Der PuppenspielerTage der Unsicherheit

Rom. Das Schreckgespenst Europas wird mit Sprechchören begrüßt. "Silvio, Silvio, Silvio", hallt es durch den Saal, als der Kandidat zum Klang eines honigsüßen Songs Einzug hält. Eine sanfte Männerstimme säuselt aus den Boxen "La Libertà". Es ist die Hymne der Berlusconi-Partei

Rom. Das Schreckgespenst Europas wird mit Sprechchören begrüßt. "Silvio, Silvio, Silvio", hallt es durch den Saal, als der Kandidat zum Klang eines honigsüßen Songs Einzug hält. Eine sanfte Männerstimme säuselt aus den Boxen "La Libertà". Es ist die Hymne der Berlusconi-Partei. Sie handelt von der Freiheit, vom Glück und von einer heilen Welt, die man sich hier in diesem prall gefüllten Konzertsaal in Rom genau ansehen kann.

Beinahe 20 Jahre sind vergangen, seit Silvio Berlusconi zum ersten Mal mit diesem Rezept Erfolg hatte. Ein gut gelaunter Unternehmer versprach schon damals die Befreiung von Steuern, von den Kommunisten und von einer politisch motivierten Justiz. Das ist auch heute noch, gut eine Woche vor den Parlamentswahlen in Italien, der Berlusconi-Dreiklang.

Da sind zwei blonde Engel in engen Jeans und Stöckelschuhen. Sie trippeln die flachen Stufen des 1700 Zuschauer fassenden Saals nach unten in die vorderen Reihen und werden in einigen Minuten mit anderen im Takt wippen: "Wer nicht hüpft, der ist ein Kommunist, hey, hey!" Giulia, die kleinere, sagt: "Berlusconi ist großartig, er ist charmant und schlagfertig." Rebecca meint, der Cavaliere würde angefeindet, beneidet und sei trotz allem immer noch da. "Die angeblichen Skandale sind Lügenmärchen", sagt sie.

Etwa 20 Prozent der italienischen Wähler denken wie Giulia und Rebecca. Auf so viele Stimmen kommt das "Volk der Freiheit" (PdL) den letzten Umfragen zufolge. Zusammen mit den Bündnispartnern wie der Lega Nord kann Berlusconi auf etwa 28 Prozent der Stimmen hoffen, vielleicht mehr.

Noch bevor der inzwischen 76 Jahre alte Kandidat den Saal betritt, bekommen die wartenden Besucher eine Lektion. Auf eine Leinwand neben der Bühne wird vor Beginn der Veranstaltung ein Film projiziert. Zu sehen ist die Berlusconi-Saga, die immer noch wie ein Kitt unter seinen Anhängern wirkt. Gezeigt wird ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der aus eigener Kraft nach und nach ein Imperium aufgebaut hat. Erst mit Immobilien, dann mit dem Fernsehen, die Geschichte ist eindrucksvoll, sie ist so etwas wie der italienische Traum. Irgendwann kann sich der Mann sogar einen eigenen Fußballverein leisten, der einen Titel nach dem anderen gewinnt. Berlusconi gelingt alles. Das ist die Botschaft des Streifens, und davon ist der Mailänder Unternehmer selbst bis heute überzeugt.

In wenigen Minuten werden die Zuschauer das Gesamtkunstwerk Berlusconi dann in echt zu sehen bekommen. Es sind vor allem Senioren, die im Saal sitzen. Ein älterer Herr liest die Zeitung "Il Giornale", das Hausblatt Berlusconis. Wer "Il Giornale" oder "Libero" glaubt und sich dazu in den einschlägigen Sendungen des Mediaset-Konzerns informiert, der lebt in einer ganz eigenen Welt. Berlusconis Erfolg als Unternehmer ist auch heute noch die Quelle seines Selbstbewusstseins. Neid und Missgunst seien der Antrieb seiner Gegner, vor allem der Linken, behauptet er selbst. Diese Gleichung ist ein Leitmotiv seiner Wahlkampfveranstaltungen. Dann erklingt die italienische Nationalhymne. Berlusconi hat die Bühne betreten und steht neben dem Rednerpult. Die Bühne gehört ihm ganz allein, der kleine Mann im weiten Zweireiher da unten legt die Hand aufs Herz und wirkt zufrieden. In den Wochen des Wahlkampfes bekam man aus der Partei "Volk der Freiheit" kaum ein anderes Gesicht zu sehen als seines. Die Parteifreunde sind Marionetten, die der Puppenspieler nach Belieben bewegt. Keiner hat denselben polarisierenden Effekt bei den Leuten wie er. Entweder verabscheut man ihn, heute ist das die Mehrheit der Italiener. Oder man verehrt ihn, das sind heute etwa 20 Prozent. Und dann sind da noch diejenigen, die sich noch nicht entschieden haben, ob dieser Menschenfänger schlimmer ist als die anderen oder nicht. Auf sie hat er es abgesehen.

Berlusconi beginnt seine Rede, sie ist mit flotten Sprüchen gespickt. Bald gerät der Saal in Ekstase. "Wollt ihr weniger Steuern zahlen?", fragt Berlusconi. "Siiiiiiii!", ruft der Saal zurück. "Wollt ihr mehr Konsum, Produktion und Arbeitsplätze?" "Siiiiiiii!" Wenn man die Steuern senkt, das ist der Gedanke, geht es wirtschaftlich nach oben. Natürlich drängt sich die Frage auf, warum Berlusconi die Aktivierung dieses Mechanismus in acht Jahren Regierungszeit nicht gelungen ist, aber jetzt ist nicht die Zeit für Fragen, sondern für Versprechungen: Rückzahlung der Immobiliensteuer, Steueramnestie, vier Millionen Arbeitsplätze. Siiiiiii!

Am Ende bleibt ein schales Gefühl. Warum glauben ihm die Menschen immer noch? Warum sehen sie in ihm nach allen Affären und Enttäuschungen keinen verantwortungslosen Verführer? Es kommt wohl darauf an, in welcher Welt man lebt. In Italien oder in einer großen Illusion.Foto: dpa

Foto: dpa

Hintergrund

Die schwarz-gelbe Koalition ist beunruhigt angesichts einer möglichen Rückkehr von Silvio Berlusconi an die Macht nach den Parlamentswahlen in Italien. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) drängte in der "Süddeutschen Zeitung" zu einer Fortsetzung des "proeuropäischen Kurses" in Italien. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), sagte dem Blatt: "Italien braucht ein politisches Führungspersonal, mit dem man Zukunft verbindet. Dafür steht Berlusconi sicherlich nicht." Es gehe "auch um Vertrauen und Glaubwürdigkeit". Gegen Silvio Berlusconi laufen mehrere Gerichtsverfahren. afp

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Villa Fuchs mit neuem Programm Das Kreiskulturzentrum Villa Fuchs wird in den kommenden Monaten viele namhafte Künstler nach Merzig und Umgebung locken. Auf dieser Sonderseite geben wir einen Überblick über die Veranstaltungen im ersten Halbjahr.
Villa Fuchs mit neuem Programm Das Kreiskulturzentrum Villa Fuchs wird in den kommenden Monaten viele namhafte Künstler nach Merzig und Umgebung locken. Auf dieser Sonderseite geben wir einen Überblick über die Veranstaltungen im ersten Halbjahr.