Arabische Großfamilien Mit neuer Härte gegen kriminelle Clans

Berlin · Bestimmte arabische Großfamilien leben in Deutschland in einer Parallelwelt. Der Staat will sie jetzt an ihrer größten Schwachstelle treffen.

 Der Staat demonstriert Entschlossenheit gegen arabische Clans: Polizeibeamte führen einen Mann nach einer Razzia in Berlin-Tempelhof ab.

Der Staat demonstriert Entschlossenheit gegen arabische Clans: Polizeibeamte führen einen Mann nach einer Razzia in Berlin-Tempelhof ab.

Foto: picture alliance/dpa/dpa Picture-Alliance / Paul Zinken

Es ist ein trüber Tag, dieser 15. Januar, an dem in Berlin ein 42-jähriger Mann zum ersten Mal verurteilt wird. Etliche Verfahren gegen ihn waren eingestellt worden. Jetzt erhält er eine geringe Strafe: zehn Monate Gefängnis auf Bewährung, weil er einen Hausmeister angegriffen hatte. Eigentlich könnte er heim gehen. Doch dann sorgt dieser Prozesstag bundesweit für Aufsehen. Denn Polizisten und eine Staatsanwältin verhaften den Mann wegen eines anderen Verdachts. Es geht um eine angeblich geplante Entführung von Kindern des Rappers Bushido. Der 42-Jährige kommt sofort nebenan ins Untersuchungsgefängnis in Berlin-Moabit.

Für Oberstaatsanwältin Petra Leister und die Polizei ist es ein Tag des Triumphes. Was passiert war, schien lange kaum denkbar: ein spektakulärer Schlag gegen die Clan-Kriminalität. Denn der Inhaftierte ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der Chefs der arabischstämmigen Großfamilie Abou-Chaker. Längst nicht alle Mitglieder sind kriminell, aber es gibt verurteilte Mehrfachtäter. Der Clan-Boss wurde an diesem Tag abgeführt, weil er hinter dem angeblichen Plan zur Kindesentführung stecken soll.

Über Jahrzehnte hatten Clans ihre Macht in der Hauptstadt ausgebaut und eine Parallelwelt geschaffen, in der Männer mit teuren Uhren, Goldketten und Luxusautos bewundert werden – die staatlichen Gesetze aber weniger. Schwerpunkte sind die Stadtteile Neukölln, Wedding, Moabit und Kreuzberg. Die Behörden gehen davon aus, dass viele Gelder aus illegalen Geschäften stammen. Politik, Polizei und Justiz geben inzwischen zu, folgenschwere Fehler gemacht zu haben. Und dass eine misslungene Integrationspolitik den Aufstieg der Clans begünstigte. Viele kurdisch-arabische Flüchtlinge aus dem Libanon durften in Deutschland lange nicht arbeiten. Sie erhielten Sozialhilfe. Kriminalität wurde daneben zu einer Haupteinnahmequelle: Diebstahl, Drogenhandel, Schutzgelderpressung und illegales Glückspiel.

Die Neuköllner Grundschuldirektorin Astrid-Sabine Busse hat mit dem „Nachwuchs der großen Familien und auch der großen Namen“ zu tun. Sie meint, bei vielen fehle der Wille zur Integration und zum Arbeiten. „Wenn der Papi nach Hause kommt, von seiner langen Reise in den Libanon, und dann liegt der Geldhaufen auf dem Tisch, und dann zählen wir, das ist doch schön“, sagte die Frau bei einer Anhörung im Herbst 2018 ironisch. Für Polizei und Gerichte hieß das lange: Mit herkömmlichen Methoden kommen sie nicht ran an die Strippenzieher im Inneren der Familien.

Dann kippte etwas. Immer dreister waren die Coups geworden, die den oft kurdisch-libanesischen Familien zugerechnet werden. Überfall auf die Schmuckabteilung im KaDeWe (2014) und Juweliergeschäfte, Sparkassen-Einbruch mit einer Beute von mehr als neun Millionen (2014), Einbruch ins Bode-Museum und Diebstahl einer 100 Kilo schweren Goldmünze (2017), Überfall auf einen Geldtransporter (2018). Es gab große Berichte, die Politik kam unter Druck.

Jetzt wird Entschlossenheit demonstriert – in Berlin und andernorts. Der Senat hat einen Fünf-Punkte-Plan gegen Clan-Kriminalität entwickelt. Die Generalstaatsanwaltschaft stellt neue Leute ein für die Suche nach illegalem Vermögen. Das Landeskriminalamt baut ein Zentrum zum Kampf gegen illegale Strukturen auf. Der Konsens: Die Kriminellen müssen dort getroffen werden, wo es richtig weh tut – beim Geld. Wie Berlin vorgeht, wird auch in anderen Bundesländern mit Interesse verfolgt.

Zwischen zwölf und 20 Clans mit mehreren tausend Mitgliedern sollen in Deutschland agieren, etwa im Ruhrgebiet, in Niedersachsen und Bremen. Die Polizei nennt in der Regel nur Nachnamen: wie Remmo, Miri, Al-Zein oder Abou-Chaker. Beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden soll erstmals im sogenannten Lagebild zur Organisierten Kriminalität ein Kapitel „Kriminelle Mitglieder von Großfamilien ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ erstellt werden.

