Der teure Traum vom schnellen Geld

Neunkirchen. Zwei Asse. Der akkurat frisierte Student ballt die Faust, lächelt siegessicher. Nach 20 Minuten geht es für ihn schon um alles: All-in. Seine gesamten Pokerchips liegen in der Mitte von Tisch drei

 Eine Pokerrunde in der Spielbank Neunkirchen: Kartengeberin Sandra Morgenstern hat alles genau im Blick. Foto: Oliver Dietze

Eine Pokerrunde in der Spielbank Neunkirchen: Kartengeberin Sandra Morgenstern hat alles genau im Blick. Foto: Oliver Dietze

Neunkirchen. Zwei Asse. Der akkurat frisierte Student ballt die Faust, lächelt siegessicher. Nach 20 Minuten geht es für ihn schon um alles: All-in. Seine gesamten Pokerchips liegen in der Mitte von Tisch drei. Gewinnt er diese Hand, könnte es ein sehr schöner Abend werden heute in der Spielbank Neunkirchen, in der 60 Leute (58 Männer) an sechs Tischen sitzen, rauchen, Cola, Kaffee und Bier trinken und auf gute Karten warten. Jeder hat 30 Euro Einsatz bezahlt, am Ende gehen nur die besten Sechs zufrieden nach Hause; mit mindestens 140 Euro in der Tasche, 600 Euro warten auf den Sieger.

Mit seinen Assen rückt der Student dem Geld ein Stück näher. Eigentlich kann jetzt nichts mehr schiefgehen. Nur ein Franzose im Inter-Mailand-Trikot und mit Dame/König auf der Hand ist mitgegangen. Die ersten drei Karten (der Flop) werden aufgedeckt: alles Luschen. Das Grinsen des Studenten wird noch breiter. Dann fällt eine Dame: bitter, aber kein Grund zur Sorge. Nur wenn noch eine Dame kommt oder ein König, verliert er. Und es fällt: eine Dame. Der Franzose röhrt vor Freude, der Student starrt ungläubig, schüttelt den Kopf: "Hässlich! Ist das hässlich! Diese verdammten Weiber!" Das war's. Das Turnier ist für ihn vorbei, die 30 Euro sind futsch.

Die Wahrscheinlichkeit, beim Poker zwei Asse auf die Hand zu bekommen, ist ziemlich mies: 1:220. Die Wahrscheinlichkeit, mit zwei Assen zu verlieren, ist dagegen relativ groß. Immerhin jeder fünfte Versuch scheitert, sagt die Statistik. Doch genau das macht den Reiz von Poker aus: Dass am Ende eine elende Karo zwei mehr Wert sein kann als das schönste Paar Asse, Könige oder Damen. 2,6 Millionen unterschiedliche Blätter sind bei der meistgespielten Poker-Variante Texas Hold'em möglich. Es ist die Mischung aus Mathematik und Glück, gepaart mit dem Traum vom schnellen Geld, die auch in Deutschland einen Boom ausgelöst hat.

Zwei bis sechs Millionen Deutsche, so genau weiß das niemand, spielen inzwischen Poker, viele sitzen mehrmals pro Woche am Tisch - im Casino, im Wohnzimmer des Arbeitskollegen oder im Internet. Dort nämlich findet der wahre Boom statt. Die Online-Umsätze schießen weiter in die Höhe, pro Jahr werden fast fünf Milliarden US-Dollar eingenommen. Allein der Anbieter "bwin", eigentlich auf Sportwetten spezialisiert, verdiente mit Poker 2009 rund 100 Millionen Euro. Der Umsatz hat sich seit 2006 verdoppelt, ebenso die Zahl der Spieler - 700 000 zocken bei "bwin" um Geld. Dass das in Deutschland verboten ist, scheint niemanden zu stören.

Lukratives Geschäft

Der einzige legale Platz zum Pokern sind die staatlichen Spielbanken, weil die sich ernsthaft um die Gefahren kümmern und Spielsüchtige bundesweit sperren. Wer in Hamburg aufgefallen ist, darf auch im Saarland nicht mehr an den Tisch, wo das Poker-Fieber ebenfalls längst ausgebrochen ist. Nicht mehr Roulette, sondern Poker lockt die Massen ins Casino, vor allem viele junge Leute. Woche für Woche werden in Saarbrücken, Neunkirchen und Nennig auch Turniere gespielt, mit bis zu 100 Euro Einsatz. Für gute Spieler ein lukratives Geschäft: Der Führende der Geldrangliste in Saarbrücken hat in anderthalb Jahren über 45 000 Euro Preisgeld kassiert. Auch in Neunkirchen war er schon im Geld, obwohl die Konkurrenz groß ist. Seit die Spielbank im vorigen Sommer unter dem Namen "Lucky Jungle" eröffnet hat, war jedes Turnier ausverkauft. Nur an Fastnachtsdienstag blieben ein paar Plätze leer.

