Der "Kampfradler" als neuer Sündenbock

Berlin. Der Tourist aus Ecuador ist überrascht. "Ich dachte, hier herrschen preußische Tugenden", sagt der Mann aus dem südamerikanischen Land, als er in Berlin an einer roten Ampel steht, die Radfahrer aber einfach an ihm vorbeirauschen. "Im Verkehr benehmen sich die Leute ja schlimmer als bei uns", meint er

 Ein Radfahrer rast mit Kopfhörern durch eine Fußgängerzone. Könnten ihn höhere Bußgelder zur Räson bringen? Foto: Wabitsch/dpa

Ein Radfahrer rast mit Kopfhörern durch eine Fußgängerzone. Könnten ihn höhere Bußgelder zur Räson bringen? Foto: Wabitsch/dpa

Berlin. Der Tourist aus Ecuador ist überrascht. "Ich dachte, hier herrschen preußische Tugenden", sagt der Mann aus dem südamerikanischen Land, als er in Berlin an einer roten Ampel steht, die Radfahrer aber einfach an ihm vorbeirauschen. "Im Verkehr benehmen sich die Leute ja schlimmer als bei uns", meint er. Auch Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat ähnliche Erfahrungen gemacht - er spricht vom Phänomen der Kampfradler. Daher werden Rufe nach härteren Strafen laut - das Problem ist aber auch, dass die Infrastruktur in vielen Orten nicht ausgelegt ist auf immer mehr Fahrradfahrer.Wer in der Hauptstadt den Verkehr beobachtet, kann die Analyse des Ministers durchaus nachvollziehen: Ein Großteil der Radler scheint eine akute Farbenschwäche zu haben. Rot ist gleich Grün. Hätte die Berliner Polizei das entsprechende Personal, könnten mit Bußgeldern wohl Millionen eingenommen werden. Schließlich müssten eigentlich 100 Euro fürs Weiterfahren bezahlt werden, wenn die Ampel länger als eine Sekunde rot ist. Andererseits sind auch Busse und Taxis nicht gerade zimperlich, wenn es gilt, Radler abzudrängen - die ruppige Berliner Lebensart, so scheint es, schlägt sich auch im Verkehr nieder.

Hinzu kommt das Alkoholproblem. Radler werden erst ab 1,6 Promille belangt. Die Polizei in Münster beschäftigt sich seit langem mit betrunkenen Radfahrern, die plötzlich auf der Straße liegen. 2011 waren 51 Radler, die zu tief ins Glas geschaut hatten, in der Fahrradhochburg an Unfällen beteiligt. 30 hatten mehr als 1,6 Promille. Von acht in den letzten fünf Jahren getöteten Radfahrern waren fünf alkoholisiert. Bei Unfällen mit Autos hätten zu etwa 50 Prozent die Radfahrer Schuld, sagt Jan Schabacker von der Polizei Münster. Mit mehr Kontrollen und der Drohung mit Führerscheinverlust versucht man, das Problem in den Griff zu bekommen, der Radanteil am Verkehr beträgt hier 30 Prozent.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert ein Einschreiten der Politik. Allein in Berlin stieg die Zahl der Unfälle, an denen Radfahrer beteiligt waren, 2011 auf 7376, das waren 19 Prozent mehr als 2010. Und: Vergangenes Jahr wurden in der Hauptstadt bei Radlern 10 651 Rotlichtverstöße geahndet, rund 1000 mehr als ein Jahr zuvor. Bundesweit ging aber zuletzt zumindest die Zahl der getöteten Radfahrer im Verkehr zurück - Zahlen zeigen keinen klaren Trend.

"Das ist natürlich nicht nur in Berlin ein Problem, dass sich Radfahrer nicht an Regeln halten", betont der Vorsitzende der GdP, Bernhard Witthaut. Das gebe es überall, in der Stadt wie auf dem Land. "Vom Anzugträger bis zum Kind fahren alle mal bei Rot über die Ampel", hat Witthaut beobachtet. Er fordert ein Maßnahmenbündel, um Radfahrer stärker zu disziplinieren. So könne eine Anpassung der Bußgelder an die für Autofahrer sinnvoll sein, sagt Witthaut.

