Der lange Weg zum Wasser

Tatsächlich, es regnet. Suleyman Mohamed Hiyesa schaut hoch zum Himmel. Nieselregen fällt auf sein Gesicht, ganz kurz, dann ziehen die Wolken über das Dürregebiet hinweg, ohne ihren Segen im Dorf Chifiri abzuladen

 Rettung aus der Tiefe: Zehn Meter hat Suleyman Mohamed Hiyesa in die Erde gegraben, bis er auf genügend Grundwasser stieß, das seiner Familie und seinen Tieren das Überleben sichert. Foto: Roland Brockmann

Rettung aus der Tiefe: Zehn Meter hat Suleyman Mohamed Hiyesa in die Erde gegraben, bis er auf genügend Grundwasser stieß, das seiner Familie und seinen Tieren das Überleben sichert. Foto: Roland Brockmann

Tatsächlich, es regnet. Suleyman Mohamed Hiyesa schaut hoch zum Himmel. Nieselregen fällt auf sein Gesicht, ganz kurz, dann ziehen die Wolken über das Dürregebiet hinweg, ohne ihren Segen im Dorf Chifiri abzuladen. "Nichts als ein paar Tropfen im heißen Sand", sagt der 30-Jährige, wirft die Schaufel beiseite und klettert hinab in seine Grube, an der er seit zwei Wochen gräbt - dem Grundwasser entgegen. Mühsam immer wieder etwas Wasser gewinnend. Fast zehn Meter tief ist das Loch seit gestern. Jetzt warten oben am Rand des Wasserlochs seine achtzehn Ziegen.Zur selben Zeit, es ist Dienstag, sitzt Rüdiger Ehrler vom Nothilfeteam der Welthungerhilfe auf der Terrasse des Hotels Nomad in Garissa, der letzten kenianischen Stadt vor der somalischen Grenze und Dadaab. Im Hof des Hotels parken die Geländewagen von Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen. Ehrler sucht in Garissa Unternehmer mit Wassertanklastern für Tana River - eine Region südwestlich, zu der auch Chifiri gehört. Vor zehn Tagen kam er an, sondierte zunächst die Lage, identifizierte Dörfer für seine Nothilfemaßnahme.

Einfach wäre es gewesen, sofort private Tankwagen anzuheuern, die ohnehin ständig am Ufer des Tana River Flusswasser aufnehmen, um die zahlungsfähige Landbevölkerung zu beliefern. Denn Wasser gibt es grundsätzlich - nur nicht da, wo man es jetzt am meisten braucht. Während entlang des Ufers volle Kanäle Felder mit Mais-Saatgut bewässern, darben nur ein paar Kilometer abseits Viehhirten wie Suleyman Hiyesa. Doch als Hilfsorganisation kann die Welthungerhilfe nicht einfach ungefiltertes Flusswasser ausgeben. "Was, wenn jemand krank wird und uns dafür verantwortlich macht?", meint Ehrler.

Also verhandelt er nicht nur mit Truckbesitzern, sondern auch dem Wasserwerk von Garissa. "Wir können täglich 25 000 Kubikmeter Wasser aufbereiten", verspricht Ali Tube, Manager von Gawasco. Das klingt gut. Aber wird das städtische Unternehmen am Ende auch wirklich liefern? Ehrler glaubt gar nichts, bevor das Wasser fließt, dafür kennt er Afrika zu gut. Es ist nicht sein erster Nothilfeeinsatz. Spätestens am Wochenende will er etwas Konkretes aufweisen. Er plant ein Verteilungsnetz, das Dörfer in einem Umkreis von 125 Kilometern versorgt. Von Transporteuren aus der Region. Trucks aus Nairobi zu ordern, würde nur zu Unzufriedenheit bei lokalen Unternehmern führen. Aber auch in Garissa musste er seinen Bedarf öffentlich ausschreiben - sprich Zettel an Tankstellen und Treffpunkten der Truckfahrer anbringen. Bewerber müssen über fahrbereite und angemeldete 10 000 bis 20 000 Liter Tankfahrzeuge mit Pumpe verfügen.

Suleyman Hiyesa und seine Frau sind zwei Kilometer vom Wasserloch zurück zu ihrer Hütte gelaufen. Die Ziegen sind für heute versorgt. Halima (26) kocht Tee mit Ingwer und Ziegenmilch. Ihre fünf Kinder spielen im Staub. Erst vor wenigen Jahren wurden Suleyman und Halima hier sesshaft, weil es in Chilifi eine Schule gibt. Vorher lebten sie als Nomaden. Eine gute Zukunft hat Suleyman sich hier erhofft. Dann blieb der Regen aus.

Bereits seit Jahren hilft die Welthungerhilfe Dorfgemeinschaften der Region Tana River beim Bau etwa von Regenwasserauffanganlagen - doch wenn ganze Regenzeiten ausbleiben, nutzen auch die nichts. Dann muss man Wasser verteilen. Zwei Tage nach der Ausschreibung unterzeichnet Ehrler den ersten Vertrag. Nicht mit dem billigsten Anbieter, aber einem, der über einen einsatzbereiten Tanklaster verfügt. Denn: Beworben haben sich auch Besitzer, deren Fahrzeuge gar nicht angemeldet waren. Andere verfügten über keine Pumpe. Ein jeder hier will Geld machen und verspricht leicht etwas, was er dann doch nicht halten kann.

Bei Gawasco leistet Ehrler in bar eine Vorauszahlung: ein Kubikmeter Wasser zu etwa 2,50 Euro. Am Samstag gegen acht Uhr laufen tatsächlich 10 000 Liter Trinkwasser in den ersten Truck - Zielort: Bultubanta, ein Dorf 30 Kilometer westlich von Garissa. Ehrler merkt man seine Erleichterung an. Seit fast zwei Wochen ist er im Land. Nun endlich fließt Wasser, kommt konkrete Hilfe an. Pro Person plant die Welthungerhilfe in Tana River nun täglich zehn Liter Wasser auszuteilen - wesentlich mehr als Hilfsorganisationen normalerweise kalkulieren, etwa zwei Liter. Zum Vergleich: ein Deutscher verbraucht durchschnittlich 122 Liter am Tag.

Suleyman Hiyesa muss vorerst noch tiefer nach Wasser graben; Chifiri steht nicht auf der Liste von Rüdiger Ehrler, bislang nicht. Im Vergleich zu den Menschen in weiter nördlichen Regionen geht es Suleyman aber relativ gut. Solange er auf Grundwasser stößt, wird die Familie mit ihren Ziegen überleben.

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