Auch an diesem Abend lichtet sich das Feld. Am Tisch des Fußball-Franzosen hat vor zehn Minuten wieder einer mit zwei Assen verloren. Gut 20 Spieler sind nun nur noch im Rennen, die Luft wird dünner, nicht nur wegen des Zigarettenqualms. Wer jetzt eine falsche Entscheidung trifft, wird hart bestraft.

Ein blonder Hüne im dunklen Hemd hat bisher viele gute Entscheidungen getroffen, auch eben, als er mit zwei Königen alles gesetzt hat. Sein Gegner hatte auch eine gute Hand: Ass/König, AK. Anna Kournikova wird dieses Blatt genannt, nach der russischen Tennisschönheit: Sieht gut aus, verliert oft unnötig. Auch diesmal.

Ungeduld ist tödlich

Der Plan des Hünen aber scheint aufzugehen. Wie ein Angler vorm gut gefüllten Fischweiher sitzt er da, in aller Ruhe wartet er, bis jemand anbeißt, bis ein Blatt kommt, mit dem er einen Fisch (so heißen unerfahrene Spieler) abkassieren kann. Ungeduld und übertriebene Neugier sind tödlich, weil teuer. Dennoch riskieren einige auch mit mäßigen Blättern viel und hoffen auf die eine Karte zum großen Glück. Und wenn's schiefgeht? "Romm es romm", meint der Elektriker im blauen Strickpullover in tiefstem Neunkircher Platt: "Einer muss gewinnen, das ist Poker." Für den blonden Hünen ist das Turnier noch lange nicht vorbei, jetzt blufft er einen Gegner mit zwei Buben weg und schafft es tatsächlich an den "Final table", unter die besten Zehn.

Als die ersten Karten über den Finaltisch fliegen, wird schon seit drei Stunden gezockt. Sogar ein paar Zuschauer sind geblieben, um sich den Kampf ums Geld anzuschauen. Denn auch das kann Spaß machen, die guten TV-Quoten belegen es, nicht nur bei Stefan Raabs Promi-Runden. Auch Anfang Juli, wenn in Las Vegas die Poker-WM startet, werden Millionen mitfiebern. Wer es dort an den "Final table" schafft, ist eine Berühmtheit, viele Spieler werden inzwischen ohnehin wie Popstars gefeiert. Auch Chris Moneymaker, der Typ heißt wirklich so, ist ein Star geworden. Als Online-Qualifikant mit 40 Dollar Einsatz gewann der Buchhalter 2003 die WM und ein Preisgeld von 2,5 Millionen Dollar. Der Pokerboom hängt auch mit seiner Fabelgeschichte zusammen - mit der Geschichte, ohne Arbeit über Nacht reich zu werden. Mit einem Spiel, dessen Regeln man in Minuten kapiert, und das doch so vielschichtig ist, dass manche ein Leben lang brauchen, um wirklich gut zu werden. Viele schaffen es nie.

Auch davon lebt Poker: Dass man die Besten der Welt schlagen kann. Was zum Beispiel beim Tennis nie möglich wäre. Ein Hobbyspieler wird von Roger Federer immer vom Platz gejagt, immer. Viele sagen, dass Poker deshalb kein Sport sein kann, weil am Ende doch immer das Glück entscheidet. In Litauen sieht man das anders. Ende März wurde Pokern dort als Sport anerkannt.

Um die Frage, ob Poker ein Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel ist, wird zwischen Behörden und Unternehmen gestritten. Würde alle Welt wie Litauen entscheiden, würde Poker schneller von seinem verruchten Image loskommen. Denn auch wenn das Spiel in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint, so prägt doch das verrauchte Hinterzimmer, in dem dicke Geldbündel auf dem Tisch liegen, das Bild. Mit Recht, weiterhin. Auch im Saarland hat die Polizei solche Runden schon filmreif mit Sondereinsatzkommandos aufgelöst.

160 Euro für Platz fünf

Im "Lucky Jungle" in Neunkirchen muss niemand eine Razzia fürchten, es geht alles mit rechten Dingen zu, und für den blonden Hünen laufen die Dinge noch immer gut. Wenn er weiter den geduldigen Angler gibt, ist er bald im Geld. 15 Minuten später hat er Platz sechs sicher. Doch es ist der Moment, in dem der wortkarge Mittdreißiger leichtsinnig wird. Zwar geht der Arztsohn im beigefarbenen Pulli noch vor ihm vom Tisch, doch dann trifft der Hüne eine folgenschwere Entscheidung. Er geht mit, als der Typ vor ihm All-in schiebt. Der Hüne zeigt ein Zehner-Pärchen, sein Gegner hat "Anna Kournikova". Weil ein zweiter König kommt, ist das Blatt diesmal schön und erfolgreich, der Hüne ist raus. "Zu viel gewollt", wird er später sagen, als er einen Umschlag mit 160 Euro in den Händen hält. 130 Euro Gewinn. Ein schöner Abend. Gute Nacht, Neunkirchen.

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