Der Tod an der Front, die Not in der Heimat

Schwarze Nacht liegt über Saarbrücken. Die Straßenlaternen sind abgeschaltet, die Schaufenster der Geschäfte in der Innenstadt unbeleuchtet, die Wohnungen mit Jalousien abgedunkelt.

 Aufgebrochene Geschlechterrollen: Frauen produzieren im Krieg Granaten in der Saarbrücker Firma Dingler & Karcher. Foto: Historisches Museum Saar (HMS)

Aufgebrochene Geschlechterrollen: Frauen produzieren im Krieg Granaten in der Saarbrücker Firma Dingler & Karcher. Foto: Historisches Museum Saar (HMS)

Foto: Historisches Museum Saar (HMS)

Nur der Bahnhof ist weithin sichtbar. Die Stadt schlummert in trügerischer, angespannter Ruhe. Dann erklingen die Sirenen. Ihr anschwellendes Heulen dringt in die Häuser und schreckt die Menschen auf. Die meisten haben nur einen leichten Schlaf und rennen zielstrebig in die Luftschutzräume. Nicht zum ersten Mal verbringen sie eine angstvolle Nacht in einem kalten, feuchten Keller, während draußen die Bomben ihre Stadt erzittern lassen. Und es wird nicht die letzte sein.

Die Angst vor Luftangriffen begleitet die Menschen in der Saarregion während des Ersten Weltkrieges Tag für Tag. Besonders der Großraum Saarbrücken ist häufig Ziel der Bomben . Mit seinen Rüstungsanlagen und als Durchgangsstation für Soldaten und Kriegsmaterial ist er militärisch bedeutend. Hinzu kommt, dass die Nähe zur französischen Grenze und zum Frontverlauf die Städte an der Saar zu einem leicht erreichbaren Ziel für die Fliegerstaffeln der Alliierten macht. Hunderte Angriffe fordern zahlreiche Opfer. Schlafmangel und die nervliche Belastung hinterlassen Spuren. Die Angst vor dem Tod aus der Luft ist eine von vielen Facetten der sogenannten "Heimatfront", an der die Zivilbevölkerung den Krieg fernab der Schlachten erlebt.

Mit dem Ausbruch des Krieges im August 1914 beginnt nicht nur die Mobilmachung Hunderttausender Soldaten für den Kampf, sondern die des ganzen Volkes. Die Militärverwaltung des Deutschen Reiches verliert keine Zeit und macht sich die anfängliche Begeisterung in großen Teilen der Bevölkerung zunutze, um eine geschlossene Haltung und Opferbereitschaft zu wecken. Innenminister Friedrich Wilhelm von Loebell fordert, "jeden Haushalt in Kriegszustand zu versetzen". "Was Todesmut und Tapferkeit vor dem Feinde ist, das ist Sparsamkeit und Entsagung daheim." Jeder soll seinen Dienst am Vaterland tun - ob Soldat, Kind, Frau oder Greis.

In einem Krieg, der in langen Stellungskämpfen Soldaten und Material verschlingt wie kein anderer zuvor, kommt es vor allem auf die Freigiebigkeit der Menschen zu Hause an. Schon in den ersten Wochen entstehen in der Saarregion - angetrieben von Vereinen und Behörden - Sammelaktionen für die Soldaten an der Front. Der Wille zu helfen, ist groß - geschürt wohl auch dadurch, dass die Menschen in der Durchgangsregion direkt hinter der Front die Gräuel des Krieges unmittelbarer erleben als andere Deutsche. In zahlreichen Lazaretten werden Verwundete versorgt. Kriegsversehrte sind ein alltäglicher Anblick auf den Straßen der Städte an der Saar. Der Kämpfer von der Front hat hier ein Gesicht - und er soll auf die Hilfe der Daheimgebliebenen zählen können.

So landen in großen Mengen Kleidung, Bettzeug, Lebensmittel, Tabak, Alkohol und Bücher im Sammeldepot in der Saarbrücker Bergschule in der Trierer Straße. Schüler helfen dabei, die "Liebesgaben" in Päckchen zu schnüren. Frauen stricken abends nach getaner Arbeit Socken und Handschuhe, Mädchen nähen im Handarbeitsunterricht Wäsche und schreiben Briefe an alleinstehende Soldaten.

