SZ-Serie Zurück zu G9? Der Ruck, der die Schulen ergriff

Saarbrücken. · Im Saarland endet im Januar das Volksbegehren gegen G8. Ein Blick zurück zu dessen Anfängen.

Eröffnungsveranstaltung achtjähriges Gymnasium im Saarland: 2001 feierten Kultusminister Jürgen Schreier (r.), Bundespräsident Roman Herzog (2.v.l.) und der saarländische Ministerpräsident  Peter Müller (l.) im Merziger Zeltpalast die Einführung des Turbo-Abiturs.

Eröffnungsveranstaltung achtjähriges Gymnasium im Saarland: 2001 feierten Kultusminister Jürgen Schreier (r.), Bundespräsident Roman Herzog (2.v.l.) und der saarländische Ministerpräsident  Peter Müller (l.) im Merziger Zeltpalast die Einführung des Turbo-Abiturs.

Foto: rup/ruppenthal,rolf

Der Bundespräsident hat nicht viel mehr als die Macht des Wortes. Und wohl nur selten hatten die Worte eines Staatsoberhauptes eine solche Wirkung wie diejenigen in Roman Herzogs „Ruck-Rede“ vom 26. April 1997. „Wie kommt es“, fragte Herzog damals, „dass die leistungsfähigsten Nationen in der Welt es schaffen, ihre Kinder die Schulen mit 17 und die Hochschulen mit 24 abschließen zu lassen?“ Warum solle nicht auch in Deutschland ein Abitur in zwölf Jahren zu machen sein? „Für mich persönlich sind die Jahre, die unseren jungen Leuten bisher verloren gehen, gestohlene Lebenszeit.“

Dass junge Menschen zu spät ins Berufsleben starten, war in Deutschland damals Grundkonsens, parteiübergreifend. Schon Willy Brandt hatte in seiner Regierungserklärung von 1973 gesagt, eine Schulzeit von zwölf Jahren sei „vernünftig und notwendig“. Nach Herzogs Rede reiften in mehreren Bundesländern Pläne, die Zeit bis zum Abitur zu verkürzen. Im Saarland kündigte 1998/99 der damalige SPD-Bildungsminister Henner Wittling G8-Modellversuche an Gymnasien in Saarbrücken, Neunkirchen und Dillingen an. In ostdeutschen Ländern hatte es nie etwas anderes gegeben als das Abitur nach zwölf Jahren.

Nicht zuletzt die Wirtschaft machte Druck, sie wollte jüngere Absolventen. „Was die bildungspolitische Meinungsbildung angeht, hatte die Wirtschaft einen großen Anteil an G8“, sagt der damalige IHK-Hauptgeschäftsführer Hanspeter Georgi, der 1999 Wirtschaftsminister wurde. Obgleich die CDU im Bund schon länger für kürzere Schulzeiten eintrat, kam die Einführung von G 8 im Saarland überraschend. Vor der Landtagswahl vom 5. September 1999 war G8 bei der CDU kein Thema. Stattdessen findet sich in Papieren von damals die Überlegung, das Modell Rheinland-Pfalz (12,5 Jahre bis zum Abitur) auch im Saarland einzuführen.

Die Entscheidung für G8, so heißt es in der CDU, fiel nach der Landtagswahl 1999 relativ spontan. Als der neue Ministerpräsident Peter Müller seine erste Regierungserklärung vorbereiten ließ, kam ein kleiner Kreis um Bildungsminister Jürgen Schreier demnach auf die Idee, ein generelles G8 einzuführen. Müller sagte dann in seiner Regierungserklärung am 27. Oktober 1999: „Insgesamt ist das Berufseintrittsalter der jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zu hoch. Deshalb wird die neue saarländische Landesregierung auch an dieser Stelle ein deutliches Signal setzen. Wir wollen als erstes aller alten Bundesländer das Gymnasium im Saarland flächendeckend achtjährig ausgestalten.“

Die Schulzeitverkürzung sollte bereits zum Schuljahr 2001/02 in Kraft treten. Die Gymnasiallehrer fragten sich, was da auf sie zukommt. „In der Kollegenschaft gab es zunächst einmal Widerstände und Bedenken“, sagt der damalige Vorsitzende des Saarländischen Philologenverbandes (SPhV), Horst Günther Klitzing. Die SPhV-Führung brach ob der geplanten Reform nicht in Jubelstürme aus, blockierte sie aber auch nicht. Sie sah die Chance, mit dem neuen CDU-Bildungsminister Schreier langjährige Ziele wie die Überarbeitung der Lehrpläne und mehr Personal durchzusetzen.

