Der mächtigste Mann der Saar-Justiz

Saarbrücken · Der aus Völklingen stammende Roland Rixecker (65) verabschiedet sich am 31. Oktober als Präsident des saarländischen Oberlandesgerichts. Als Verfassungrichter hat er in über 20 Jahren die wichtigen politischen Rechts-Streitfragen im Land entsch ieden.

 Er ist leidenschaftlich gern Universitätslehrer: Professor Roland Rixecker in einem Hörsaal der Universität des Saarlandes. Foto: Iris Maurer

Er ist leidenschaftlich gern Universitätslehrer: Professor Roland Rixecker in einem Hörsaal der Universität des Saarlandes. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Roben sind einschüchternde Rüstungen und schützen immer noch ganz gut gegen öffentliche Neugier. Das kommt einem öffentlichkeitsscheuen Menschen wie Roland Rixecker entgegen. Als Oberlandesgerichts- und Verfassungsgerichtspräsident ist er nicht nur der höchste saarländische Richter, sondern auch der Chef aller Richter des Landes. Seine Beurteilung fördert oder beendet Karrieren. Unzählige politische Streitfragen landeten zudem auf seinem Verfassungsrichter-Tisch: die Landtagswahlanfechtung der SPD von 2011, die Ablehnung eines Volksentscheids zur Grundschulreform 2006. Außerdem prägte Rixecker als Honorarprofessor Generationen von Juristen, als Versicherungsrechts-Kapazität genießt er bundesweit einen Ruf wie Donnerhall. Und wer ist der Mensch hinter den Funktionen und Meriten?

In Rixeckers Fall ebenfalls ein Vollblut-Jurist, dessen Charakter und Alltag ohne juristischen Resonanzboden undenkbar wäre. Der Vater Jurist, die Ehefrau eine seiner ehemaligen Studentinnen und Justiz-Ministerialrätin, die Tochter (18) im Jura-Studium. Jede freie Minute ist mit Juristerei ausgefüllt, wird es auch nach der Pensionierung an der OLG-Spitze im Oktober bleiben, denn die Amtszeit am Verfassungsgericht läuft noch bis 2020. Insofern ist die Frage nach Hobbys obsolet. Keine. Wenn, dann waren das für Rixecker über 20 Jahre lang die Handballturniere seines Sohnes. Die exzessive Emotionalität während der Spiele eröffnete eine Gegenwelt. Richter sollen unparteiisch, sachlich, würdevoll sein? 60 Minuten lang Schreie und Toben: "Ich war oft der Haupt-Hooligan", erzählt Rixecker. Besonders gefiel ihm auch, dass er, fuhr er den Sohn zum Training nach Zweibrücken, zwei Stunden lang ungestört arbeiten konnte. Im Auto, auf dem Parkplatz neben der Sporthalle, saß der höchste Richter des Saarlandes mit dem Laptop auf den Knien. Bizarr? Konsequent: Jura als Spaß-Faktor. Das Verfassen juristischer Fachartikel und die Vor- und Nachbereitung universitärer Lehrveranstaltungen wird auch Rixeckers Ruhestands-Vergnügen sein.

Bei Rixecker fing's wohl im Gymnasium, schon in der Quarta, an, mit der "Judenbuche" (1842), einem düsteren Krimi um einen ungeklärten Mord, um Dorf-Moral und Justiz-Gerechtigkeit. Rixecker genoss es, vor der Klasse als Staatsanwalt zu plädieren: "Ich war immer schon neugierig auf die Lösung von Konflikten", sagt er, also darauf, wie man Fairness unter Menschen erreicht.

An den Wänden in seinem nüchternen Büro hängt ein Kunstplakat des abstrakten Expressionisten Marc Rothko (1903-1970), für den Rixecker ein Faible hat. Hinter der geometrischen Strenge von dessen Werken brodelt das pralle Leben. Das passt zu einem Uni-Professor, der seinen Studenten im Fach Staats- und Verwaltungsrecht Aufgaben gibt, die Titel haben wie "Die heilige Jungfrau Maria im Außenbereich" oder "Lichter in der Nacht". Hinter den Fällen tun sich frappierend real wirkende Untiefen Marpinger oder Saarbrücker Kommunalpolitik auf. Denn der Professor mag keine "Fantastereien, das Leben ist vielfältig genug". Rixecker hat eine weiche, freundliche Aura, spricht leise, formuliert dezent. Gleichwohl sagt man ihm eine Lust am Dozieren und ein gesundes Ego nach. Einer wie er behält wohl gerne Recht, ist auch stolz auf seinen Berufsstand: "Wir sprechen nicht nur Recht, wir entwickeln es fort." Der Bundesgerichtshof zitiere OLG-Urteile. Auch sei eine qualitativ hochwertige, sorgfältige Justiz ein Wirtschaftsfaktor, weil sie Standortentscheidungen von Unternehmen beeinflusse.

