Der Unruhestifter

Schon zu Lebzeiten verneigten sich viele mächtige Frauen und Männer vor ihm. Nelson Mandela war 1,93 Meter groß, doch er war größer als groß, geradezu überlebensgroß.

Der einst berühmteste Gefangene der Welt einte sein zerrissenes Land und schenkte der Welt Hoffnung. Als er am 18. Juli 1918 in einem kleinen Dorf im Osten Südafrikas zur Welt kam, gaben ihm seine Eltern den Namen Rolihlala, was Unruhestifter bedeutet. Und das war Mandela tatsächlich, bevor er zum Übervater der Nation wurde.

Mandela beginnt früh, sich politisch zu engagieren. Der Jurist wird schließlich als Chef des bewaffneten Flügels der Befreiungsbewegung ANC für die herrschenden Weißen zum Staatsfeind Nummer 1. Er lebt im Untergrund, wird 1962 festgenommen und zwei Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt - wegen Verschwörung und Sabotage. Er ist darüber erleichtert. Denn Mandela hat sich innerlich auf die Todesstrafe vorbereitet. Am Vorabend seiner Verurteilung sagt er zu seinem Richter, dass das Ende der rassistischen Herrschaft ein Ideal sei, "für das ich bereit bin zu sterben".

Doch er wird "nur" weggesperrt - die weißen Herrscher hoffen, dass der Unruhestifter vergessen wird. Aber mit der Haft beginnt der Mythos Mandela erst. Vom Ausland aus startet der ANC eine Kampagne für seine Freilassung. "Free Mandela" wird zum Kampfruf der Anti-Apartheid-Bewegung auf der ganzen Welt. 27 Jahre lang sitzt Mandela hinter Gittern, davon viele Jahre auf der Gefängnisinsel Robben Island, arbeitet im Steinbruch.

Am 11. Februar 1990 kommt Mandela frei. Als der 71-Jährige tatsächlich vor laufender Kamera aus dem Gefängnistor schreitet, brechen Millionen in Tränen aus. Es wird geschrien, getanzt, gefeiert. Eine solche Party hat das schwarze Südafrika noch nicht erlebt. Tage später spricht Mandela vor Zehntausenden: "Ich grüße Euch im Namen des heroischen Kampfes für Gerechtigkeit und Freiheit für alle in unserem Land."

Das schwarze Südafrika ist aus einem Albtraum erwacht. Mehr als 40 Jahre regierte ein weltweit einzigartiges Regime der Rassentrennung. Gemeinsam mit dem letzten weißen Präsidenten Frederik de Klerk schafft Mandela den friedlichen Übergang zur Demokratie. Bei seiner Amtseinführung als erster schwarzer und erster frei gewählter Präsident im Mai 1994 ruft er: "Die Zeit ist gekommen, die Wunden zu pflegen. Die Zeit ist gekommen, die trennenden Gräben zuzuschütten. Die Zeit ist gekommen, aufzubauen."

Es ist eine historische Leistung, die ihn in die Reihe der Giganten der modernen Geschichte wie Gandhi, Churchill oder Kennedy stellt. Und Mandela lässt seinen Worten Taten folgen. Er besucht den Apartheid-Präsidenten Botha. Mit der Witwe des Apartheid-Architekten Verwoerd trinkt er eine Tasse Tee. Den Staatsanwalt, der ihn nach Robben Island schickte, empfängt er zum Essen. Und als er 1995 nach dem Sieg bei der Rugby-WM das Trikot der weißen Nationalmannschaft überstreift, wird das ganze Land von einer Euphorie der Versöhnung ergriffen.

"Madiba", wie Mandelas Clan-Name ist, war kein Mann der Rache, auch wenn er kein Pazifist war. Er war ein von Prinzipien durchdrungener Mann, der als "Held", aber nicht als "Heiliger" gesehen werden wollte - weil er auch keiner war. Doch er widerlegte vor allem die "Afro-Pessimisten", die glauben, dass aus jedem afrikanischen Befreier, einmal an die Macht gekommen, ein ziemlich lausiger Herrscher, oft aber ein gieriger und brutaler Diktator wird.

Nach Mandelas Tod blitzt in seiner Heimat jetzt vor allem seine Vision von der "Regenbogennation" auf. Ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft und politischem Standpunkt schienen die Südafrikaner gestern tatsächlich einig im Gefühl der Trauer.

Dabei waren gerade die letzten Monate von erbittertem politischen Streit geprägt, in dem auch die immer noch herrschenden Gegensätze zwischen Schwarz und Weiß eine erhebliche Rolle spielen. Der schwarze Populist Malema zündelte mehr denn je gegen die reichen Weißen. Die Wahlen im April werfen schon lange Schatten. Dennoch hinterlässt Mandela ein gewandeltes Land. Als er 1994 gewählt wurde, legten Apartheid-Anhänger noch Autobomben, Radikale lieferten sich blutige Gefechte. Ein Bürgerkrieg schien unausweichlich. Dass es dazu nicht kam, schreibt jeder Mandela zu. Und obwohl die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich das Land bis heute teilt, ist der Frieden stabil. Mandela hat mit seiner Größe ein Fundament für Südafrika geschaffen, das sein Leben weit überdauern wird.

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HintergrundEine Woche lang trauert Südafrika um seinen Nationalhelden Nelson Mandela. Für diesen Sonntag kündigte Präsident Jacob Zuma einen nationalen Tag der Trauer und des Gebets an. Die zentrale Trauerfeier mit Staats- und Regierungschefs aus aller Welt findet am Dienstag im größten Fußballstadion des Landes, dem FNB-Stadion von Johannesburg, statt. Vom 11. bis 13. Dezember wird Mandelas Leichnam in der Hauptstadt Pretoria öffentlich aufgebahrt. Beigesetzt werden soll er am 15. Dezember - dem übernächsten Sonntag - in Qunu am Ostkap, wo er aufgewachsen war. "Wir werden eine Woche lang trauern. Und wir werden auch eine Woche lang sein erfülltes Leben feiern", kündigte Zuma an.Vor dem Anwesen Mandelas legten auch am Freitag viele Trauernde Blumen nieder. In der Nacht hatten sich dort schon Hunderte Menschen zu einer spontanen Gedenkfeier versammelt. Viele tanzten und sangen, hatten Bilder Mandelas oder die südafrikanische Fahne dabei. Im ganzen Land wehten die Fahnen auf halbmast. Alle Radio- und Fernsehstationen brachten fast nur Berichte über den ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas. Die meisten Sender verzichteten auf Werbung. Viele Südafrikaner kamen am Freitag mit einem schwarzen Trauerflor zur Arbeit. Weltweit teilten die Menschen die Trauer um Mandela. Zahlreiche Staaten setzten die Flaggen auf halbmast. dpa

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