Des Zaren 63 ProzentDie Vollmachten des russischen Präsidenten

Moskau. "Diesen Sieg geben wir niemanden", ruft der Noch-Präsident Dmitri Medwedew in die Menge vor dem Roten Platz. Es ist später Abend, als er mit seinem Nachfolger auf die blaue Bühne tritt. Der Bald-Präsident Wladimir Putin sagt nur "Danke - für den Sieg im offenen und sauberen Kampf." Das klingt fast bescheiden

 Wladimir Putin gibt am Sonntagvormittag seine Stimme ab. Am Abend konnte er seinen haushohen Sieg feiern. Foto: Nikolsky/dpa

Wladimir Putin gibt am Sonntagvormittag seine Stimme ab. Am Abend konnte er seinen haushohen Sieg feiern. Foto: Nikolsky/dpa

Moskau. "Diesen Sieg geben wir niemanden", ruft der Noch-Präsident Dmitri Medwedew in die Menge vor dem Roten Platz. Es ist später Abend, als er mit seinem Nachfolger auf die blaue Bühne tritt. Der Bald-Präsident Wladimir Putin sagt nur "Danke - für den Sieg im offenen und sauberen Kampf." Das klingt fast bescheiden. Bis er dann doch loslegt und gegen die "Provokateure" wettert, die nichts anderes im Sinne hätten, als das "große Russland-Reich zum Zerfall zu bringen". 63 Prozent sind dem 59-Jährigen nach ersten Auszählungen der Stimmzettel sicher, das reicht für den Sieg im ersten Wahlgang. Putin kehrt für die kommenden sechs Jahre in den Kreml zurück.Als Moskau am Vortag schlafen geht, ist Pewek auf den Beinen. Pewek, das eigentlich Peekin heißt, auf Tschuktschisch, der Sprache der Indigenen auf Tschukotka, dieser fernöstlichen Halbinsel am Nordpolarmeer. Zwei Wahlurnen stehen in der Sowjetstraße 22 und drei Wahlkabinen. Es ist ein Kommen und Gehen in der 4000-Einwohner-Stadt. Die Tschukotka-Bewohner sind die ersten im größten Land der Erde, die ihre Stimme für einen neuen Präsidenten abgeben. Da ist längst klar, dass es ein alter wird: Wladimir Putin.

"Putin, Putin", rufen seine Anhänger dem Noch-Premier am Abend in Moskau entgegen. Der Funke der Begeisterung springt aber nicht über. Viele sind mit ihrem Arbeitskollektiv auf den Manegeplatz gekommen. "Der Präsident ist gewählt, und einen neuen Präsidenten muss man feiern", sagt die 31-jährige Marina und bemerkt sogleich, sie selbst sei "nicht so richtig in Feierlaune". "Hoffen wir, dass es uns besser gehen wird. Ein anderer als Putin kann es ja doch nicht machen."

110 Millionen Wahlberechtigte haben über neun Zeitzonen hinweg in 96 000 Wahllokalen abgestimmt. Rund 450 000 Sicherheitskräfte verteilten sich quer durchs Land. Moskau glich einer Festung. Eine Demonstration Putinscher Stabilität. Die Wahlbeteiligung, so die ersten Zahlen, lag bei mehr als 55 Prozent. Heute will die Zentrale Wahlkommission das amtliche Endergebnis mitteilen. Auf Platz zwei kam der Kommunistenführer Gennadi Sjuganow - mit 17 Prozent. Auf dem dritten landete der Milliardär Michail Prochorow mit sieben Prozent.

Der 70-jährige Moskauer Kusma hatte am Morgen Sjuganow gewählt - und auf den zweiten Wahlgang gesetzt, wie seine Enkelin Vera. "Auch wenn wir keine Alternative haben, so haben wir wenigstens die Wahl, hierher zu kommen und zu sagen: So nicht mehr!", sagt die 26-Jährige. Es hat nicht gereicht. Wahlbeobachter melden derweil eine Vielzahl an Manipulationsversuchen. Es gebe genauso viele Verletzungen wie bei der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl im vergangenen Dezember, teilt Russlands unabhängige Organisation "Golos" (Stimme) mit. Mal stehen falsche Namen auf den Wahllisten, mal gibt es keine Wahlurnen in den Wahllokalen. Im Internet tauchen Videos auf, die dokumentieren sollen, wie dreist gefälscht wird: Vor allem werfen die Menschen mehrere Listen ein.