Doch wie lebt es sich mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit im Urteil? Woher kommen Sicherheit und Mut, zu entscheiden? Rixecker verweist auf die Korrekturmöglichkeit durch das Kollegium: "Gegenlesen und Gegendenken ist das Prinzip. Das Wichtigste sind Menschen, die widersprechen." Und Richten lasse sich sowieso nur "mit schlechtem Gewissen". Doch tatsächlich fühlt er sich im Besitz der Wahrheit, wenn er ein Urteil fällt. Weil er, wie er darlegt, den Dingen intensiv auf den Grund gegangen ist, alle Beteiligten angehört hat. Man werde zum Menschendurchschauer, sagt er.

Besorgt zeigt Rixecker sich, dass die Zahl der Zivilprozesse abnimmt. Immer mehr Bürger scheuten das finanzielle Risiko immer längerer, komplexerer Prozesse. Rixecker hält den Eindruck für gefährlich, nur noch Reiche könnten sich ihr Recht erkaufen. Eine politische Äußerung, denn gerade wird auf Bundesebene an einer Strafprozessrechtsreform gearbeitet. Ansonsten lässt der ehemalige SPD-Staatssekretär und Sozialdemokrat Distanz erkennen zum Polit-Betrieb: Seine Zeit als Staatssekretär möchte er "nicht missen, ich möchte sie aber auch nicht wiederholen". Keine Strategien mehr. Selbstbestimmung empfindet er wohl als höchstes Gut und Haupt-Ertrag seiner Karriere, die ihn 2008 fast an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts gebracht hätte. Und Geld? Rixeckers Vorstellung von Luxus lautet: Im Bliesgau auf der Bank sitzen und ein gutes Buch lesen. Vier Monate vor dem Ende der Dienstzeit fehle ihm dafür die innere Ruhe, sagt er. Manches treibe ihn um. Machtverlust? Seine Nachfolge? Wäre nur alles so einfach für ihn wie Jura. Es gibt 23 Oberlandesgerichts-Bezirke in der Republik, und alle Chefs dieser wichtigsten Gerichts-Instanzen auf Länderebene werden sich auf Einladung von Roland Rixecker zwischen dem 23. und 25. Mai im Saarland treffen, zu ihrer 68. Jahreskonferenz. Auch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs (BGH), Bettina Limperg, und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD ) werden anreisen. Tagungsorte sind das Hotel La Maison (Saarlouis) und das Parkhotel Albrecht (Völklingen).

Geplant ist ein Austausch zum Thema elektronischer Rechtsverkehr, zur Gerichtsstrukturreform (länderübergreifende Kooperationen etwa zwischen den OLG Zweibrücken und Saarbrücken) und zur Reform des Strafprozessrechts. Die OLG-Präsidenten sehen die bisherigen Experten-Vorschläge kritisch, die die Beschuldigten- und Nebenklägerrechte stärken, weil dies ihrer Auffassung nach Prozesse in die Länge zieht. Ebenso kritisch gesehen wird der Maas-Vorstoß, Liveübertragungen von Urteilsverkündigungen der obersten Gerichte zuzulassen. Nicht auszuschließen ist, dass es im Rahmen der Tagung zu einer Resolution kommt.

Zum Thema:

Zur Person Roland Rixecker (65), Experte des Versicherungsrechts und des Persönlichkeitsrechts, geboren in Völklingen-Geislautern, Studium und Promotion in Saarbrücken. Er war bei den Jusos aktiv und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Völklingen. 1985-1995 Staatssekretär von Saar-Justizminister Arno Walter (SPD ). Danach Präsident des Oberlandesgerichts und des Verfassungsgerichtshofs, Honorarprofessor an der Saar-Universität. ce

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