Der ungewöhnliche Professor und das Zwillings-Projekt

Saarbrücken · Wie wird der Mensch zu dem, was er ist? Und welche Rolle spielen dabei Gene und Umwelt? Dieser Frage geht Frank M. Spinath, Psychologie-Professor an der Saar-Uni, nach. Dazu erforscht er das Verhalten von ein- und zweieiigen Zwillingen. Bekannt ist der Wissenschaftler aber auch als Elektropop-Musiker.

Ist er nur vorsichtig - oder eher kühl? Ist er zugänglich - oder eher unnahbar? In jedem Fall ist Frank Spinath keiner, der sich gleich in die Karten schauen lässt. Seinem Gegenüber mutet er zu, sich peu à peu heranzutasten. Dann lässt er es unter anderem erfahren, dass sein Faible nicht dem Hellen, dem Leichten gilt. Die Lektüre von Camus und Sartre hat den 44-Jährigen geprägt - bis hin zur farblichen Vorliebe. "Schwarz", sagt er, "ist die schönste Farbe."

Die "schönste Farbe" beherrscht sein Büro im Fachbereich Psychologie an der Saar-Uni ebenso wie seinen Kleiderschrank. "Was praktisch ist", meint der Professor. "Die tägliche Farbabstimmung von Kleidungsstücken erübrigt sich für mich", erklärt er augenzwinkernd. Und streitet zugleich jegliche Assoziation mit einem schwermütigen Naturell ab: "Nein, ich bin kein Pessimist, und ich hab' auch keine Weltuntergangsstimmung." Wohl aber wendet er sich mit Leidenschaft dem Düsteren, dem Hintergründigen zu: "Es gibt nichts Spannenderes als Menschen, vor allem ihre Abgründe", sagt Spinath. "Ich grabe immer in der Psyche, in meiner und in der anderer." Er bekennt, sich für ausgefallene Kriminalfälle zu interessieren, für ganz spezielle Täterprofile. Wie etwa das des amerikanischen Serienmörders Dennis Rader, eines "eigentlich völlig langweiligen Spießers", wie Spinath ihn beschreibt. Rader beging zwischen 1974 und 1991 mindestens zehn Morde und nannte sich selbst BTK-Killer. BTK steht für "Bind, Torture, Kill", zu Deutsch: fesseln, quälen, töten. Weniger die Biografie des Täters beschäftigt den Persönlichkeits-Psychologen, sondern "die Schnittstelle zwischen Persona, was eigentlich ,Maske' bedeutet, und dem Innenleben, dem Selbst", sagt er, "und was daraus resultiert." Der Schnittstelle zwischen Schein und Sein also, wie der Laie sagen würde. Eigentlich müßig zu fragen, was einen Psychologen an menschlichen Abgründen fasziniert, doch bei Spinath hört sich die Antwort lyrisch an: "Ich finde, dass Tiefen tiefer sind als Höhen hoch." Aus Tragik und Drama schürfe er mehr Erkenntnis als aus Freude. Was zweifelsohne auch Triebfeder ist für Spinaths großen wissenschaftlichen Schwerpunkt, die Zwillingsforschung. Auch wenn dies vordergründig etwas abwegig erscheint.

Wie wird der Mensch zu dem, was er ist? - lautet eine der grundlegenden Fragen, die den Professor und Vater zweier kleiner Kinder umtreibt. Sind es die Gene, ist es die Umwelt - oder beides? Durch Vergleiche von ein- und zweieiigen Zwillingen kann der Forscher Rückschlüsse auf die Bedeutung von Erbanlage und Umwelt-Einflüssen auf das Verhalten von Menschen ziehen. Dabei spielt eine Rolle, dass das genetische Material bei eineiigen Zwillingen zu 100 Prozent gleich ist, bei zweieiigen nur zu 50 Prozent, wie bei normalen Geschwistern eben. Verhalten sich eineiige Zwillinge in einem Merkmal ähnlicher als Zweieiige, spricht vieles für genetische Einflüsse.

