Der Mann mit dem Strohhut

Rehlingen. "Nein", sagt Ludwin Klein und schmunzelt, "so war das alles nicht geplant. Wenn ich geahnt hätte, was daraus wird, dann hätte ich es nicht gemacht." Ganz ernst meint das der 73-jährige Vereins-Chef des Leichtathletik-Clubs Rehlingen nicht

Rehlingen. "Nein", sagt Ludwin Klein und schmunzelt, "so war das alles nicht geplant. Wenn ich geahnt hätte, was daraus wird, dann hätte ich es nicht gemacht." Ganz ernst meint das der 73-jährige Vereins-Chef des Leichtathletik-Clubs Rehlingen nicht. Aber ein Funken Wahrheit steckt schon dahinter - denn das, was Klein in den letzten Jahrzehnten aus einem kleinen Verein gemacht und mit diesem kleinen Verein bewegt hat, hat Abertausende von Arbeitsstunden, unermesslich viel Energie und vermutlich noch mehr Nerven gekostet.

Am kommenden Montag ist es auf den Tag genau 40 Jahre her, dass Klein den Vereinsvorsitz des LC Rehlingen übernahm - von seinem Bruder Edwin. Doch die Liebe zwischen Ludwin Klein und der Sportart Leichtathletik begann viel früher. Mit 13 Jahren schnürte der "Lui", wie er von fast allen genannt wird, erstmals die Laufschuhe. "Mein Onkel hat Leichtathletik gemacht, mein Bruder Edwin - und dann bin ich da eben auch hingegangen", erinnert er sich. Familien-Geschäft eben. Und so war es kein Wunder, dass Klein am 27. Mai 1957 zu den Gründungsmitgliedern des LC Rehlingen gehörte. 42 Sportler waren es damals - die aus unwirtlichen Rahmenbedingungen das Beste machten. Das Bungertstadion in Rehlingen gab es damals noch nicht. "Wir haben uns auf dem alten Sportplatz die Bahnen selbst gebaut", erzählt Klein, "das hat uns im Verein zusammengeschweißt."

Dieses Zusammengehörigkeits-Gefühl ist mit einer der Hauptgründe, warum der LC wuchs und wuchs - und mittlerweile über 1100 Mitglieder hat. Diese Zahl macht Ludwin Klein stolz - und er weiß, was er an jedem einzelnen hat. Denn ohne diesen großen Stamm wäre das zweite große Steckenpferd des Ludwin Klein überhaupt nicht zu stemmen: das Leichtathletik-Pfingstsportfest, das 1963 als kleine Veranstaltung begann und mittlerweile der Klassiker mit der größten Tradition im saarländischen Sport-Kalender ist. Jahr für Jahr wird das Bungertstadion zum Schauplatz von Weltklasse-Leistungen.

Wie viel Arbeit hinter der Organisation dieser Veranstaltung steckt, lässt sich erahnen, als Ludwin Klein in seinen Keller bittet. "Mein Verlies" nennt er scherzhaft den etwa drei auf sechs Meter großen Raum. Die Regale an den Wänden sind vollgestopft mit Dutzenden Aktenordnern, in denen Klein akribisch all seine Unterlagen geordnet hat. Zwei Drucker, ein Faxgerät, ein Computer - hier laufen alle Fäden zusammen. Die des Pfingstsportfestes und die des Vereins, wie Ludwin Klein betont, denn "Verein und Meeting sind eine Einheit".

Diese Einheit spüren die Besucher des Pfingstsportfestes - und diese Einheit spüren die Athleten. Topstars wie der ehemalige Weltklasse-Sprinter Frankie Fredericks (Namibia), der in Rehlingen 10,07 Sekunden über 100 Meter lief, "bekommst du normal nicht für das Geld, das wir zur Verfügung haben", sagt Klein. Aber die Herzlichkeit, die Wärme und das familiäre Flair, das durch das Bungertstadion weht, ließ und lässt so manchen Weltklasse-Mann in seinen finanziellen Forderungen weich werden.

