Der Terror ist noch nicht tot

Fast zehn Jahre lang währte die intensive Suche nach dem meistgefürchteten Terrorchef. Doch nun, da eine US-Spezialeinheit Osama bin Ladens in Pakistan habhaft wurde, hätte der Tod des Al-Qaida-Führers kaum zu einem besseren Zeitpunkt eintreten können. Denn seine radikale Ideologie hat in der islamischen Welt entscheidend an Anziehungskraft verloren

 Der verheerende Anschlag vom 11. September 2001 unter anderem auf das World Trade Center in New York war das Werk von Al Qaida. Bin Ladens Tod ist ein schwerer Schlag für das Netzwerk. Foto: dpa

Der verheerende Anschlag vom 11. September 2001 unter anderem auf das World Trade Center in New York war das Werk von Al Qaida. Bin Ladens Tod ist ein schwerer Schlag für das Netzwerk. Foto: dpa

Fast zehn Jahre lang währte die intensive Suche nach dem meistgefürchteten Terrorchef. Doch nun, da eine US-Spezialeinheit Osama bin Ladens in Pakistan habhaft wurde, hätte der Tod des Al-Qaida-Führers kaum zu einem besseren Zeitpunkt eintreten können. Denn seine radikale Ideologie hat in der islamischen Welt entscheidend an Anziehungskraft verloren. Die Gefahr, dass dieser für den Tod von tausenden Menschen verantwortliche saudische Milliardärssohn in den Augen unzähliger junger Dschihadis zur "Märtyrerfigur" aufsteigt, die weltweit frustrierte junge Menschen zu brutalem Töten inspiriert, ist heute so gering wie schon lange nicht mehr. Dennoch: Bin Ladens Tod schockiert seine Sympathisanten, wie diese über ihre zahlreichen sozialen Netzwerke zu erkennen geben. Damit steigt zweifellos kurzfristig die Gefahr von brutalen Racheakten einzelner Fanatiker.Längerfristig aber ist der Mythos eines Mannes geschwunden, der ein Jahrzehnt lang der intensiven Verfolgung durch die schlagkräftigsten Militäreinheiten der Supermacht zu entfliehen vermochte.

Der Tod Bin Ladens beschert dem seit dem 11. September 2001 geführten Anti-Terrorkrieg einen entscheidenden Etappensieg, doch er bedeutet noch keineswegs das Ende der Al Qaida. Ein Nachfolger, der ägyptische Kinderarzt Aiman al Sawahiri (Foto: afp), bisher Nummer zwei im Netzwerk, steht längst bereit, wiewohl nun auch rasch die Falle für ihn zuschnappen könnte. Denn möglicherweise haben US-Geheimagenten in Bin Ladens luxuriösem Versteck in Pakistan wichtige Hinweise auf Sawahiris Verbleib sichergestellt.

Praktische Auswirkungen auf potenzielle Aktionen von Al-Qaida-inspirierten Terrororganisationen aber dürfte Bin Ladens Ende kaum zeigen. Seit zehn Jahren stetig auf der Flucht vor US-Luftangriffen, konnten Bin Laden und sein Operationschef Sawahiri zunehmend weniger die Terrorfäden ziehen. Immer mehr entglitt dem Herz des Netzwerkes die Planung größerer Gewalttaten, während sich die Führung zugleich zunehmend in die Isolation manövrierte, aus Sicherheitsgründen weder telefonisch, noch per Internet oder über andere elektronische Medien mit Anhängern kommunizierte und sich fast ausschließlich auf primär über den Fernsehsender Al Dschasira verbreitete Videobotschaften beschränkte, die einige Zeit freilich durchaus Propagandawirkung unter frustrierten jungen Muslimen erzielten.

Doch die Al Qaida, der 2001 der spektakuläre Terrorakt in den USA gelang, ist längst nicht mehr dieselbe. Die lange im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet stationierte Zentrale ist dank konstanter US-Luftangriffe seit Jahren empfindlich geschwächt. Die Organisation mutierte zu einem Netzwerk voneinander völlig unabhängiger Zellen, die eigenständig agieren und sich höchstens ideologisch beeinflussen lassen. Wenn Bin Laden sich vor allem als Symbolfigur verstand, so hat er seine Aufgabe vollführt: Seine von erbittertem Hass auf den Westen inspirierte Ideologie und seine massenmörderische Strategie hat das Al-Qaida-Netz weithin durchsetzt. Doch völlig unabhängig von ihrem inzwischen getöteten Chef agieren die "Tochtergruppen": allen voran die Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel mit Sitz im Jemen, die laut US-Geheimdienst heute zur weitaus gefährlichsten Gruppe aufgestiegen ist, gefolgt von der Al Qaida im islamischen Maghreb, die die marokkanischen Behörden etwa nun verdächtigen, hinter dem Terrorakt in der Vorwoche in Marrakesch zu stehen, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen. Beide Gruppen, wie auch kleinere Zellen, kämpfen mit wachsenden Problemen, Anhänger und Aktivisten zu rekrutieren.

Denn schon vor Beginn des "arabischen Frühlings", der gewaltlosen Rebellion gegen die Diktatoren der Region, stand fest, dass Bin Laden sich nicht zum Sprecher der perspektivlosen arabischen Jugend zu erheben vermochte. Insbesondere die ungeheuren Exzesse der Al Qaida im Irak fügten dem Ansehen ihres Gründers auch unter der neuen arabischen Generation enormen Schaden zu. Die erstaunliche Massenbewegung friedlicher, freiheits- und demokratiehungriger Menschen, die in Ägypten und Tunesien in wenigen Wochen schafften, was Bin Laden mit Hilfe blutigen Terrors seit mehr als einem Jahrzehnt zu erreichen suchte - den Sturz der Autokraten - drängte die Al-Qaida-Ideologie vollends an den Rand der politischen Szene in diesem Teil der Welt. Der friedliche Kampf um Demokratie, Mitbestimmung und Menschenrechte steht in krassem Widerspruch zu Bin Ladens Lehren und Methodik. "Demokratie, dieses westliche Produkt, kann nur nicht-religiös sein", warnte Sawahiri jüngst nach langem Schweigen der Al-Qaida-Führer angesichts der Turbulenzen in der arabischen Welt - Worte, die die moderne Jugend nicht aufnimmt. Dennoch können Al-Qaida-Netze kurzfristig in manchen arabischen Ländern Boden gewinnen, wenn deren Herrscher, wie etwa vor allem in Libyen, Jemen oder Syrien, ihre Staaten in blutiges Chaos schlittern lassen.

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