Der "Maulkorb"-Plan schlägt hohe Wellen

Berlin. Abgeordnete, die quer zur Meinung ihrer Fraktion liegen, sollen ihre Auffassung in Debatten nur noch eingeschränkt vertreten dürfen. Darauf läuft eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages hinaus, die am 26. April im Plenum zur Abstimmung steht. Parlamentarier aus allen Parteien laufen dagegen Sturm

Berlin. Abgeordnete, die quer zur Meinung ihrer Fraktion liegen, sollen ihre Auffassung in Debatten nur noch eingeschränkt vertreten dürfen. Darauf läuft eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages hinaus, die am 26. April im Plenum zur Abstimmung steht. Parlamentarier aus allen Parteien laufen dagegen Sturm.Die Abgeordneten sind "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". So steht es im Grundgesetz. Die Praxis spricht eine andere Sprache. Da gilt das ungeschriebene Gesetz des Fraktionszwangs, wonach sich ein Abgeordneter der Mehrheitsmeinung seiner Fraktion anzuschließen hat. Nur bei Gewissensentscheidungen wird davon abgewichen. Das geschah etwa im Juli des Vorjahres, als der Bundestag über die Präimplantationsdiagnostik, also genetische Untersuchungen von Embryonen, abstimmte. Was eine Gewissensentscheidung ist, bestimmen freilich die Fraktionsführungen. Abgeordnete, die ihr Gewissen bei den Voten zur Euro-Rettung berührt sahen, hatten schlechte Karten. So mancher wurde fraktionsintern ins Gebet genommen. Einer stand den Abweichlern immer zur Seite: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm sorgte er dafür, dass Abgeordnete der Regierungsparteien ans Rednerpult treten konnten, die nicht der Linie ihrer Fraktionen folgten.

Dieser aus Sicht der Fraktionsspitzen von Union, FDP und SPD ärgerliche Vorgang ist wohl der Auslöser für die angepeilte Änderung der Geschäftsordnung. Nach dem Entwurf soll der Parlamentspräsident verpflichtet werden, nur noch die von den Fraktionsgeschäftsführern festgelegten Abgeordneten reden zu lassen. Lediglich nach Rücksprache mit den Fraktionen könnte Lammert anderen Rednern das Wort erteilen, für nur drei Minuten. Zudem soll das Recht jedes Abgeordneten auf eine persönliche, fünf Minuten dauernde Erklärung vor Abstimmungen beschnitten werden. Dass die SPD bei dem Vorhaben mitmachen will, liegt am Unbehagen über die Euro-Rettungsmilliarden auch unter ihren Abgeordneten. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sowie der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen, versuchten, die Pläne gestern herunterzuspielen. Es werde "keinen Maulkorb" geben, versicherte van Essen. Es handle sich nur um eine rechtliche Klarstellung für Abweichler. Steinmeier mutmaßte, dass die "Präsidialspitze", also Lammert, den Plan "etwas zugespitzt" darstellen wollte.

Dagegen wollen die Grünen die Abstimmung am 26. April im Bundestag verhindern. "Wahrscheinlich werden wir einen Antrag stellen, um das Thema in die Ausschüsse zurückzuüberweisen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck der SZ. "Hier gibt es noch großen Gesprächsbedarf." Das Vorhaben stelle eine "unnötige Regulierung und eine Gängelung der Abgeordneten" dar. Alle Parlamentarier seien aufgefordert, dieser Selbstbeschränkung nicht zuzustimmen, so Beck. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, kritisierte das Vorhaben ebenfalls als "erheblichen Eingriff in die Rechte des einzelnen Abgeordneten". Das sei nicht hinnehmbar, so Enkelmann. Auch SPD-Bundestagsvize Wolfgang Thierse sowie die Abgeordneten Frank Scheffler (FDP) und Wolfgang Bosbach (CDU) meldeten erhebliche Bedenken an. "Ich habe große Zweifel, ob die Verfassung eine derartige Beschränkung des Rederechts von Parlamentariern erlaubt", meinte Bosbach.

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