Demografischer Wandel Weitere Zuwanderer dringend gesucht

Gütersloh · Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Der Arbeitsmarkt braucht hunderttausende Zuwanderer, um den Bedarf zu decken.

 Ein Motorrad für den einmillionsten Gastarbeiter, den Portugiesen Armando Rodrigues im Jahr 1964. Künftig wird sich Deutschland nicht mehr auf Einwanderung aus der EU verlassen können.

Ein Motorrad für den einmillionsten Gastarbeiter, den Portugiesen Armando Rodrigues im Jahr 1964. Künftig wird sich Deutschland nicht mehr auf Einwanderung aus der EU verlassen können.

Foto: picture-alliance / dpa/Horst_Ossinger

Ärztemangel, Pflegenotstand, Fachkräfte-Engpässe – der deutsche Arbeitsmarkt braucht einer Studie zufolge mittel- und langfristig Jahr für Jahr mindestens 260 000 Zuwanderer. In einer alternden Gesellschaft werde das Angebot an Arbeitskräften ohne Migration bis zum Jahr 2060 um rund 16 Millionen Personen – also um fast ein Drittel – massiv schrumpfen. Das prognostiziert eine Untersuchung im Auftrag der BertelsmannStiftung, die gestern veröffentlicht wurde. Experten sagen dazu: Es wird ein äußerst harter Job, so viele möglichst qualifizierte Menschen aus dem Ausland zu rekrutieren.

Die Einwanderung aus anderen EU-Ländern werde im Vergleich zu den vergangenen Jahren abnehmen, nimmt die Studie an. Der Grund: In Europa dürften sich allmählich Wirtschaftskraft und Lebensqualität angleichen. Damit sinkt der Reiz, zur Arbeit nach Deutschland zu kommen. Folglich werde die Bedeutung einer Zuwanderung aus außereuropäischen Drittstaaten wachsen, schreiben die Studienautoren des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sowie der Hochschule Coburg.

Wie kalkuliert die Untersuchung? Im Jahresdurchschnitt hält sie 114 000 Zugänge aus dem EU-Ausland und 146 000 aus Drittstaaten für nötig, um den demografiebedingten Rückgang des Arbeitskräfte-Angebots auf ein „für die Wirtschaft verträgliches Maß“ zu begrenzen. Dabei gelte: In dem Maße, in dem der Zuzug aus der EU abnehmen werde, wachse der Bedarf an Immigranten aus Drittstaaten. Bis 2035 brauche der deutsche Arbeitsmarkt jährlich 98 000, zwischen 2036 und 2050 nahezu 170 000 und zwischen 2051 und 2060 dann 200 000 Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern – im Schnitt mache das also 146 000 Migranten aus Drittstaaten pro Jahr von 2018 bis 2060.

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) kommt bei seiner Prognose von 2018 bis 2035 sogar auf einen Bedarf von 286 000 ausländischen Arbeitskräften im Jahr. Neben Pflege, Gesundheit und einigen Handwerksberufen sei der Personalmangel auch in den Bereichen Logistik und Bahnverkehr stark, sagte der Arbeitsmarktforscher Tobias Maier. Und, ein noch wenig beachtetes Feld: „Rund 40 Prozent der heute in der Landwirtschaft tätigen Erwerbspersonen wird im Jahr 2035 jenseits des Renteneintrittsalters sein.“

Die Wirtschaft sehnt Erleichterungen beim Zuzug von Arbeitskräften herbei. Eine möglichst passgenaue Steuerung der Zuwanderung sei kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel, aber ein wichtiger Baustein, betonte Bertelsmann-Migrationsexperte Matthias Mayer. Das geplante Einwanderungsgesetz solle möglichst schnell verabschiedet werden, forderte Jörg Dräger vom Stiftungsvorstand in Gütersloh. FDP und Grüne monierten allerdings, mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Fachkräfte-Einwanderungsgesetz könne der Bedarf bei Weitem nicht gedeckt werden.

Stand heute ist: Zuwanderer aus dem Ausland arbeiten vergleichsweise häufig als Helfer, seltener als Fachkraft und kaum als Spezialist oder Experte, wie die Studie feststellt. 2017 waren demnach von 60 000 Einreisenden aus Nicht-EU-Ländern 23 000 ohne Berufsausbildung. Dräger stellte jedenfalls klar: Selbst bei einer Rente mit 70 lasse sich der Fachkräftebedarf mit inländischen Mitteln definitiv nicht decken.

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