Nahezu jedes Wahllokal hat Putin mit Webkameras ausstatten lassen, die die Abstimmung, mal in einer Schule, mal in einer Wohnung, live ins Internet übertragen. Damit niemand der Regierung vorwerfen könne, die Wahlen seien manipuliert worden. Es dient aber lediglich der Beruhigung. Die unscharfen Webbilder liefern zwar unterhaltsame Bilder. Doch sie zeigen nicht, was neben den Wahlurnen passiert, auch nicht, was geschieht, wenn die Kameras aus sind. Das aber interessiert die Staatsführung nicht.Moskau. Die Kompetenzen des russischen Präsidenten sind weitreichend: Das direkt vom Volk gewählte Staatsoberhaupt bestimmt die Ausrichtung der gesamten Innen- und Außenpolitik. Faktisch sind ihm auch die Schlüsselressorts Justiz und Verteidigung untergeordnet. Der Kremlchef hat den Oberbefehl über die Streitkräfte inklusive der Atomwaffen. Darüber hinaus verfügt er auch über das Recht, den Ministerpräsidenten zu entlassen. Spätestens zwei Wochen nach seinem Amtsantritt schlägt das Staatsoberhaupt dem Parlament seinen Regierungschef vor, der allerdings mit absoluter Mehrheit bestätigt werden muss.

Der Regierungschef legt im Einklang mit Präsidialerlassen und Gesetzen die grundlegende Ausrichtung der Regierungstätigkeit fest und organisiert sie. Die mehr als ein Dutzend Militär- und Sicherheitsorgane, zu denen Armee, Polizei und Geheimdienste gehören, müssen direkt an den Präsidenten berichten.

Für den Fall, dass das Staatsoberhaupt zurücktritt, übernimmt der Regierungschef die Amtsgeschäfte des Präsidenten, jedoch nur mit eingeschränkten Befugnissen. Dann würde der Regierungschef den Termin für die Neuwahl des Präsidenten festsetzen.

Während das Staatsoberhaupt im Kreml am Roten Platz residiert, hat der Regierungschef seinen Amtssitz im zweieinhalb Kilometer entfernten Weißen Haus am Ufer der Moskwa. Zuletzt regierten Boris Jelzin (1991-1999), Wladimir Putin (2000-2008) und Dmitri Medwedew (seit 2008) im Kreml. dpa

Hintergrund

Der "Atomkoffer" zur potenziellen Startfreigabe von Nuklearraketen wird vom neuen russischen Präsidenten übernommen. Das Macht-Utensil dient der störungsfreien Übertragung von chiffrierten Nachrichten. Sollten die eigenen Radarsysteme einen Angriff auf Russland registrieren, kann nur mit Hilfe des Handkoffers die Freigabe zum nuklearen Gegenschlag erfolgen. Außer dem Präsidenten haben der Verteidigungsminister und der Generalstabschef einen solchen Koffer ständig in greifbarer Nähe.

 Wladimir Putin gibt am Sonntagvormittag seine Stimme ab. Am Abend konnte er seinen haushohen Sieg feiern. Foto: Nikolsky/dpa

Wladimir Putin gibt am Sonntagvormittag seine Stimme ab. Am Abend konnte er seinen haushohen Sieg feiern. Foto: Nikolsky/dpa

Nur wenn alle drei Amtsträger den Abschuss mit ihren Freigabecodes bestätigen, starten die Raketen. Die Tradition der Atomkoffer entstand zu Sowjetzeiten Anfang der 1980er Jahre. Bis dahin hätten die Oberbefehlshaber der Streitkräfte persönlich zur Kommandozentrale kommen müssen, um den Abschussbefehl zu geben. Russland verfügt über das nach den USA größte Atomwaffenarsenal. dpa

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