Vor diesem Hintergrund lockt den Forscher eine kühne Fragestellung: Wie steht es mit der Intelligenz? Ist sie erblich? Ein Gedanke, der in der Vergangenheit bereits manches Mal Gegenstand hitziger, oft populistisch geführter öffentlicher Debatten war. Der Psychologe, der sich bereits seit seiner Studienzeit in Bielefeld der Zwillingsforschung widmet, will in seinen Studienreihen in der Tat herausgefunden haben, dass "Intelligenz in einem hohen Maße erblich" ist. Daran gebe es keinen Zweifel. Die Erkenntnis will Spinath allerdings nicht einfach isoliert stehen lassen, denn Intelligenz sei keineswegs schicksalhaft festgelegt. Erbe und Umwelt wirkten auf vielfältige Weise zusammen. Wobei es eben auch Belege dafür gebe, dass sich weniger günstige genetische Anlagen unter günstigen äußeren Bedingungen kompensieren ließen, etwa durch Förderung. "Selbst wenn Gene wichtig sind, gibt es doch immer Spielraum für Veränderungen", ergänzt Spinath.

Anders als zumeist vermutet, steigt die Bedeutung der Anlagen übrigens mit zunehmendem Alter. "Bei Kindern spielen Familien-Einflüsse, also die Umwelt, eine größere Rolle als Gene. Erst wenn der Mensch sein Leben frei gestalten kann, schalten sich mehr und mehr die Gene ein", so der Verhaltensgenetiker, der bereits mit 34 Jahren Professor wurde.

Zusammen mit zwei Kollegen von der Universität Bielefeld, den Psychologie-Professoren Martin Diewald und Rainer Riemann, arbeitet Spinath jetzt an einer Langzeitstudie mit dem Titel "Twin Life". Sie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit einer Summe von über vier Millionen Euro für zunächst drei Jahre gefördert. In der Untersuchung geht es um die Frage, wie soziale Ungleichheit entsteht und wie Gene und Umweltfaktoren zusammenwirken. "Zwillinge helfen der Wissenschaft, weil man durch sie Rückschlüsse auf die Bedeutung von Anlage und Umwelteinflüssen ziehen kann", resümiert Spinath. Rund 4000 Familien mit Zwillingen will das Forscherteam in diesem für zwölf Jahre avisierten Projekt begleiten. Zunächst aber werden Familien angeworben, die sich für die Studie zur Verfügung stellen. Diese Aufgabe sollen Umfrage-Institute übernehmen.

Freilich schlägt Spinaths Herz für die Psychologie, aber nicht für sie allein. Die Musik, speziell der Gesang, ist sein zweites Metier. In der Welt der Klänge zieht ihn das Sphärische an. Steril? Vielleicht, aber doch melodisch. Spinaths Lyrik ist tief, manchmal bis zur Schmerzgrenze. Hier ist eben auch der Psychologe am Werk, der - textend - in die Abgründe blickt. Im Elektropop verortet er den Stil, arrangiert wird auf Distanz. Martin Vorbrodt heißt der Komponist mit Sitz in Kalifornien. Mit ihm zusammen gründete Spinath 1995 in Bielefeld die Band "Seabound", eines von drei Projekten, in denen der Hochschul-Professor aktiv ist.

Die Musik erhält Spinath auf elektronischem Weg in sein Büro an der Saar-Uni. Dort stehen Synthesizer, Vorverstärker, Mikrofon und andere musikalische Ausrüstung. Und nachts, wenn alle Studenten und Mitarbeiter das Gebäude verlassen haben, versieht der Professor die Musik mit seinen Gesang. Sechs CDs brachte "Seabound" heraus, das siebte Album soll Anfang kommenden Jahres erscheinen. Bei den bis heute mindestens 80 Live-Auftritten in ganz Europa, den USA und auch in Moskau wurden Vorbrodt und Spinath von dem Drummer Daniel Wehmeier begleitet.

Wie in der Psychologie, so sucht Spinath auch in der Musik das Überraschende, das Mehrdeutige - und zeigt damit, dass in seinem Leben doch alles ineinandergreift.

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