"Der Professor aus Heidelberg" versucht es noch einmal

Karlsruhe/Berlin

 Paul Kirchhof will das Steuersystem vereinfachen. Foto: dpa

Paul Kirchhof will das Steuersystem vereinfachen. Foto: dpa

Karlsruhe/Berlin. Könnte es wirklich so einfach sein? Nicht mehr 200 verschiedene Steuergesetze, sondern nur noch eines? Nur noch 146 Paragrafen statt über 30 000? Je komplizierter die Dinge sind, desto größer die Sehnsucht nach einer einfachen Lösung - und so gesehen ist es kein Wunder, dass Paul Kirchhof mit seinem Entwurf für ein radikal vereinfachtes Steuersystem ein wohlwollendes Echo in den Medien bekommt. Ein mittleres Wunder wäre es jedoch, wenn von den Ideen des Heidelberger Professors im Berliner Politikbetrieb viel übrig bliebe.Schon im Bundestags-Wahlkampf 2005 hatte sich der ehemalige Verfassungsrichter und ausgewiesene Steuerexperte eine blutige Nase geholt, als er für die Union als potenzieller Finanzminister antrat. Damals wurde er zur bevorzugten Zielscheibe von Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der ihn als "dieser Professor aus Heidelberg" verspottete. Man darf dem 68-Jährigen durchaus Leidenschaft, vielleicht auch Besessenheit abnehmen, wenn er sich nun wieder aus der Deckung traut. Ohne konkreten Auftrag entwarf Kirchhof in einer Arbeitsgruppe mit sechs Bundesländern in mehr als zehn Jahren sein Steuergesetzbuch. Ein, wie er es nennt, "Angebot aus der Wissenschaft", das sich in seiner Übersichtlichkeit und klaren Sprache wohltuend abhebt vom Klein-Klein der realen Reformbastelei.

Doch schon bei der Vorstellung des Werks wurde deutlich, dass Kirchhof zwar viel Mühe und Liebe in seinen Entwurf gesteckt hat, sich aber keine schlagkräftige politische Unterstützung organisieren konnte oder wollte. Da blieb ihm nur der Verweis auf die Abteilungsleiter aus den Länderministerien, mit denen er zusammengearbeitet hat. Und der Glaube daran, "dass sich der große Gedanke durchsetzt". Für wie groß er seinen Gedanken hält, wird daran deutlich, dass er zum Vergleich die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heranzog.

In Berlin klang das Echo genau so, wie es zu erwarten war und schon Jahre zuvor geklungen hatte: Interessant, aber nicht umsetzbar und viel zu teuer, lautete das Urteil auch aus den Koalitionsreihen. Dass von SPD und Grünen wenig Unterstützung für einen ehemaligen Lieblingsfeind zu erwarten war, versteht sich von selbst. Mancher Widerspruch bleibt ungeklärt: Während Kirchhof sagt, die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer würden sich nach seinem Plan verdreifachen, meint Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, sie würden sich halbieren.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Volker Wissing (FDP), äußert Sympathie für die Vorschläge, betont er aber, Steuerpolitik bedeute, "dicke Bretter bohren" - und ist dann gleich bei den Details der "Kalten Progression". Der finanzpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Klaus-Peter Flosbach, äußert "höchsten Respekt" vor der Arbeit Kirchhofs. "Klar ist aber auch, dass man ein über Jahrzehnte gewachsenes Steuersystem nicht so ohne Weiteres gegen ein neues austauschen kann."

Dumm nur, dass Kirchhof genau das vorhat. Doch die Berliner Routine wird sich von einem Professor aus Heidelberg kaum mehr durcheinanderbringen lassen.

Zur Person

Paul Kirchhof wurde am 21. Februar 1943 in Osnabrück geboren und wuchs als Sohn eines Bundesrichters in Karlsruhe auf - eine Laufbahn, die später sowohl er als auch sein Bruder Ferdinand einschlugen. Nach dem Jura-Studium in Freiburg und München sowie der Habilitation in Heidelberg arbeitete er zunächst als Professor in Münster, seit 1981 dann in Heidelberg. 1987 wurde der parteilose Konservative auf Vorschlag der CDU mit nur 44 Jahren als bis dahin jüngster Richter überhaupt ans Bundesverfassungsgericht gewählt. In Karlsruhe galt er als versierter Steuerrechtsexperte und durchsetzungsfähiger Richter. Nicht selten hatten seine Urteile milliardenschwere Konsequenzen für den Haushalt. dpa

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