Der letzte Polarisierer geht

Wiesbaden. Auch in seinen letzten Stunden als Ministerpräsident blieb sich Roland Koch treu. Statt einer gediegenen Feier ließ Roland Koch zu seiner Verabschiedung als hessischer Regierungschef gestern Abend pompös ein Bundeswehr-Orchester aufmarschieren, das Lieder seines Freundes Udo Jürgens spielte

 Hessens Ministerpräsident Roland Koch - hier mit Ehefrau Anke im Schlepptau - kehrt der hessischen Landespolitik den Rücken. Foto: dpa

Hessens Ministerpräsident Roland Koch - hier mit Ehefrau Anke im Schlepptau - kehrt der hessischen Landespolitik den Rücken. Foto: dpa

Wiesbaden. Auch in seinen letzten Stunden als Ministerpräsident blieb sich Roland Koch treu. Statt einer gediegenen Feier ließ Roland Koch zu seiner Verabschiedung als hessischer Regierungschef gestern Abend pompös ein Bundeswehr-Orchester aufmarschieren, das Lieder seines Freundes Udo Jürgens spielte. Doch über Kochs angeblichen Militarismus konnten diesmal selbst Kochs Gegner von den hessischen Grünen hinwegsehen. Fraktionschef Tarek Al-Wazir sagte: "Ich habe jetzt so lange versucht, Roland Koch abzuwählen. Jetzt geht er freiwillig, und das will ich mir anschauen." Für einen Moment war der Ton in der Landespolitik nicht mehr so ruppig wie sonst. Elf Jahre lang flogen zwischen Koch und der Opposition die Fetzen im Landesparlament, das Koch unlängst als das "rauflustigste in Deutschland" bezeichnete.In diesem Parlament in Wiesbaden endet heute Kochs Karriere. Innenminister Volker Bouffier soll zum Nachfolger gewählt werden. "Ich habe es so gewollt, und ich werde darüber hinwegkommen, aber der 1. September ist sicher einer der schwierigen Tage", sagte Koch gestern. Über seine Zukunft wird noch gerätselt. Sicher ist nur, dass es ihn in die Wirtschaft zieht. Für hohe Posten in der Wirtschaft wird er allerdings schon jetzt eifrig gehandelt. Zuletzt sorgte ein Bericht für Schlagzeilen, wonach Koch an die Spitze des Baukonzerns Bilfinger Berger wechseln soll. Das Dementi folgte prompt.Es war ein Paukenschlag, als Koch Ende Mai völlig überraschend seinen kompletten Rückzug aus der Politik ankündigte. Das Zeug zum Kanzler hätte er selbst aus Sicht vieler politischer Gegner gehabt. Was, wenn die CDU in Zukunft nach ihm rufen sollte? "Dann wird man mit der Erfahrung leben müssen, dass manchmal auch Rufe verhallen", sagt er.Mehr als zwei Jahrzehnte prägte der bekennende Konservative Landes- und Bundespolitik. 23 Jahre saß der Jurist im hessischen Landtag, zwölf Jahre war er CDU-Landesvorsitzender. Im Jahr 1999 gewann er erstmals die Landtagswahl und wurde Ministerpräsident. Doch schon damals schieden sich die Geister. Denn Koch punktete im Landtagswahlkampf auch mit einer umstrittenen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Der CDU-Politiker galt fortan als Polarisierer erster Güte. Im Rückblick räumt Koch zwar ein, dass ihn so mancher Angriff auch getroffen hat. Doch er steht zu der Art, wie er Politik betrieb: Er sei überzeugt, "dass Polarisierung in einer demokratischen Gesellschaft zur Entscheidungsfindung gehört".Der Laufbahn des begnadeten Redners haftet jedoch noch immer ein anderer Makel an: die CDU-Schwarzgeldaffäre, die ihm schon kurz nach seinem Wahlsieg 1999 zusetzte. Bis heute glaubten viele Deutsche, er hätte mit der Affäre etwas zu tun, sagte Koch der "Süddeutschen Zeitung". Dabei sei das Einzige, was er damit zu tun habe, "dass ich sie geerbt und aufgeklärt habe". Ein wenig verkannt und falsch beurteilt scheint sich der nach außen oft kühl wirkende Koch am Ende trotz aller politischen Erfolge doch zu fühlen. Auf dem Zenit seiner Laufbahn stand Koch nach der Landtagswahl 2003, als er für die CDU die absolute Mehrheit holte. Im ständigen Auf und Ab seiner politischen Karriere folgte bei der nächsten Wahl im Jahr 2008 aber ein tiefer Sturz. Seine Kampagne gegen Jugendkriminalität und die Plakate mit dem Slogan "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen" kamen auch in der CDU nicht überall gut an. Der Grüne Al-Wazir war damals so sauer, dass er Koch den Handschlag verweigerte. Sein Abschied aus der Staatskanzlei schien ausgemacht, als die damalige SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti nach der Wahl an einer von den Linken tolerierten rot-grüne Minderheitsregierung bastelte. Doch Ypsilanti scheiterte, und Koch blieb geschäftsführend im Amt. Im Januar 2009 kam es zu Neuwahlen, aus denen CDU und FDP als Sieger hervorgingen. Schon kurz danach traf Koch die Entscheidung, die Politik zu verlassen. Heute geht er wirklich.

HintergrundDer designierte hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hat gestern offiziell sein neues Kabinett bekanntgegeben. Bei den Posten, die die CDU zu besetzten hat, wird Stefan Grüttner neuer Sozialminister und ersetzt den ausscheidenden Jürgen Banzer. Innenminister wird Boris Rhein, Finanzminister Thomas Schäfer, das Umweltressort übernimmt Lucia Puttrich. Die Staatskanzlei soll Axel Wintermeyer leiten. Bei den FDP-Ministern in der hessischen Regierung ändert sich nichts. Auch Bundesratsminister Michael Boddenberg und Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (beide CDU) bleiben im Amt.Bouffier soll heute zum Nachfolger Roland Kochs (CDU) gewählt werden. Neue Staatssekretärin im Finanzministerium wird die Professorin Luise Hölscher von der Frankfurter School of Finance. Der Landeschef der Jungen Union Hessen, Ingmar Jung, wird Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft. dpa

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