Der Sturz des Michael Hartmann

Berlin · Die große Stadt hält viele Trostpflaster bereit – für die Einsamen, für die Verführbaren. Sie gibt es auch in der Politik, sogar noch mehr, als in anderen Berufsgruppen, wie der renommierte Suchtforscher Michael Klein herausgefunden hat.

In Berliner Parlaments- und Regierungsviertel ist die Versuchung besonders groß, Frust und Stress mit Alkohol , Rauschgift oder Amüsement zu betäuben. Ob der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann tatsächlich Drogen für den Eigenverbrauch erworben hat - der 51-Jährige soll die aufputschende, leistungsfördernde und schnell süchtig machende Modedroge Crystal Meth gekauft haben - ist noch völlig unklar. Aber die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen werfen doch auch ein Schlaglicht auf den Berliner Politikbetrieb. Denn Hartmann ist nicht der erste Fall. In diesen Tagen ist in der Hauptstadt mal wieder der Typus des politischen Tausendsassas gefragt. Der Bundestag geht in die Parlamentsferien. Das bedeutet für die Abgeordneten: Noch mehr Termine, dazu die abendlichen Sommerfeste von Landesvertretungen, Parteien oder Verbänden. Politiker stehen dann unter besonders extremen Druck. Alkohol baut Stress ab, Drogen sollen leistungsfördernd sein, gefühlt jedenfalls.

"Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock", hat der FDP-Mann Wolfgang Kubicki mal zugespitzt gesagt. Auf vier, fünf Termine sei eine Flasche Wein leicht zu verteilen. Abends gehe es dann richtig zur Sache, so Kubicki. Wer dann in seiner Berliner Behausung einsam weiter trinkt, wird umso leichter zum Abhängigen.

Der Job in Berlin macht nach Ansicht des Wissenschaftlers Michael Klein suchtanfällig. Wegen der häufigen Abwesenheit von der heimischen Umgebung, wegen des Alleinleben, der vielen Termine und der psychischen Belastungen. Klein lehrt am Institut für Sucht- und Präventionsforschung in Köln.

Drogen könnten für Politiker durchaus die erwünschten Effekte haben: Wachheit, Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Um zu widerstehen, benötigten sie eine Fähigkeit zur eigenen Stressregulation. Die hat nicht jeder. Helfen würden "eine gute Erdung, eine intakte soziale Anbindung", so Klein zu unserer Zeitung. Doch auch das fehlt oft. Claudia Roth, frühere Grünen-Parteichefin, jetzt Bundestagsvizepräsidentin, berichtete unlängst in einem Interview: "Einsamkeit ist in dem Job schon ein Thema. Man ist eine vollkommen öffentliche Person, geht abends ins Hotelzimmer, und dann wird es plötzlich leer."

Früher musste schon viel passieren, bis sich die Fraktionsführungen bei vermuteten Suchtproblemen einschalteten. 2011 beichtete der Unionspolitiker Andreas Schockenhoff seine Alkoholabhängigkeit nach einer Fahrerflucht, ihm wurde damals volle Unterstützung seitens seiner Kollegen für den Entzug zugesichert. Inzwischen ist Schockenhoff wieder auf der politischen Bühne aktiv. Für Forscher Klein ist das der richtige Weg. Der mit Drogenvorwürfen konfrontierte SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann soll nach Informationen von "Spiegel Online" mindestens drei Mal Crystal Meth gekauft haben - in einer Gesamtmenge von weniger als fünf Gramm. Die Ermittler seien offenbar bei der Überwachung der Kommunikation einer Dealerin auf Hartmann gestoßen, berichtete das Onlineportal. Auch soll der 51-Jährige von der Dealerin nach deren Festnahme als Kunde identifiziert worden sein. Zuvor sollen die Fahnder offenbar längere Zeit die Kommunikation der Frau überwacht haben.

In Hartmanns Berliner Wohnung fanden die Ermittler bei ihrer Durchsuchung am Mittwoch keine Drogen, wie ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft mitteilte. Seine Wohnung war durchsucht worden, nachdem der Bundestag auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Immunität aufgehoben hatte.

Crystal Meth macht schnell abhängig und führt zu schweren Schäden. Die künstliche Droge wird als kristallines Pulver, teilweise auch als Tabletten oder Kapseln verkauft. Hergestellt wird es aus Ephedrin. Für Nervenzellen ist Crystal hochgiftig. Vor allem der Langzeitkonsum kann zu Nervenschäden, Zahnausfall, Herzproblemen, Hautentzündungen und Psychosen führen. 2013 wurden laut BKA rund 77 Kilogramm der Droge beschlagnahmt. 2009 waren es nur 7,2 Kilo.

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