Der verlockende Ruf der Wirtschaft

Wenn Topmanager der großen deutschen Konzerne ein dringendes Anliegen haben, wenden sie sich schon einmal direkt ans Kanzleramt. Wie ihre Vorgänger trifft sich Regierungschefin Angela Merkel (CDU) auch regelmäßig mit Vorständen, ob aus der Autobranche oder der Luftfahrt.

Umgekehrt wurde inzwischen aber zum wiederholten Mal bekannt, dass die Wirtschaft Lobbyisten aus den innersten Kreisen der Macht engagiert. Jetzt soll sogar der gerade ausgeschiedene Chef des Kanzleramts und Merkel-Vertraute Ronald Pofalla Manager bei der Bahn werden, zuständig für politische Beziehungen.

Die Regierungszentrale ist keine Behörde wie jede andere. Das Kanzleramt erfährt von wichtigen, oft brisanten Themen aller Fachministerien. Auch in Konflikte auf EU-Ebene schaltet es sich gelegentlich entscheidend ein. "Es ist inakzeptabel, dass das Kanzleramt sich zu einem Talentepool für Unternehmenslobbyisten entwickelt", moniert Timo Lange von der Organisation LobbyControl. Tatsächlich wäre CDU-Mann Pofalla nicht der erste aus Merkels Amt, der die Seite wechselt. Die frühere Staatsministerin Hildegard Müller (CDU) ging 2008 als Hauptgeschäftsführerin zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Erst im vergangenen November heuerte Staatsminister Eckart von Klaeden (CDU) als "Leiter Politik und Außenbeziehungen" beim Autokonzern Daimler an. Bekanntgeworden waren seine Karrierepläne schon Monate zuvor, was Vorwürfe auslöste. "Der Bürger muss den Eindruck haben, ab sofort sitzt Daimler-Benz am Kabinettstisch", wetterte die SPD noch aus der Opposition.

Betraut war Klaeden im Wesentlichen mit Bürokratieabbau. Trotzdem bekam er in den üblichen Umläufen auch einige Vorlagen zu CO{-2}-Regeln für Autos zur Kenntnis. Die Regierung betont jedoch, dafür zuständig gewesen sei er nicht. Auch Pofalla kümmerte sich um diverse Angelegenheiten -schließlich hat es der Amtschef "mit dem gesamten Spektrum der deutschen Politik zu tun", wie Vize- Regierungssprecher Georg Streiter sagt. "Ich glaube nicht, dass er jetzt der Spezialist für Eisenbahn im Kanzleramt war." Pofalla traf aber immerhin seit 2009 neunmal Bahn-Vertreter zu Gesprächen.

Interessant für Unternehmen sind Insider des Politikbetriebs indes ohnehin nicht als Fachleute für Schienen- oder Autotechnik. Wertvoll sind vor allem Kontakte und Kenntnisse der Abläufe in Berlin und Brüssel. Von der Expertise eines Politikers wie Pofalla könnten Konzerne profitieren, argumentiert CDU-Bundesvize Armin Laschet. Gerade bei der Bahn sind wichtige Weichenstellungen nach wie vor stark politisch bestimmt. Wenn ein Vorstandsvorsitzender gekürt wird, hat das Kanzleramt traditionell das entscheidende Wort. Politisch heikle Themen begleiten Bahnchef Rüdiger Grube auch im Alltag - wie zum Beispiel beim Projekt Stuttgart 21.

Dass Pofalla jetzt für einen gut dotierten Posten ausgerechnet bei einem Staatskonzern gehandelt wird, sieht Grünen-Chefin Simone Peter kritisch. "Es entsteht der Eindruck, dass es vor allem um die Versorgung eines engen Merkel-Vertrauten und weniger um die Interessen der Bahn und ihrer Kunden geht", sagte die Saarländerin.

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HintergrundRonald Pofalla ist als schneller Seitenwechsler von der Politik in die Wirtschaft in prominenter Gesellschaft. Einige Beispiele: Kurt Beck wechselte 2013 nur wenige Monate nach seinem Rücktritt als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident als Berater zum Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Roland Koch (CDU) zog sich im Jahr 2010 freiwillig als Ministerpräsident von Hessen zurück. Seit 2011 ist er Vorstandschef beim Baukonzern Bilfinger Berger. Kritik gab es, weil Bilfinger Berger in der Regierungszeit Kochs einen 80-Millionen-Euro-Auftrag am Flughafen Frankfurt erhalten hatte.Gerhard Schröder (SPD) nahm 2005 den Posten als Aufsichtsratschef eines deutsch-russischen Konsortiums für den Bau einer Gaspipeline durch die Ostsee an. Als Bundeskanzler hatte er zuvor das Geschäft mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin politisch in die Wege geleitet. afp

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