Der Lyriker mit der Gitarre

Wieder lagen alle falsch, die Feuilletons, Einzelmeinungen von Literaturinteressierten und die britischen Wettbüros, die in früheren Jahren einige Treffer landeten. Bob Dylan , 75, hatte kaum noch jemand auf der Liste. Seit etwa 20 Jahren raunten Insider, dass er den Literaturnobelpreis zugesprochen bekommen würde. Jahr um Jahr geschah es nicht. Zuletzt wurde es fast schon als Witz gehandelt, dass ein Musiker, der auch gute kurze Texte schreiben kann, die höchste Literaturauszeichnung der Welt erhalten könnte. Denn Dylan ist kein Schriftsteller, allenfalls ein Lyriker. Manche seiner Songtexte sind überaus poetisch, aber es gab dieses Jahr viel Konkurrenz - hauptsächlich von Romanautoren.

Robert Allen Zimmermann, so sein bürgerlicher Name, ist der Sohn eines jüdischen Kaufmanns mit deutsch-ukrainischen Wurzeln, er wurde 1941 in Duluth, im US-Bundesstaat Minnesota, geboren. Später benannte er sich nach dem walisischen Dichter Dylan Thomas, seinem literarischen Idol. Im ersten Band seiner auf drei Teile geplanten Autobiografie, "Chronicles Volume 1", erzählt Dylan, wie er zu seinem künstlerischen Aufbruch inspiriert wurde: "Amerika wandelte sich. Ich ahnte eine schicksalhafte Wendung voraus und schwamm einfach mit dem Strom der Veränderung."

Der Musiker wurde zum Revolutionär der Folk- und Rockmusik. Seine erste Platte erschien 1962. Der Song "Blowin' In The Wind" (1963) machte ihn auf Anhieb bekannt, "Like A Rolling Stone" berühmt. Mit wütenden Songs wie "Masters Of War" oder "A Hard Rain's A-Gonna Fall" avancierte er zum Wortsprecher der weltweite Friedensbewegung. Als Rockmusiker mit E-Gitarre tauchten später in seinen Liedtexten mehr und mehr Metaphern, Symbole, Anspielungen auf. Bis heute sind von Bob Dylans Musik 100 Millionen Tonträger verkauft worden. Seit Jahren ist er auf einer "Never Ending Tour" zu Konzerten auf der ganzen Welt unterwegs.

Seine Wirkung geht in der Tat über die Musik hinaus, schon früh erschienen seine Songtexte auch als Bücher. Dylan gilt als Lyriker, der seine Texte als Musik verbreitet. Noch nie zuvor in der Geschichte des Literaturnobelpreises ist musikalische Lyrik derart gewürdigt worden. Seine etwa 500 Lieder sind weltweit wirkmächtig, ein Phänomen, denn Dylan hat keine besonders ausdrucksstarke Stimme, er nuschelt sogar oft seine Textbotschaften. Geehrt wird er für seine "neuen poetischen Ausdrucksformen innerhalb der großen amerikanischen Song-Tradition", so die Begründung des Nobelpreiskomitees: "Dylan hat den Status einer Ikone."

Die Wirkung hat auch damit zu tun, dass Dylan ein politischer Mensch ist. Kein Umstürzler, kein Weltverbesserer, aber ein pausenloser Mahner. Das dürfte auch die Stockholmer Juroren beeinflusst haben. Sie entscheiden eigenwillig, verwerfen seriell an sie herangetragene Vorschläge und trumpfen mit Überraschungen auf - wie 2015 mit dem Nobelpreis für die weißrussische Journalistin Swetlana Alexijewitsch , deren Bücher exzellente journalistische Montagen sind, die auf ihren geführten Interviews basieren. Die Qualität der Literatur , scheint es, ist nicht durchweg der Hauptanlass für die Auszeichnung, sondern der moralische Impetus. Überhaupt fällt in der Chronik des Literaturnobelpreises auf, dass sozial und gesellschaftlich engagierte Autoren von den Juroren bevorzugt werden.

Der britische Verleger Stephen Farran-Lee, ein Insider des Literaturbetriebs, sagte jüngst: "Die Akademie ist in den letzten Jahren unberechenbar gewesen." Herausragende Literaten wie der Ungar Péter Nádás, die Amerikaner Philip Roth und Don DeLillo oder Haruki Murakami aus Japan würden seit Jahren übergangen. Nach dem Willen des schwedischen Industriellen und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) aber sollte den Preis derjenige erhalten, "der in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat".

Bob Dylan ist eine moralische Instanz. Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, der eine Dylan-Biografie geschrieben hat, meint, dass der Sänger sich "auf Dichtungen unterschiedlichster Zeiten und Kulturen" beziehe, und zwar "von der Bibel und Homers Odyssee über die Dichtungen der römischen Kaiserzeit, die mittelalterlichen Mysterienspiele und Shakespeares Dramen bis zur amerikanischen Romantik, den französischen poètes maudits und dem Theater Bertolt Brechts". Das erscheint recht überschwänglich, denn orientiert hat sich Dylan an Beat-Poeten wie Jack Kerouac oder Allen Ginsberg .

Dylan wird für seine Kunst geehrt, mit der er seit über einem halben Jahrhundert die Menschen berührt. Er tritt für Minderheiten und ihre Kulturen ein, hat sich gegen historisches Unrecht erhoben. "The Times They Are A-Changin", heißt es in einem Song des Friedenbewegten. Das ist immer noch seine Botschaft.

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