Wer auf dem Rad mit dem Handy telefoniert, muss bisher 25 Euro zahlen, den Autofahrer kostet es 40 Euro. In der Regel zahlen Radler bei Verstößen bisher etwa die Hälfte. Viele Vergehen werden gar nicht erst geahndet: So müsste eigentlich für das Benutzen der Straße, wenn ein Radweg daneben vorhanden ist, 15 Euro gezahlt werden. Auch eine Kennzeichnungspflicht für Räder hält GdP-Chef Witthaut für überlegenswert, um Radfahrer besser zur Rechenschaft ziehen zu können. "Sonst fahren Sie entweder hinterher oder er ist weg und Sie kriegen ihn nicht." Auch die Rad-Promillegrenze könne gesenkt werden.

Derzeit arbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Vorsitz Hamburgs an einem Bericht für die Verkehrsministerkonferenz im Herbst, ob Sanktionen für Radfahrer bei groben Verstößen verschärft werden müssen. Ramsauer will vorerst keine höheren Bußgelder, aber er droht mit einer Helmpflicht. "Wir setzen, auch in unserer Kampagne für Verkehrssicherheit, auf Einsicht und Vernunft", sagt eine Sprecherin. Dem Minister gehe es nicht um eine Stigmatisierung von Radfahrern, sondern darum, dass das schlechte Vorbild einzelner nicht Schule mache: "Ein Kind, das dieses Verhalten womöglich nachahmt, kommt vielleicht nicht lebend über die rote Ampel", sagt die Sprecherin. 42 Prozent der Deutschen fahren nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) derzeit regelmäßig mit dem Rad, das sind etwa 29 Millionen Menschen. Studien belegen, dass eine Kommune der Fahrradkilometer nur ein Zehntel dessen kostet, was ein Kilometer Autostraße kostet. Doch trotzdem fehlen oft Radwege oder Radspuren. Gerade wenn auch noch tausende Elektroräder in den Städten rollen, könnte der Konflikt zwischen Fahrrad und Auto immer größer werden. Bettina Cibulski vom ADFC warnt deshalb vor einer Kriminalisierung der Radfahrer. Sie sieht die wahre Schieflage an einer anderen Stelle. "Es gibt eine Revolution von unten, immer mehr Leute in Deutschland fahren Rad, aber es fehlen gerade in vielen Städten die richtigen Wege", sagt Cibulski.

Meinung

Auflösung

der Kampfzone

Von SZ-RedakteurGregor Haschnik

Die Debatte über die "Kampfradler" zeigt: Verkehrspolitik ist genauso wie der Straßenverkehr oft eine Kampfzone, in der sich alle Teilnehmer unbedingt durchsetzen wollen. Stattdessen sollten die Beteiligten sich an die "gegenseitige Rücksichtnahme" erinnern, den Leitgedanken der Straßenverkehrsordnung, und sich in der Mitte treffen. Ja, Radfahrer brauchen dringend bessere Verkehrsbedingungen. Im Gegenzug müssen sie aber höhere Strafen und häufigere Kontrollen akzeptieren. Verkehrspsychologische Studien belegen, dass sich rücksichtslose Radfahrer - von denen es nicht so viele gibt, wie die Diskussion suggeriert - nur so zur Räson bringen lassen. Um Unfälle zu verhindern, muss man jedoch viel früher ansetzen: bei der Verkehrserziehung. Sie sollte bei Kindern ausgebaut - und in der Auto-Fahrschule fortgeführt werden. Der Umgang mit Radfahrern und das Verhalten als Radfahrer kommen dort zu kurz.

Hintergrund

Radfahrer kommen bisher bei Verstößen meist glimpflich davon. Die Bußgelder für Radler in der Regel deutlich niedriger als jene für Autofahrer. Die "Höchststrafe" liegt bei 350 Euro, wenn ein Bahnübergang trotz geschlossener Schranke überquert wird. 180 Euro sind zu zahlen, wenn es beim Überfahren einer roten Ampel zum Unfall kommt. Ist die Ampel länger als eine Sekunde rot, gibt es immer obendrauf noch einen Punkt in Flensburg. Telefonieren auf dem Rad kostet 25 Euro. Die Nichtbenutzung des vorhandenen Radwegs und das Fahren gegen die Einbahnstraße schlagen mit jeweils 15 Euro zu Buche. Die Missachtung des Zebrastreifens kostet 40 Euro, freihändig fahren 5 Euro. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort