, doch sind solche Flüchtlingsschicksale in Deutschland Realität. Mehrere Bundesländer haben für Menschen, die abgeschoben werden sollen, derzeit keine speziellen Einrichtungen. Häufig finden sich die Migranten deshalb in gewöhnlichen Justizvollzugsanstalten wieder - eine Praxis, die Menschenrechtler und Kirchen seit Jahren scharf kritisieren. Denn in Haftanstalten würden auch Flüchtlinge sehr strengen Bedingungen unterliegen: So dürfen sie nur selten Besuch empfangen, kaum telefonieren und kein Bargeld besitzen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ändert jetzt die Situation für Flüchtlinge grundlegend. Sie dürfen nicht mehr in regulären Gefängnissen untergebracht werden. Eine solche Abschiebehaft sehen die Luxemburger Richter als klaren Verstoß gegen geltende EU-Bestimmungen. Dem Verfahren lagen drei Fälle aus Hessen , Nordrhein-Westfalen und Bayern zugrunde. Alle drei illegalen Zuwanderer waren bis zu ihrer Abschiebung in normalen Haftanstalten und gemeinsam mit den übrigen Strafgefangenen untergebracht worden (Aktenzeichen: C-473/13, C-514/13, C-474/14). Und zwar gegen die geltende Rückführungs-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2008. Diese sehe ausdrücklich eine Haft in "speziellen Einrichtungen" vor. "Unabhängig von der Verwaltungs- und Verfassungsstruktur des Mitgliedstaates" müsse diese Praxis sichergestellt sein, heißt es im Richterspruch.

In der Bundesrepublik ist die Abschiebung Ländersache. Allerdings haben nur acht der 16 Länder dafür gesonderte Einrichtungen. Nach Angaben der Organisation Pro Asyl werden "illegal eingereiste Drittstaatsangehörige" in Baden-Württemberg, Hessen , Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen in normalen Gefängnissen untergebracht. Bayern hat inzwischen entsprechende Häuser bereitgestellt. Sachsen bringt Abschiebe-Flüchtlinge in Anstalten der Nachbarländer unter. Das Saarland kooperiert mit Rheinland-Pfalz. Flüchtlinge , die abgeschoben werden sollen, werden "nicht in einem Gefängnis", sondern in der Ingelheimer "Gewahrsams einrichtung für Ausreisepflichtige" untergebracht, bestätigt ein Sprecher des Saar-Innenministeriums unserer Zeitung. Allerdings steht die Einrichtung in der Kritik. Unter anderem gilt sie als überdimensioniert und angesichts der geringen Häftlingszahlen mit jährlichen Kosten in Höhe von rund fünf Millionen Euro als viel zu teuer.

Der Gerichtshof in Luxemburg forderte die Bundesrepublik jetzt auf, "unabhängig von der föderalen Struktur" dafür zu sorgen, dass die Betroffenen entsprechend den europäischen Vorgaben bis zu ihrer Abschiebung versorgt werden. Von dieser Verpflichtung könne sich ein Bundesland auch nicht dadurch freikaufen, dass es die schriftliche Zustimmung eines Flüchtlings für die Unterbringung in einem normalen Gefängnis einfordert. Dieser Vorwurf richtet sich gegen die zuständigen bayerischen Stellen, die im Falle einer Klägerin deren Einwilligung für eine Überstellung in ein reguläres Gefängnis verlangt hatten.

In Deutschland werden Flüchtlinge dann in Abschiebehaft genommen, wenn ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wurde und sie auf ihre Rückführung in das Herkunftsland warten. "Von diesen Menschen geht keine Gefahr aus", findet Marei Pelzer, rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl . Generell sinken die Zahlen inhaftierter Flüchtlinge hierzulande aber seit Jahren. Nach Angaben der Bundesregierung wurden 2008 noch 8800 Personen ausgewiesen. Drei Jahre später waren es noch 6400 Ausländer. Neuere Angaben liegen nicht vor.

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