Der weite Weg zur besseren Förderung armer Kinder

Berlin. 3,11 Euro sieht der aktuelle Hartz-IV-Regelsatz für die tägliche Verpflegung eines Kindes vor. 2,30 Euro allein kostet aber schon im Schnitt das Mittagessen in der Ganztagsschule oder in der Kita. Da bleiben im Budget des Kindes für Frühstück und Abendbrot nicht mal ein Euro übrig

Berlin. 3,11 Euro sieht der aktuelle Hartz-IV-Regelsatz für die tägliche Verpflegung eines Kindes vor. 2,30 Euro allein kostet aber schon im Schnitt das Mittagessen in der Ganztagsschule oder in der Kita. Da bleiben im Budget des Kindes für Frühstück und Abendbrot nicht mal ein Euro übrig. Die Folge: Viele Kinder aus armen Familien melden sich bei der Mahlzeit ab und schauen zu, wie die anderen gemeinsam essen. Viele müssen auch bei Klassenfahrten, Partys, Musikunterricht oder auch beim Sport passen - trotz zahlreicher, aber leider häufig nur regional begrenzter Hilfsangebote. Doch das soll künftig anders werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil im Februar die bisherigen pauschalen Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt und vom Bund spätestens zum 1. Januar 2011 eine Neuberechnung verlangt. Zugleich forderten die Richter ein, dass künftig dabei auch die individuellen Bedürfnisse der knapp zwei Millionen Kinder in Hartz-IV-Familien berücksichtigt werden - Nachhilfe, Schulessen oder Besuche von Extra-Kursen, Sportvereinen und Schwimmbädern. Kurzum: Mehr Teilhabe am kulturellen Leben auch für diese Kinder. Vier Monate hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU, Foto: ddp) noch für die Neuregelung Zeit - bis der einklagbare Rechtsanspruch auch für die individuellen Zusatzleistungen greift.Mit ihrem geplanten Bildungs-Chip - das werfen die SPD-geführten Bundesländer nun von der Leyen vor - tue die Ministerin den zweiten Schritt vor dem ersten. Zunächst müsse nach dem Urteil der Bedarf für die Kinder grundsätzlich völlig neu berechnet werden. Zudem kann der Bildungs-Chip nach den Worten der Ministerin nicht zum 1. Januar 2011 bundesweit eingeführt werden. Mehrfach haben alle Länder bei von der Leyen Berechnungen angemahnt, bei denen sie auch beteiligt werden wollen. Bei dem vierstündigen Bund-Länder-Treffen am Freitag sagte von der Leyen jetzt die Vorlage bis Ende September zu. Die Berechnung der so genannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) - Grundlage der Hartz-IV-Regelsätze - ist kompliziert. Basis ist eine dreimonatige Analyse der Ausgaben von 60 000 Haushalten. Von der Leyen und die meisten Länderminister haben bei der besseren Förderung nicht nur die Hartz-IV-Kinder im Blick sondern auch die Kinder aus so genannten Aufstocker-Familien und von Alleinerziehenden. Laut dem jüngsten Bildungsbericht von Bund und Ländern sind in Deutschland insgesamt 3,4 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren vom Armutsrisiko bedroht. Einig ist sich von der Leyen mit den meisten Sozial- und Bildungsministern der Länder auch, dass diese Kinder am besten durch einen Mix von Geld- und Sachleistungen gefördert würden. Ob das per konventionellem Gutschein aus Papier geschieht oder per Chipkarte - das ist vielen Ländern wie auch dem Städtetag im Grunde egal. Der allergrößte Widerstand gegen Sachleistungen statt Geld kommt allerdings aus der CSU: "Misstrauensvotum für Eltern" titelte das CSU-Parteiorgan "Bayernkurier" in dieser Woche - um dann auch im Innenteil gegen von der Leyens "Super-Nanny-Staat" zu wettern. Zur besseren Förderung der Kinder aus armen Familien setzen die SPD-Länder wie auch viele Kommunen vor allem auf den Ausbau vorhandener Strukturen, wie Kitas und Ganztagsschulen, an denen es auch Nachhilfe geben soll. Dafür fordern sie allerdings vom Bund mehr Geld.Für ihr Bildungschip-Projekt braucht von der Leyen die Zustimmung des Bundesrates - dort hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr. Doch zunächst muss die Ministerin für den am 20. Oktober angestrebten Kabinettsbeschluss erst einmal das Unionslager einen, das derzeit noch mit vielen Zungen spricht.

HintergrundIn Bremerhaven und Schwerin leben deutschlandweit die meisten Kinder von Hartz-IV-Leistungen: jeweils 38 Prozent. Im April 2010 waren es nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit in Bremerhaven 5681 Kinder unter 15 Jahren. Insgesamt wohnten in der Stadt 15 118 Kinder in diesem Alter (Stand: Ende 2008). In der Seestadt gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit, weil zahlreiche Arbeitsplätze in der Werftenindustrie und der Fischerei verloren gingen. In Schwerin wurde im gleichen Jahr für 3712 von 9830 Kindern unter 15 Hartz-IV-Geld überwiesen. dpa

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