Der Mythos Nürburgring ist angekratzt

Im beschaulichen Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz lebt ein Mythos. Mehr als 80 Prozent der Deutschen kennen ihn, den Nürburgring. Motorsport-Enthusiasten aus der ganzen Welt drehen auf der berühmten Nordschleife, die Jackie Stewart einst als "grüne Hölle" bezeichnete, ihre Runden

 Das Freizeitzentrum am Nürburgring sollte Besucher in die Eifel locken und die Kassen klingeln lassen. Doch die Finanzierung wurde zum Desaster. Bisher hat das gigantische Projekt 330 Millionen Euro verschlungen. Foto: dpa

Das Freizeitzentrum am Nürburgring sollte Besucher in die Eifel locken und die Kassen klingeln lassen. Doch die Finanzierung wurde zum Desaster. Bisher hat das gigantische Projekt 330 Millionen Euro verschlungen. Foto: dpa

Im beschaulichen Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz lebt ein Mythos. Mehr als 80 Prozent der Deutschen kennen ihn, den Nürburgring. Motorsport-Enthusiasten aus der ganzen Welt drehen auf der berühmten Nordschleife, die Jackie Stewart einst als "grüne Hölle" bezeichnete, ihre Runden. Seit drei Jahren spielt sich aber in der ansonsten strukturschwachen Eifel, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ein Drama ab, dessen Ende noch nicht absehbar ist.

Menschenströme und Umsätze in die Eifel zu locken, das war das Ziel eines ehrgeizigen Projektes der seit 2006 mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten und des langjährigen Ring-Chefs Walter Kafitz (Foto: dpa). Ein Freizeit- und Geschäftszentrum mit Ganzjahresbetrieb sollte die defizitäre Rennstrecke, die nach jedem Formel-1-Grand-Prix alle zwei Jahre zehn bis elf Millionen Euro Verlust macht, unabhängig vom Rennbetrieb machen und sie aus den roten Zahlen führen.

Nach aktuellem Stand hat das Mega-Projekt, das vom Steuerzahlerbund als Musterbeispiel für Verschwendung ins Schwarzbuch aufgenommen worden ist, 330 Millionen Euro verschlungen. Geplant waren 215 Millionen. Dafür sind ein Vergnügungsviertel mit Hotels, Diskothek und Kneipen sowie Betonbauten mit einer Flaniermeile, einem 3D-Kino und der angeblich schnellsten Achterbahn der Welt entstanden - die aufgrund von Softwarefehlern bis zum heutigen Tag nicht in Betrieb gegangen ist.

Ließ die sozial-liberale Koalition bis 2006 noch die Finger davon, weil es sich nicht realisieren ließ, 50 Prozent der Investitionen durch private Geldgeber zu decken, folgte die SPD nach ihrem Wahlsieg ihrem Slogan "Wir machen's einfach". Als Verantwortlicher wurde Finanzminister Ingolf Deubel auserkoren, ein bundesweit angesehener Experte. Er ersann ein abenteuerliches Finanzkonstrukt, das außer ihm nie jemand richtig verstanden hat.

Deubels Idee: Die Finanz-Vermittler der Firma Pinebeck mit Sitzen im hessischen Usingen und in Luxemburg kaufen die neuen Immobilien, die nahezu landeseigene Nürburgring GmbH mietet sie zurück - und spart dabei gegenüber einer normalen Bankfinanzierung 60 Millionen Euro. Die Crux: Pinebeck verfügte keineswegs über eigenes Geld, sondern wollte es sich über den Schweizer Finanzvermittler Urs Barandun mit Firmensitz in Dubai verschaffen. Der wiederum behauptete, Zugang zu milliardenschweren Fonds und weltbekannten Milliardären zu haben.

Baranduns seltsamer Forderung, das Land Rheinland-Pfalz müsse die Liquidität der Nürburgring GmbH nachweisen, kam Finanzminister Deubel nach und ließ beim ersten Versuch der Realisierung 85 Millionen Euro, beim zweiten 95 Millionen auf ein Konto der Liechtensteinischen Landesbank in Zürich transferieren. Das Geld holte Deubel am Parlament und allen anderen Gremien vorbei aus dem so genannten "Liquiditätspool" des Landes, der normalerweise dem Tagesgeldmanagement der Tochtergesellschaften dient.

Im Juli 2009, zwei Tage vor der Eröffnung des Freizeit- und Geschäftszentrums, stürzte das Finanzkonstrukt ein. Zwei vom Schweizer Barandun vorgelegte Millionen-Schecks entpuppten sich als ungedeckt mit gefälschter Unterschrift. Der von ihm genannte angebliche Investor, ein US-Milliardär, erklärte kurz darauf, nie etwas mit dem Ring zu tun gehabt zu haben. Ministerpräsident Kurt Beck und seine Landesregierung waren blamiert und taumelten in eine schwere Krise. Deubel trat zurück. Später mussten auch Ring-Chef Walter Kafitz - ihm wurde Missmanagement vorgeworfen - und Finanzchef Hans Lippelt gehen. Die Nürburgring-Affäre war geboren.

