Der Punkt in seiner Seele

Die Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück ist ein schlagender Beweis dafür, wie brutal Politik sein kann. Seit der Genosse in den Ring gestiegen ist, um die Bundeskanzlerin Angela Merkel herauszufordern, kriegt er unentwegt „auf die Zwölf“.

 Peer Steinbrück in einer typischen Pose: Er gibt sich kämpferisch, wirkt aber zaghaft, wie hier auf dem Parteitag der Saar-SPD im Juni. Foto: Dietze

Peer Steinbrück in einer typischen Pose: Er gibt sich kämpferisch, wirkt aber zaghaft, wie hier auf dem Parteitag der Saar-SPD im Juni. Foto: Dietze

Foto: Dietze

Weniger von der Konkurrentin, die sich elegant zurückhält; aber von den Medien, die jede Schwäche des SPD-Mannes gnadenlos ausleuchten. Die ganze Tragik der Kandidatur wurde auch am späten Dienstagabend deutlich, als Steinbrück bei "Maischberger" in der ARD Rede und Antwort stehen sollte. Er saß dabei im Sessel - und irgendwie auch auf der Psycho-Couch.

Tatsächlich muss man kein Freund der SPD sein, um die Gesprächsführung der Moderatorin zumindest fragwürdig zu finden. Mit süffisantem Grinsen forderte sie immer wieder das Geständnis des Kandidaten ein, dass die Wahl am 22. September doch eigentlich schon verloren sei. Er keine Chance mehr habe, allenfalls noch für eine große Koalition. Es war ein Spiel mit gezielten Provokationen - denen Steinbrück nicht standhielt. Zu viele Verletzungen, teils selbstverschuldet, haben sein Nervenkostüm zerzaust.

Maischbergers Redaktion hatte tief im Archiv gekramt - und vor allem negative Aspekte im Leben des früher so forschen Genossen gefunden. Alles wurde wieder aufgewärmt, nicht nur die Geschichte mit den Vortrags-Honoraren, die den Start des Kandidaten so vermasselt hat. Eine große Grafik mit auseinander driftenden Kurven zur Beliebtheit von Merkel und Steinbrück hielt die Moderatorin minutenlang in die Kamera, auch Steinbrücks emotionaler Ausbruch auf einem SPD-Konvent wurde bis zur letzten Zuckung ausgewalzt. Selbst sein Eingeständnis, in diesem Moment der Rührung sei "der Punkt in meiner Seele getroffen" worden, stellte Maischberger nicht zufrieden. Sie stocherte weiter in der Wunde, während der Kandidat mit süßsaurem Lächeln versuchte, die Contenance zu wahren. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb später von einer Sendung, "in der Maischberger nur ein Ziel zu haben scheint: Steinbrück zu einer neuen Ungeschicklichkeit zu verleiten".

Nun war der Kandidat zu besseren Zeiten, als er in Bonn, Kiel, Düsseldorf und Berlin Karriere machte und bis zum Ministerpräsidenten von NRW und Bundesfinanzminister aufstieg, selbst kein Kind von Traurigkeit. Der Hanseat konnte ordentlich austeilen, auch gegen seine eigene Partei. Jetzt, da er selbst verprügelt wird, kommt zum Vorschein, dass er offenbar gar nicht so souverän ist. Steinbrück, der immer für einen kessen Spruch gut war und mit anderen gern kurzen Prozess machte, entpuppte sich selbst als "Heulsuse".

Dieser Wandel in der Befindlichkeit ist indes verständlich. Denn Steinbrück muss sich fühlen wie einst Bundesliga-Profi "Kobra" Wegmann, der nach einem vergeigten Spiel zu Protokoll gab: "Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu". Schon der Start war ja zur Panne geraten, als sich Kollege Frank-Walter Steinmeier ohne Rücksprache aus der "Troika" entfernt und die SPD zum Kandidaten-Schwur gezwungen hatte. Es folgten die bekannten Fettnäpfchen von den Honoraren, dem Weinpreis, dem Kanzlergehalt. Die "Frankfurter Allgemeine" scheute sich nicht, dem Herausforderer offen Unfähigkeit zu attestieren: "Er kann es nicht." Steinbrück konnte es wirklich nicht - irgendjemandem Recht machen. Kein Wunder: Die Präzision seiner Äußerungen lässt stark zu wünschen übrig.

Die psychologischen Auswirkungen der bislang so vermurksten Tour waren beim Gefühlsausbruch in der SPD-Veranstaltung und nun auch bei "Maischberger" zu sehen: Der Kandidat ist angeknockt, er reagiert zunehmend verkniffen. Vermutlich glaubt Steinbrück selbst nicht mehr an den Erfolg von Rot-Grün, und Angela Merkel, die Teflon-Frau, kann sich beruhigt zurücklehnen. Aber wenn sie ehrlich ist, wird sie dem Twitterer "Erik Flügge" Recht geben, der den Charakter der ARD-Sendung am besten beschrieb: "Die gleichen Journalisten, die feiern, dass #Maischberger @peersteinbrueck pausenlos ins Wort fällt, fragen #Merkel nach Kochrezepten."

Zum Thema:

Am RandeWie wählen die Deutschen am 22. September? Diese Frage versuchen die Leser der Saarbrücker Zeitung seit etwa einer Woche mit der SZ-Wahlwette zu beantworten. Jeder Partei muss ein Prozentwert zugeordnet werden. Zu tippen sind: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke, Piraten und die Alternative für Deutschland (AfD). Aus den Tipps errechnet sich die Gesamt-Prognose. Bisher haben sich über 2441 Nutzer unter www.saarbruecker-zeitung.de/wahlwette beteiligt.red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort