Der Marsch der Kreml-Gegner

Moskau · Der Rubel verliert an Wert, die Lebensmittelpreise steigen wegen der Sanktionen. Doch die in Moskau zu Tausenden aufmarschierten Demonstranten empört vor allem Putins neo-imperialer Stil. Finden sie Gehör?

Lange hat sich die russische Opposition im Ukraine-Konflikt mit öffentlicher Kritik an Präsident Wladimir Putin zurückgehalten. Doch nun regt sich wohl auch angesichts der zunehmend schmerzhaften Folgen der Krise für viele Russen im Land erstmals Widerstand. Unter der Losung "Nein zum Krieg!" riefen Putin-Gegner gestern zu einem Friedensmarsch in Moskau auf. Es ist die erste große Protestaktion seit Ausbruch des blutigen Konflikts in der Ostukraine im April. Die Kremlgegner sehen ungeachtet der Feuerpause weiter die Gefahr, dass Putin jedes Mittel willkommen sein könnte, seine Machtinteressen in dem Nachbarland durchzusetzen.

Die Organisatoren des Friedensmarsches verurteilen aufs Schärfste, dass sich russische Söldner, aber auch reguläre Soldaten an den Kämpfen in der Ost-ukraine beteiligen. "Wofür sterben unsere Soldaten?", heißt es fragend und anklagend zugleich auf Plakaten. Die Menschen fordern die Behörden auf, die Einsätze und den Tod von russischen Soldaten in der Ostukraine aufzuklären. Die Verantwortlichen für diese "Kriegstreiberei" müssten bestraft werden.

Lange hatte die russische Opposition die Straße anderen überlassen. Bei Kundgebungen in Moskau haben zuletzt vor allem ultranationalistische Fanatiker, aber auch russisch-orthodoxe Christen Putin zu einem Einsatz der Armee aufgefordert - zur "Rettung der russischen Welt". Das lehnte Putin zwar stets öffentlich ab. Der Kreml bestreitet bis heute auch, russische Soldaten einzusetzen. Doch sogar in Staatsmedien gab es in letzter Zeit Berichte über russische Soldaten, die "freiwillig während ihres Urlaubs" in der Ostukraine kämpften.

Kommentatoren sehen dies als eine Art Zugeständnis an die Hardliner in der russischen Politik, die eine militärische Lösung des Konflikts unterstützen. Dass sich der Kremlchef aber nun gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zumindest nach außen hin aktiv für den Friedensplan in der Ost-ukraine einsetzt, sehen nicht alle im Machtapparat gern. Sie hätten lieber eine Anti-Kriegs-Demonstration gegen ukrainische Regierungstruppen in Kiew.

Die Proteste in Moskau werden vom einst reichsten Mann des Landes, Michael Chodorkowski, unterstützt. "Es ist eine brüchige Waffenruhe, aber das Problem bleibt. Unser Land nimmt direkt oder mittelbar an dem Konflikt teil", heißt es auf der Seite khodorkovsky.ru des Putin-Kritikers Chodorkowski. Mit seiner am Wochenende wiederbelebten Initiative "Open Russia" will er auch die Zivilgesellschaft im Land wieder auf die Beine bringen. Protest zu organisieren, kostet Geld in Russland.

Es ist der Frust über die Ukraine-Politik, der Tausende Russen an diesem spätsommerlich warmen Sonntag auf die Straße treibt. Auch einfache Menschen bekommen die Folgen der westlichen Sanktionen gegen Russland im Zuge des Konflikts zunehmend zu spüren. Krisenstimmung macht sich breit. Was viele Menschen besonders ärgert, sind die steigenden Preise für Lebensmittel und der massive Wertverfall des Rubel .

Die Demonstranten fordern nicht nur mit Nachdruck den sofortigen Abzug von russischen Soldaten aus der Ostukraine . Aufhören müsse auch die propagandistische und materielle Hilfe für die prorussischen Separatisten, heißt es in einer "Anti-Kriegs-Resolution" des Friedensmarsches. Die Unterzeichner sind unter anderem die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa, der Oppositionspolitiker Boris Nemzow , der Publizist Viktor Schenderowitsch sowie Wissenschaftler und Kulturschaffende.

Sie sehen die Gefahr, dass sich in Russland ein "faschistisches Regime" entwickele. Die "verbrecherische Aggression" in der Ost-ukraine sei nur möglich geworden, weil sich Putin und seine Umgebung ein dichtes Machtgeflecht mit totaler Kontrolle über Parlament und Gerichte geschaffen hätten. Es ist die Position einer Minderheit. Die große Mehrheit der Russen steht weiter hinter der Politik von Putin.

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HintergrundNach der Einigung auf eine demilitarisierte Zone in der Ostukraine haben die Regierungstruppen erste Einheiten aus dem Gebiet Donezk abgezogen. Die Truppen hätten einige Ortschaften verlassen, um die Lage von neuen Stellungen aus besser kontrollieren zu können, teilte Andrej Lyssenko vom nationalen Sicherheitsrat gestern in Kiew mit. Zuvor hatten prorussische Separatisten von einem teilweisen Rückzug ukrainischer Regierungstruppen berichtet. Die Konfliktparteien hatten unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in der Nacht zum Samstag eine Pufferzone von 30 Kilometern vereinbart. In der Zone sind keine Waffen oder Kampfverbände erlaubt. Dennoch kommt es zu Zwischenfällen. dpa

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