Seit Oktober 2009 versucht ein Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags, die Vorgänge zu erhellen. In bislang 28 Sitzungen wurden mehr als 150 Zeugen vernommen, darunter Ministerpräsident Kurt Beck. Es schälte sich eine Struktur des Wegschauens in verschiedenen Ministerien heraus, von Sachbearbeitern über Staatssekretäre bis zu den Ministern. Bis zum Ende der Legislaturperiode im Mai wird das Gremium noch forschen.

Seit eineinhalb Jahren ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Koblenz. Zunächst ging man davon aus, die Verantwortlichen der Firma Pinebeck und der Schweizer Barandun hätten betrogen. Es stellte sich jedoch heraus, dass man Barandun wohl, wenn überhaupt, nur wegen Urkundenfälschung belangen kann. Die Pinebeck-Manager hätten hingegen vielfältige Finanzierungsbemühungen unternommen. Die Nürburgring GmbH habe sehr genau gewusst, auf wen und was sie sich eingelassen habe. Jetzt lautet der Vorwurf auf "missbräuchliche Verwendung staatlicher Mittel", also Untreue oder Beihilfe dazu. Er richtet sich gegen sieben Manager, darunter Kafitz, sowie Ex-Finanzminister Deubel.

Kafitz, der nach seinem Ausscheiden vorübergehend eine Anstellung in Abu Dhabi fand, klagt unverdrossen gegen seine damalige Entlassung am Ring und fordert einen Teil des ihm entgangenen Gehalts ein. Er soll geschätzt 300 000 Euro im Jahr verdient haben. Heute kommt es in Koblenz zum ersten Prozess.

Wirtschaftsminister Hendrik Hering ist derweil die schwere Aufgabe zugefallen, am Nürburgring aufzuräumen und tragfähige Zukunftsstrukturen zu schaffen. Er engagierte die renommierten Wirtschaftsprüfer Ernst & Young und stellte die Finanzierung so um, dass sämtliche Mittel von der landeseigenen Förderbank ISB als Darlehen bereitgestellt wurden. Er trennte strikt zwischen Besitz und Betrieb sämtlicher Anlagen. Letzteren haben Private übernommen, angeführt von Jörg Lindner, Inhaber der gleichnamigen Hotelkette. Von ihren Gewinnen entrichten sie an den Besitzer der Anlagen, die Nürburgring GmbH, jährlich eine genau festgelegte Pachtsumme. Diese will damit wiederum ihre Investitionen refinanzieren. Hering beschwört den Erfolg dieser Maßnahmen und verweist auf erste Pachtzahlungen trotz einer Anlaufphase schon in 2010. Letztlich wird sich am 27. März zeigen, ob außer dem aus der Kurve geflogenen Ex-Finanzminister Ingolf Deubel noch weitere Minister oder gar die ganze SPD-Landesregierung über das Dickicht der "grünen Hölle" straucheln. Dann wird in Rheinland-Pfalz gewählt.

Meinung

Arroganz

der Macht

Von SZ-Mitarbeiter

Frank Giarra

 WalterKafitz

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 Das Freizeitzentrum am Nürburgring sollte Besucher in die Eifel locken und die Kassen klingeln lassen. Doch die Finanzierung wurde zum Desaster. Bisher hat das gigantische Projekt 330 Millionen Euro verschlungen. Fotos: dpa

Das Freizeitzentrum am Nürburgring sollte Besucher in die Eifel locken und die Kassen klingeln lassen. Doch die Finanzierung wurde zum Desaster. Bisher hat das gigantische Projekt 330 Millionen Euro verschlungen. Fotos: dpa

 WalterKafitz

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Die Nürburgring-Affäre in Rheinland-Pfalz lehrt vor allem eines: Wird ein Bundesland von einer Partei mit absoluter Mehrheit regiert, zeigen sich meist Auswüchse einer Arroganz, die der Demokratie schaden. Erst als die SPD allein das Sagen hatte, wurde das Mega-Projekt, das die Rennstrecke in die Negativschlagzeilen gebracht hat und dessen Folgen bis heute nicht absehbar sind, angepackt. Ein Korrektiv in Form eines Koalitionspartners fehlte, alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Den Schaden hat der Steuerzahler. Er muss bezahlen, wenn die von Politikern betriebene millionenschwere Strukturpolitik in einer wirtschaftsschwachen Region am Ende nicht fruchtet.

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