Doch neben Kleidung und aufmunternden Worten für die Kämpfer an der Front braucht die Kriegsmaschinerie vor allem eines: Geld. Mit ihrem Ersparten sollen alle zu einem deutschen Sieg beitragen. So rollen Wagen mit Werbeplakaten für die halbjährlichen Kriegsanleihen durch die Saarbrücker Bahnhofstraße. Ein Ausschuss der Stadtverwaltung kümmert sich darum, dass der Geldfluss nicht versiegt. Kinder ziehen von Haus zu Haus und werden in der Schule ermutigt, ihren Sparstrumpf für das Vaterland zu plündern. Tauscht eine Frau ihren Goldschmuck ein, wird sie mit patriotisch gestaltetem Geschmeide aus Eisen belohnt. "Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr", steht auf einem Plakat.

Doch die Opferbereitschaft muss zwangläufig Grenzen haben. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Entbehrungen bringt er auch für die Menschen zuhause. Schon in den ersten Kriegswochen 1914 offenbaren sich an der Saar Probleme bei der Lebensmittelversorgung : Die Zugstrecken sind durch Militärtransporte blockiert, die Menschen stürmen die Geschäfte für Hamsterkäufe, die Händler wiederum halten Waren zurück. Um Preissteigerungen zu dämpfen, kaufen Kommunen wie Merzig, Ottweiler, Neunkirchen oder Saarbrücken Lebensmittel an. Noch bevor die britische Seeblockade richtig greift, ist in der Saarregion die Versorgung strikt organisiert. Grundnahrungsmittel wie Brot, Butter oder Eier werden über Wertmarken verteilt. In der SZ steht: "In ein deutsches Haus gehört in dieser Zeit kein Kuchen."

Doch trotz aller Planung und Rationierung leiden die Menschen im harten Winter 1916/17 schlimmen Hunger. Da Getreide und Fleisch kaum mehr zu bekommen sind und die Kartoffelernte wegen Fäule mager ist, wird vor allem die Steckrübe zum wichtigsten Nahrungsmittel. Ganze Menüs werden aus der kohlartigen Knolle gekocht, von der Suppe bis zum süßen Pudding. Die Menschen sprechen vom Steckrübenwinter.

Eine besondere Belastung sind diese Entbehrungen für die Frauen , die neben Haushalt und Kindererziehung, Sammelaktionen und Hilfsdiensten im Lazarett oft auch noch die Arbeit der Männer übernehmen müssen. Dazu gehören insbesondere die anstrengenden Tätigkeiten in den Industriebetrieben. Mit Kohle, Koks, Stahl und Eisen liefert die Saarregion kriegswichtige Rohstoffe. Die Eisenhütten und Metall verarbeitenden Unternehmen produzieren Granaten, Geschosswerfer und Panzerplatten. Die Völklinger Hütte stellt 80 bis 90 Prozent des Stahls für den 1916 eingeführten Stahlhelm her. Diese Rüstungsmaschinerie muss in Gang bleiben. Deshalb schuften neben Tausenden Kriegsgefangenen auch Frauen in den Betrieben. Die Dominanz der Männer in der industriellen Arbeitswelt ist durch den Krieg gebrochen.

 Der Krieg verschlingt Unmengen von Geld – der Staat finanziert ihn auch mit Goldumtausch.

Der Krieg verschlingt Unmengen von Geld – der Staat finanziert ihn auch mit Goldumtausch.

 Der Kämpfer von der Front bekommt ein Gesicht: In Larazetten in der Saarregion werden Verwundete versorgt – wie hier in Beckingen nach der Schlacht von Verdun. Fotos: Archiv

Der Kämpfer von der Front bekommt ein Gesicht: In Larazetten in der Saarregion werden Verwundete versorgt – wie hier in Beckingen nach der Schlacht von Verdun. Fotos: Archiv

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HintergrundDas Historische Museum Saar widmet eine Sektion seiner Dauerausstellung dem Ersten Weltkrieg. In verwinkelten Gängen ähnlich den Schützengräben an der Front verdeutlicht sie die Auswirkungen des Krieges in der Saarregion. Der Ausstellungs-Katalog "Als der Krieg über uns gekommen war . . ." schildert die verschiedenen Facetten der sogenannten Heimatfront. Die Aufsätze stützen sich dabei auf umfangreiches Quellenmaterial wie Briefe , Plakate oder behördliche Dokumente. mast

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