Wenn Klein da so in seinem "Verlies" sitzt und Geschichten aus der Leichtathletik-Welt erzählt, vergeht die Zeit wie im Flug. So wie bei der Geschichte von Udo Beyer, dem 1,94 Meter großen und 130 Kilogramm schweren Kugelstoß-Monster aus der damaligen DDR, der 1976 in Montreal Olympiasieger wurde. Beyer gehörte 1984 zu einer DDR-Delegation von Sportlern, die in Rehlingen starten durften - in der damaligen Zeit eine sportpolitische Sensation. Beyer wuchtete die Kugel auf unglaubliche 22,04 Meter - 18 Zentimeter unter seinem eigenen Weltrekord. Während des Wettkampfes ging Beyer zu Klein und fragte, ob der als Sonderprämie eine Armbanduhr für Beyers Frau springen lassen würde. "Lui" sagte zu, Beyer verpasste den Rekord - "aber er hat seine Uhr trotzdem bekommen".

Tags darauf sorgte Beyer dann für große Aufregung, als er bei einem Empfang des damaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine für die DDR-Sportler plötzlich verschwunden war. War der Kugelstoßer wie so manche Ost-Athleten vor und nach ihm etwa ausgebüxt und hatte sich abgesetzt? Eine Stunde später tauchte er wieder auf. Des Rätsels Lösung: "Er hatte eine Spritztour mit Lafontaines Dienstwagen gemacht, aber wir haben alle dicht gehalten und ihn nicht verraten", erinnert sich Klein.

Die Freizeit von Ludwin Klein ist von der Leichtathletik bestimmt. Fast alles, was er privat unternimmt, hat irgendwie mit "seinem" Sport zu tun. Auch seine Leidenschaft für Kenia hat hier ihren Ursprung. Durch Zufall lernte er bei einem Meeting in Aachen den kenianischen Läufer Kipsubei Koskei kennen und verpflichtete ihn für Rehlingen. "Er hat zwei Wochen bei mir gewohnt, mitgeholfen und sogar das Programmheft mit produziert", erzählt Klein. Jahr für Jahr wuchs die Schar der afrikanischen Läufer in Rehlingen - und Kleins Sehnsucht, dieses Land zu besuchen. 1999 reiste Klein endlich mit Frau Olga nach Kenia. Ein Besuch bei Kipsubei Koskei war natürlich Pflicht. "Wir haben bei ihm in der Lehmhütte übernachtet, es war wunderschön", schwärmt Klein noch heute.

Dass Klein mal ein paar Stunden nicht an seinen Verein denkt, kommt nur selten vor. Immerhin schafft er es, drei Wochen im Sommer mit seiner Frau zu urlauben. Dann setzen sich die beiden auf ihre Pferde Bella und Gringo, die hinter dem Haus stehen, und reiten 16 Kilometer nach Bouzonville ins benachbarte Frankreich, wo die Kleins an der Nied ein Wochenend-Häuschen haben. Mit Internet-Anschluss natürlich, "denn es könnte ja irgendwas sein", sagt Klein und lacht.

Wie lange er Verein und Meeting noch federführend organisieren will, kann er nicht abschätzen. "Es wäre schon schön, wenn ich bald einen Nachfolger aus den Reihen des LC finden würde." Aber einfach wird das nicht, denn die Fußstapfen von Klein sind groß - und "ich habe noch viele Ideen". Und so liegt die Wahrscheinlichkeit bei gefühlten 100 Prozent, dass Klein am Pfingstmontag, 9. Juni 2014, beim 50. Jubiläum des Pfingstsportfestes mit dem Strohhut auf dem Kopf im Bungertstadion steht und "seine" Athleten in den Arm nimmt. Auch wenn er das so gar nicht geplant hat.

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