Der Streit um die Zuwanderung nach Punkten

Berlin · Die SPD will ein Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem wie in Kanada. Sie versteht es als Aufschlag für eine große Debatte. Dumm ist nur, dass der Koalitionspartner davon nicht sonderlich begeistert ist.

Wenn es nach Volker Kauder geht, hat Thomas Oppermann (SPD ) sechs Seiten für den Papierkorb produziert. Der Unionsfraktionschef sagte jüngst im Bundestag, Oppermann erwecke den Eindruck, Deutschland sei in Sachen Einwanderung ein rechtsfreier Raum. Nun hat Oppermann, der eigens ins Vorzeigeland Kanada gereist ist, seinen lange angekündigten Aufschlag gemacht. Kauder sagt kühl: "Die SPD macht ihre Sache und wir unsere."

Auch andere Unions-Granden zeigten gestern eine gewisse Unlust, über den Plan des SPD-Fraktionschefs überhaupt zu reden. Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) sagte: "Ich glaube, dass wir mit dem geltenden Rechtssystem im Grundsatz alle Fragen, die hier aufgeworfen sind, beantworten können." Und Kanzlerin Angela Merkel (CDU )? Sie möchte den Koalitionspartner (vorerst) offenbar nicht brüskieren, baut aber schon mal vor: "Es ist kein Teil unseres Koalitionsvertrags, insofern gibt es auch gar keinen Streit." Doch der ist eigentlich schon in vollem Gange.

Ausgangsthese der SPD ist, dass Deutschland durch den demografischen Wandel bis 2025 bis zu 6,7 Millionen Erwerbsfähige verlieren könnte. Oppermann versteht sein Papier daher als Start für eine Grundsatzdebatte, sonst seien durch zu wenig Beitragszahler auch die Renten nicht mehr sicher. "Deutschland als Einwanderungsland gestalten - warum wir ein Einwanderungsgesetz brauchen", ist es überschrieben, es soll als Blaupause dienen. Zwar habe es 2013 dank Zuwanderung aus Ost- und Südeuropa mit 429 000 Personen den höchsten Wanderungsgewinn seit über 20 Jahren gegeben - aber bei wirtschaftlicher Erholung in den Herkunftsländern könne sich das Blatt wieder wenden. Daher brauche es ein verlässliches System. Dessen Kernstück soll neben bestehenden Regeln ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas sein: Ausländische Bewerber würden nach Bedarf, Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnis eingestuft. Die Kritiker in der Union sehen in Kanada dagegen nicht das geeignete Vorbild. Erstens habe Ottawa gerade sein Punktsystem in Anlehnung an das deutsche Aufenthaltsgesetz geändert, heißt es. Nun sei auch dort der Nachweis eines Arbeitsplatzes wichtig. Außerdem kämen nach Kanada nicht so viele Flüchtlinge, was die Probleme hierzulande noch einmal verschärfe.

"Wir haben keine Eile", betont CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Er meldete schon Zweifel an den SPD-Plänen an, bevor Oppermann diese überhaupt vorgelegt hatte. Dabei hatte auch Tauber Kanada zunächst als Vorbild ausgemacht und wird bald selbst dorthin reisen.

Taktik der SPD ist es offenbar, jetzt schon mit Blick auf die Wahl 2017 zu zeigen, welche Projekte an CDU /CSU scheitern können. Als Strategie der Union zeichnet sich indes ab, so lange zu reden, bis die Wahlperiode vorbei ist. Das sei ein gutes Thema für 2017, findet man im Konrad-Adenauer-Haus. Merkel betont, drängender sei derzeit die zunehmende Zahl von Flüchtlingen in Deutschland. Das Paradoxe: Die Vorstellungen beider Seiten liegen eigentlich gar nicht so weit auseinander: ein faires, berechenbares System für Einwanderer .

Meinung:

Mehr als ein Symbol

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Im Moment scheint ein Einwanderungsgesetz, das den geregelten Zuzug gut Qualifizierter erlaubt, überflüssig zu sein. Deutschland hat durch Kriegsflüchtlinge, Asylbewerber und Bürger aus Südosteuropa genug Einwanderung. Dennoch ist das von der SPD geforderte Gesetz nicht sinnlos. Erstens muss es mit dem ungeordneten Zustrom nicht weiter so bleiben und zudem betteln die Firmen nach Arbeitskräften. Zweitens würde Deutschland mit einer solchen Regelung aktiv eintreten in den längst laufenden Wettbewerb um die besten Köpfe der Welt. Und drittens gäbe es auch den Deutschen selbst ein Signal.

Bisher ist Deutschland zwar ein Einwanderungsland, jedoch wider Willen. Mit einem solchen Gesetz wäre die Bundesrepublik aus freien Stücken ein Zuzugsgebiet. Das ergäbe ein ganz anderes innenpolitisches Klima, indem nicht zuletzt auch die Integration viel besser ge lingen könnte.

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