Der Terror ist zurück in London

London · Der Mord an einem Soldaten in London hatte einen islamistischen Hintergrund. Die Täter waren aber offenbar keine organisierten Terroristen. Nachahmer abschrecken, lautet kurz vor dem Champions-League-Finale die Devise.

Er passt so gar nicht ins Schema eines islamistischen Terroristen, wie es Sicherheitsdienste häufig zeichnen: Der Mann auf dem Video vom Ort der Bluttat trägt Jeans und Wollmütze. Er spricht fließend Englisch, hat eine ordentliche Schulbildung. Er ist dunkelhäutig und bartlos. Einen Tag nach dem mutmaßlichen Terrormord an einem Soldaten im Londoner Stadtteil Woolwich tun sich britische Behörden schwer mit der Einordnung der Täter.

Die Tendenz geht nach einer ersten Bestandsaufnahme zur These "einsame Wölfe". Die beiden mutmaßlichen Attentäter geben bisher den Ermittlern keinen Anlass zur Annahme, dass sie in ein größeres Terrornetzwerk eingebettet sind oder gar in dessen Auftrag handeln - auch wenn sie sich offensichtlich von Al-Qaida-Rhetorik inspirieren ließen.

Die Männer hatten ihr Opfer wohl zunächst mit einem blauen Vauxhall (Opel) angefahren. Dann ermordeten sie den Angaben nach den Soldaten bestialisch - mit Messern und einem Fleischerbeil. Die beiden sind wohl in Großbritannien geboren, zu einer radikalen Form des Islam konvertiert, haben Verbindungen nach Nigeria. Ihre in eine Videokamera gehechelten Thesen erscheinen unklar, eine deutliche Botschaft - weder an Unterstützer noch an Feinde - wurde nicht erkennbar.

Sollte sich die Einschätzung bestätigen, könnten zumindest die Fußballfans durchatmen. Das britische Innenministerium hat seine seit 2011 auf "substanziell" reduzierte Terrorwarnstufe nach der Tat nicht verändert. Das Risiko wird also nicht wesentlich höher eingeschätzt als zuvor. Eine Anordnung an die Angehörigen der Armee, privat nicht in Uniform auf die Straße zu gehen, wurde wieder zurückgenommen.

1000 zusätzliche Polizisten

Die Polizei hat vor dem Champions-League-Finale dennoch ihre Präsenz deutlich erhöht und über 1000 zusätzliche Beamte auf die Straßen geschickt. Die beiden Finalgegner Borussia Dortmund und Bayern München winkten gestern schon ab. "Keine Änderungen im Ablauf", hieß es aus Dortmund. Man fühle sich sicher, ließen die Bayern wissen.

Die Behörden in London nehmen die Gefahr aber ernst. "Einsame Wölfe" sind schwer zu fassen. Sie fallen kaum auf, verhalten sich lange Zeit ruhig - und schlagen dann aus scheinbar unerfindlichen Motiven ohne Vorwarnung zu. Die politisch-religiöse Motivation der Londoner Attentäter scheint diffus. Einer der Islamisten sprach die Drohung aus: "Auge um Auge, Zahn um Zahn" - ein Zitat, das ursprünglich aus der jüdischen Tora stammt, sich später aber auch im Koran findet.

Obwohl das Verbrechen zunächst nicht wie das Werk in Strukturen handelnder Terroristen aussieht, gehen Experten davon aus, dass es sich um islamistischen Terror handelt. "Es ist dieselbe Rhetorik, die wir bei früheren Anschlägen gesehen haben", sagt Usama Hasan von der Quilliam Foundation, einem Politik-Institut zum Kampf gegen islamistischen Terror. "Die Muslime müssen diese Rhetorik bekämpfen."

Der britische Inlandsgeheimdienst MI5 hat die Mörder offenbar vorher gekannt. Diese Vermutung, die Premierminister David Cameron gestern praktisch zur Tatsache machte, könnte noch für politischen Sprengstoff sorgen. Die Sicherheitsdienste und damit Innenministerin Theresa May müssten sich "sehr ernste Fragen" gefallen lassen, meinte die BBC. Bereits bei den Terroranschlägen von 2005, als in der Londoner U-Bahn und in Bussen 52 Menschen starben, waren die Attentäter vorher auf dem Radar der Dienste.

Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien als Einwanderungsland kämpft seit langem mit dem Problem "Home Grown"-Terroristen, also Menschen, die nicht als Terroristen auf die Insel eingereist sind, sondern dort erst dazu geworden sind. Bisher war es den Behörden gelungen, Anschläge solcher Terroristen im Keim zu ersticken. Bis Mittwoch. Nun geht es nur noch darum, Nachahmertaten zu verhindern.

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