Der „Partymeister“ von Berlin tritt ab

Berlin · Klaus Wowereits Image wechselte im Lauf der Jahre. Der langjährige Regierende Bürgermeister Berlins galt als Partymeister, Zahlenexperte, Schwulen-Vorkämpfer und Tourismus-Magnet. Dann erwischte ihn die Flughafen-Krise. Jetzt übernimmt Michael Müller das Ruder.

Zwei Sätze von Klaus Wowereit werden bleiben. Mit dem einen, immer wieder zitierten, wurde er 2001 berühmt: "Ich bin schwul, und das ist auch gut so". Der andere Satz, einige Jahre später, prägt bis heute das Image seiner Heimatstadt: Berlin sei "arm, aber sexy". Die beiden Äußerungen markieren zwei Erfolgsgeschichten der politischen Karriere Wowereits, die zugleich bemerkenswerte politische Fehler und Niederlagen aufweist. Auf das Etikett "schwuler Politiker" wollte sich Wowereit nach seinem Amtsantritt im Sommer 2001 nicht festlegen lassen. Im Lauf der Jahre genoss er den Jubel der schwul-lesbischen Szene bei Auftritten auf CSD-Paraden aber genauso wie die Schwärmerei der Partyszene, die ihn gerne umringte. So bereitete ihm gestern auch der Lesben- und Schwulenverband im Roten Rathaus einen warmherzigen Abschied.

In Berlin war Wowereit aber zunächst als harter Haushaltssanierer und Zahlenexperte angetreten. Mit seinem Finanzsenator und Parteifreund Thilo Sarrazin , der sich später als Bestsellerautor und mit Thesen über Einwanderung viele Feinde machte, sorgte er für einen neuen Kurs in der hoch verschuldeten Hauptstadt.

Ein großes politisches Tabu brach Wowereit 2001, als er eine Koalition mit der damaligen PDS einging, den SED-Nachfolgern aus der DDR. Der damalige öffentliche Aufschrei ist heute kaum mehr vorstellbar. Dass die Koalition zehn Jahre hielt, gibt Wowereit im Nachhinein recht. Erst nach und nach entdeckte Wowereit die bundesweite und internationale Beliebtheit Berlins, die er nach Kräften unterstützte. Hier spürte er den Erfolg, die Touristenzahlen stiegen Jahr für Jahr. Als Bürgermeister der zusehends weltoffener gewordenen Metropole wurde Wowereit in anderen Großstädten begeistert begrüßt und in der Hauptstadt auch von Gästen aus Übersee erkannt und vor die Kameras und Smartphones gezogen. 2005 landete er sogar auf dem Titelbild des US-Magazins "Time". Gleichzeitig lernten die Berliner immer wieder Wowereits anstrengende Seiten kennen. Neben dem charmanten Plauderer, der keiner Umarmung mit älteren Damen der SPD-Basis aus dem Weg geht, gibt es auch den arrogant-schnoddrigen und rücksichtslosen Wowereit, der anderen über den Mund fährt.

Aus einfachen Verhältnissen hatte sich das jüngste Kind einer Putzfrau nach oben geboxt. Nach dem Jura-Studium folgte die SPD-Karriere: Kommunalpolitiker, Bildungsstadtrat, Abgeordneter, Fraktionsvorsitzender, Regierender Bürgermeister. Der Aufstieg veränderte ihn. Anfangs dauerte manche weinselige Runde mit Wowereit und Mitarbeitern noch bis in die Morgenstunden. Später wurde er vorsichtiger. Bei einem SPD-Sommerfest über den Dächern Berlins gestand er, dass er misstrauischer und verschlossener geworden sei und in den Jahren auch Freunde verloren habe.

Misserfolge gab Wowereit nicht gerne zu. Dabei ließ die wirtschaftliche Entwicklung Berlins abgesehen vom Tourismus zu wünschen übrig. Die Arbeitslosigkeit verharrte auf hohem Niveau. Die größte Krise seiner Amtszeit war aber sicher die immer wieder verschobene Eröffnung des "Pannenflughafens" Berlin-Brandenburg. Bundespolitisch gelang es Wowereit, zum Vize-SPD-Vorsitzenden aufzusteigen. Eine wirklich wichtige Rolle spielte er auf der Ebene aber nie. Damit endet heute die Ära Wowereit. Der Regierende Bürgermeister tritt nach dreizehneinhalb Jahren zurück. Zum neuen Chef der rot-schwarzen Koalition wird heute sein früherer Kronprinz, Stadtentwicklungssenator Michael Müller (49), gewählt.

Meinung:

Herr Müller, übernehmen Sie!

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Unverwechselbare, nicht glatt gebügelte Charaktere haben zunehmend Seltenheitswert. Klaus Wowereit war so ein Typ. Mit seiner schnoddrigen, herzlich-rauen Art prägte er Berlin wie nur wenige Regierende Bürgermeister vor ihm. Mit Wowereit verbindet sich der Aufstieg der deutschen Hauptstadt zu einer jungen, weltoffenen und toleranten Metropole. Wowereit verstand sich in erster Linie auf Glanz und Glamour, aufs Repräsentieren. Beim Regieren sind die Defizite allerdings unverkennbar: ein Pannenflughafen, über den das ganze Land lacht, ein Nahverkehr, der längst mehr schlecht als recht funktioniert und eine Staatsoper, deren Sanierung ebenfalls zum Fass ohne Boden zu werden droht. Vor diesem Hintergrund ist es ganz gut, dass auf Wowereit ein weniger glanzbehafteter, aber solider Polit-Arbeiter folgt: Herr Müller, übernehmen Sie!

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