„Wir haben sie viel zu lange in Ruhe gelassen, es wurde zu wenig Unruhe geschaffen in einer Szene, die machen konnte, was sie wollte“, sagt der Berliner Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra. „Seit Jahren beobachten wir die gleichen arabischen Großfamilien, die Probleme machen.“ In Berlin seien es acht bis zehn Clans, von denen einige Mitglieder kriminell sind. Der Schwachpunkt sei das Geld, sagt Kamstra. Entscheidend sei die Frage: „Wie können wir deren Lebensstil, diese Protzerei vereiteln?“

Eine Gesetzesreform hilft den Ermittlern an diesem Punkt: Seit dem 1. Juli 2017 kann der Staat vorläufig und unter bestimmten Bedingungen Vermögen bereits einziehen, wenn die Herkunft unklar ist. Früher musste erst bewiesen werden, dass das Geld aus Verbrechen stammte.

So folgte die erste deutliche Kampfansage an die stadtweit bekannte Berliner Clanfamilie Remmo: 77 Häuser und Wohnungen im Wert von neun Millionen Euro wurden im Sommer 2018 beschlagnahmt. Das Geldwäsche-Verfahren richtet sich gegen 16 Mitglieder der Familie. Hatten sie sich zu sicher gefühlt? Auf die Spur des Geldes kam die Polizei, weil auffiel, dass ein Mitglied, das von Hartz IV und Kindergeld lebte, Wohnungen und Grundstücke kaufte. Vermutet wird, dass dabei große Beträge aus dem Millionen-Sparkasseneinbruch von 2014 in den legalen Wirtschaftskreislauf gebracht werden sollten. Doch wie die Ermittlungen ausgehen, ob jemand ins Gefängnis wandert, ist offen. Ein Problem bei der Suche nach Beweisen ist, dass Angehörige der Clans sich nicht verpfeifen. Selbst dann nicht, wenn sie nicht selbst Teil der kriminellen Strukturen sind. Wer mit dem Staat kooperiert, gilt als Verräter und verliert leicht die gesamte Familie.

Das juristische Tauziehen könnte hier also noch Jahre dauern, ist zu hören. Und keiner weiß, ob die Beschlagnahme der Immobilien, die jetzt unter Zwangsverwaltung des Staates stehen, Bestand haben wird.

Seit dem neuen Gesetz haben Berliner Gerichte angeordnet, Werte von mindestens 109 Millionen aus illegalem oder unklarem Vermögen einzuziehen, so berichten die Staatsanwälte. Darunter sind Autos, Bargeld, Häuser. Dass der Verlust eines Statussymbols junge Männer an einem heiklen Punkt trifft, davon geht Staatsanwältin Leister aus: „Ohne Rolexuhr und teures Auto möchte man ungern das Haus verlassen.“

Petra Leister leitet eine Abteilung für Organisierte Kriminalität. Immer wieder seien Angehörige arabischer Großfamilien aufgefallen, „ohne dass wir ihnen die Taten nachweisen können“, sagt sie. Nach Einbrüchen und Überfällen würden kaum eindeutige Spuren gefunden. Ihr Kollege Kamstra meint, klassische Ermittlungsmethoden verfingen hier nicht. Telefone abhören? „Die wechseln die Handys schneller, als wir gucken können, und treffen sich in irgendwelchen Shisha-Bars.“ Das Bestechungs- und Drohpotenzial der Clans sei gut genug, um Zeugen verstummen zu lassen.

Bei der neuen Strategie schauten die Kollegen jetzt gezielt nach Verfahren, die „ermittlungstaktisch Potenzial“ haben – es könnten auch ganz kleine sein. „Die Klopperei eines 14-Jährigen auf dem Schulhof, der einen Totschläger benutzt, kann Anlass für eine Durchsuchung bei einem Clan-Haushalt sein.“ Für Kamstra sind kleine Aktionen nicht einfach Nadelstiche, sondern haben auch andere Zwecke. „Wir müssen so viel wie möglich objektive Beweismittel kriegen, so dass wir die Zeugen nach Möglichkeit nicht brauchen“, sagt er. Zu diesem Werkzeug gehört auch die Standortdaten-Bestimmung von Handys. „Manche Fälle haben wir nur so aufgeklärt – so den Überfall auf ein Pokerturnier – sonst wäre es nie zur Verurteilung von Hintermännern gekommen.“

Doch die Gegenseite zeigte 2018 ebenfalls Stärke. Damals war Nidal R., der zu einer weniger bekannten Familie gehörte, erschossen worden. Zur Beerdigung kamen sie alle: Oberhäupter und Freunde mehrerer Großfamilien. Rund 2000 Männer strömten auf den Berliner Zwölf-Apostel-Friedhof. Sie kamen aus vielen Teilen Deutschlands. Der Friedhof wurde an diesem Vormittag zum Zeichen einer anderen Realität – einer Männerwelt, in der Älteren die Hand geküsst wird. Frauen waren erst später zugelassen.

Polizisten identifizierten 128 Besucher, die direkt der Organisierten Kriminalität zugeordnet werden, die meisten davon aus dem Netzwerk der Clan-Kriminalität. Festgenommen wurde bei dem Schaulaufen niemand. Ohne aktuelle Vorwürfe und Beweise auch kein Haftbefehl.

Denn auch wenn die Tonlage im Kampf gegen das Phänomen hart geworden ist: Berlins Innensenator Andreas Geisel rechnet mit mühsamen Ermittlungen. „Man braucht hier einen langen Atem, auch über Jahre hinweg“, sagt der SPD-Mann.

Einen Rückschlag mussten Polizei und Staatsanwaltschaft am 31. Januar hinnehmen. Ein Richter hob den Haftbefehl gegen den Clan-Chef der Abou-Chakers auf, zwei Wochen nach dem vielbeachteten Abführen im Gericht. Ganz so dringend tatverdächtig scheint er nicht mehr zu sein. Die Ermittlungen gehen weiter – wie so oft.

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