Bei den Eltern war das Bild gemischt: Während die Landeselternvertretung der Grundschulen die CDU warnte, „gegen den Willen von betroffenen Eltern einen so schwerwiegenden Einschnitt in das schulische und das Familienleben“ zu beschließen, war die Landeselternvertretung der Gymnasien mit deutlicher Mehrheit auf G8-Kurs.

Im Landtag, in dem damals nur CDU und SPD vertreten waren, lieferten sich beide Parteien Schlagabtausche, wie man sie heute gelegentlich vermisst. Die SPD sprach von „Effekthascherei“ und prognostizierte, dass G8 zu einem Qualitätsverlust führen werde. Wobei die SPD nicht generell gegen G8 war. Der junge Fraktionschef Heiko Maas machte der CDU im Jahr 2000 das Angebot, G8 einzuführen, und zwar „durchaus auf breiter Fläche, aber eben nicht flächendeckend“, um die Wahlmöglichkeit zu erhalten.

Die Befürchtung, das Gymnasium werde in acht Jahren schwerer, gab es schon damals. „Schüler, die für das Gymnasium geeignet sind, werden auch künftig in dieser Schulform nicht überfordert werden“, versprach die Regierung in der schriftlichen Begründung des Gesetzes. In diesem Dokument bestätigte die Landesregierung, sie ziehe mit dieser Entscheidung „auch Konsequenzen aus dem eindringlichen Appell des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog in seiner Rede ‚Aufbruch ins 21. Jahrhundert’ vom 26. April 1997 in Berlin“.

Es war daher kein Zufall, dass Herzog am 2. August 2001 bei einem Festakt im Merziger Zeltpalast offiziell den Startschuss für das achtjährige Gymnasium im Saarland gab – und bekannte: „Ich freue mich unglaublich, dass hier im Saarland der Anfang gemacht wird.“

Ein zentraler Vorwurf von damals lautete, G8 sei ein Schnellschuss gewesen. Der damalige Wirtschaftsminister Georgi, ein vehementer G8-Befürworter, sagt heute, man hätte sich besser noch ein Jahr mehr Zeit nehmen sollen, um die Lehrpläne anzupassen. ShPV-Mann Klitzing hätte sich schon damals mehr Vorlaufzeit gewünscht. Er äußert aber auch Verständnis dafür, dass solche Reformen aus politischen Gründen relativ früh in der Wahlperiode angepackt werden, weil andernfalls schon wieder die nächste Wahl ansteht.

Ein Vorwurf von damals kann im Rückblick widerlegt werden: die Vermutung, G8 sei ein Sparmodell, um Lehrerstellen zu kürzen. Zum einen blieb die Zahl der Unterrichtsstunden eines jeden Gymnasiasten von der fünften Klasse bis zum Abitur unverändert; sie verteilen sich seither lediglich auf acht statt auf neun Jahre. Zum anderen stärkte die CDU-Regierung Müller die Gymnasien massiv: Gab es zum G8-Start 2001 noch 1473 Planstellen für Lehrer an den Gymnasien, waren es 2009, als die Umstellung abgeschlossen war, 1726 Stellen – obwohl sich die Zahl der Gymnasiasten nicht wesentlich verändert hatte.

Bildungsminister Schreier sagte bei der Einführung voraus: „Ein mutiger Schritt eines kleinen Landes, dem viele andere große Bundesländer bald folgen werden.“ Er sollte Recht behalten. Als erstes folgte Bayern im Jahr 2003. Allerdings sind einige Länder inzwischen wieder auf dem Rückmarsch zu G9. Und es stellt sich die Frage, ob das Saarland diesmal den anderen Ländern folgen wird.

Die Saarbrücker Zeitung startet mit dem heutigen Tag eine Serie zur Diskussion über das achtjährige Gymnasium. Bis zum Ende des Volksbegehrens Anfang Januar 2018 wollen wir unterschiedliche Aspekte des Themas beleuchten sowie Befürworter und Gegner zu Wort kommen lassen.

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