Deutschland im Stress – wenn der Druck zu groß ist

Berlin · Für jeden zweiten Deutschen gehört laut einer neuen Studie Druck zum Alltag. Wer keine Balance findet und die innere Unruhe nicht mehr wegbekommt, kann vom Stress auch ernsthaft krank werden.

Zunächst war er oft müde, dann ging die Erschöpfung gar nicht mehr richtig weg und der Skispringer Sven Hannawald fühlte sich wie in Trance. Er empfand es so, als würde er an den Dingen um ihn herum nicht wirklich teilnehmen. Doch was war los? "Dass ich nichts gebrochen hatte, war mir klar", sagt er. Er ging zu Ärzten, ließ sich körperlich untersuchen. Zunächst ohne Ergebnis. "Selbst wenn es Krebs gewesen wäre, hätte ich den Grund gehabt." Aber die Ursache für sein Leiden blieb ihm verborgen - bis das Burn-out-Syndrom festgestellt wurde.

Neben Hannawald sitzt am Mittwoch der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, und hört aufmerksam zu. Es sind neun Jahre vergangen seit der Diagnose bei dem Skispringer. Heute gebe es mehr Aufmerksamkeit für das Problem, meint der Sportler. Baas zeigt sich skeptisch. Denn die Diagnostik erfordere Zeit. "Die Vergütungssysteme geben das nicht unbedingt her." Ärzte verdienten oft mehr durch Laboruntersuchungen als durch Gespräche.

Öffentlich wird aber immer mehr über Ausgebranntsein und Stress geredet. Das liegt auch an den Krankenkassen, die seit Jahren immer mehr Krankheitstage wegen psychischer Leiden bei ihren Versicherten verzeichnen, Krankengeld zahlen - und regelmäßig Reports zum Thema vorlegen. Nun hat die TK Deutschland einem Stresstest unterzogen - Ergebnis: Jeder Zweite ist häufig oder manchmal gestresst. Millionen Menschen fühlen sich mehr unter Druck als noch vor wenigen Jahren.

Woran liegt das? Überraschend klingen die Ergebnisse nicht, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im TK-Auftrag ermittelt hat. Der Job ist aus Sicht der Betroffenen die Hauptursache, dabei vor allem, wenn er ein Zuviel an Arbeit mit sich bringt. Wer hohe Ansprüche an sich anlegt, immer alles perfekt machen will, ist gestresster. Wer Karriere, Kinder und vielleicht auch noch das Kümmern um die eigenen Eltern unter einen Hut bringen muss, gerät eher unter Druck.

Doch was hat das mit einem Schicksal wie dem von Spitzensportler Hannawald zu tun? Psychotherapeuten wie der Dortmunder Oberarzt Hans Joachim Thimm haben anlässlich einer Fachtagung über Modediagnosen in der Psychiatrie im Sommer gewarnt, Dinge wie Stress, Depressionen und Burn-out zu vermischen. Baas selbst räumt ein: Stress sei nicht unbedingt schlecht. Aber: "Stress wird zum Problem, wenn ich nicht mehr herauskomme." Und immerhin fühlt sich ein Fünftel der Erwachsenen in Deutschland laut der TK-Umfrage häufig im Stress.

Stress, Sorgen und private Konflikte gehen demnach oft mit Krankheiten einher. Wer einen hohen Stresslevel hat, hat zu 73 Prozent auch Rückenschmerzen oder Muskelverspannungen. Menschen ohne solchen Druck geben dies mit 52 Prozent an. Auch Schlafstörungen, Nervosität, Kopfschmerzen, Stimmungstiefs und Magenbeschwerden kommen bei Menschen unter Strom häufiger vor. Die Risiken steigen vor allem bei jenen, die Schwerkranke im nahen Umfeld haben, Angehörige pflegen, von Eheproblemen oder finanziellen Sorgen geplagt sind. Sportler Hannawald rät, auf Alarmsignale des Körpers zu reagieren, und "rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, wenn der Druck zu groß wird".

Für Mediziner ist der Einfluss von Stress auf die Gesundheit nicht überraschend. Stresssymptome sind für sie ein Hinweis auf zu hohe Reize. Der Körper reagiert mit innerer Unruhe. Damit einhergehende Störungen im Hormonhaushalt können etwa zu Herz-Kreislauf-Problemen oder Magengeschwüren führen. Etwas anders gelagert können die Dinge bei Burnout liegen, wieder etwas anders bei Depressionen, auch wenn es Überschneidungen gibt.

Eingängig hat die TK nun die Reaktionen auf Stress eingeteilt - in drei Typen. Für die meisten gilt demnach das Motto: "Augen zu und durch." Jeder Sechste gebe aber zu, den Kopf in den Sand zu stecken und zu warten, bis der Sturm vorbeizieht. Ebenso viele fühlen sich durch Stress erst richtig angespornt. Auch hier zeigt sich allerdings die Notwendigkeit, die Dinge auseinanderzuhalten. Von monotoner Arbeit Gestresste fühlen sich etwa weit weniger motiviert als Menschen in ständigem Konkurrenzdruck.

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HintergrundEgal, ob im Job oder im Privatleben: Es geht nicht immer alles glatt. Wer das jedoch stets von sich selbst erwartet, ist schnell gestresst, wenn etwas schiefgeht. Daher sollte man überlegen, zu welchen Leistungen man in welcher Zeit tatsächlich in der Lage ist, rät Professor Jan Mayer von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken. Und jeder müsse abwägen, wann es eher angebracht sei, einfach mal "Nein" zu sagen. Ein Hinweis auf zu hohe Ansprüche kann laut Mayer sein, "dass man dauerhaft seine selbst gesetzten Ziele nicht erreicht". Ein weiteres Anzeichen könne es sein, wenn man objektiv gesehen erfolgreich und dennoch nicht zufrieden ist mit der eigenen Leistung. dpa

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