Der Horror fährt noch immer mit

Madrid · Am 11. März 2004 brachten Islamisten ihren Terror nach Europa. Mit Bombenanschlägen auf Madrider Züge töteten sie 191 Menschen. Während die ersten Attentäter wieder auf freiem Fuß sind, suchen die Opfer bis heute den Weg in ein befreites Leben.

Es war das fürchterlichste Terrorattentat in Spaniens demokratischer Geschichte. Und eines der schlimmsten in Europa. 191 Menschen starben, als am 11. März 2004 vier Vorortzüge in der Hauptstadt Madrid in die Luft flogen. Rund 2000 Menschen wurden verletzt. Und eine ganze Nation stand unter Schock. Morgen, genau zehn Jahre nach dem Horrortag, gedenkt Spanien mit einem Staatsakt der Todesopfer.

Die Überlebenden haben den Albtraum nicht vergessen. 200 von ihnen sind noch in psychologischer Behandlung. Sie müssen Beruhigungstabletten nehmen, bekommen Schweißausbrüche, wenn sie eine Sirene hören - und haben Höllenangst, wenn sie Zug fahren. Auch bei Inmaculada Díaz. reist die Erinnerung bis heute mit, wenn sie mit der Bahn unterwegs ist. Sie rettete ihr Leben deshalb, weil sie am Madrider Hauptbahnhof gerade ausgestiegen war, als hinter ihr die Bomben hochgingen. Wenn ihr Zug jetzt an irgendeiner Haltestelle länger als normal stehen bleibt, wird sie nervös, Terrorbilder tauchen vor ihren Augen auf: "Dann muss ich raus" - auch wenn sie noch gar nicht am Ziel angekommen ist. Anderen geht es noch schlechter: Die 36-jährige Laura Vega, welche damals schwer verletzt überlebte, liegt seitdem im Koma. Sie weiß vermutlich bis heute nicht, was in der schwärzesten Stunde ihres Lebens geschehen ist. "Hoffentlich leidet sie nicht", fleht ihre Familie.

Der Rückblick auf die Bluttat lässt schaudern: Am Morgen des 11. März waren wenigstens zwölf islamistische Terroristen in vier vollbesetzte Vorortzüge eingestiegen und hatten 13 Bomben platziert. Die per Handy gezündeten Rucksack-Sprengsätze explodierten an verschiedenen Orten, aber fast zeitgleich gegen 7.40 Uhr. Nicht alle Bomben gingen hoch, das brachte die Fahnder auf die Spur: Ein als Zünder verwendetes Mobiltelefon führte zum Versteck der Täter. Als die Polizei den Unterschlupf stürmte, sprengten sich sieben der islamistischen Attentäter in die Luft.

Es war ein Attentat mit politischen Folgen: Drei Tage später gewannen die Sozialdemokraten unter José Luis Zapatero überraschend die spanische Parlamentswahl. Sie verdrängten die konservative Volkspartei von Ministerpräsident Jose Maria Aznar, der den umstrittenen Irakkrieg unterstützt hatte. Etliche Bürger lasteten Aznar offenbar eine indirekte Mitschuld am Madrider Blutbad an und entzogen ihm das Vertrauen. Die Konservativen, die nach dem Anschlag der baskischen Terror-Organisation ETA die Schuld in die Schuhe schoben, sehen sich bis heute als Opfer einer dunklen "Verschwörung".

Die Ermittlungen mündeten im Jahr 2007 in einen Mammutprozess mit 28 Angeklagten: 14 Marokkaner, zwei Syrer, ein Ägypter, ein Libanese, ein Algerier und sieben Spanier. Die Haupttäter, zwei marokkanische Bombenleger, Jamal Zougam und Otman el Gnaoui, bekamen wegen vielfachen Mordes mehr als 40 000 Jahre Haft. Ein spanischer Sprengstoffdealer namens José Emilio Suárez Trashorras erhielt 35 000 Jahre. Das Verfahren zeigte: Der Befehl zum Attentat ist direkt aus der Al-Qaida-Spitze gekommen. Etliche der Madrider Verdächtigen waren schon nach dem Terror in den USA ins Visier der spanischen Polizei geraten. Doch die islamistische Bedrohung war damals in Spanien unterschätzt worden.

Vier der Madrider Täter, die geringere Haftstrafen verbüßten, sind schon wieder in Freiheit. Ein weiterer Verurteilter, der Marokkaner Rafá Zouhier, wird in wenigen Tagen entlassen. Für Pilar Manjón, die bei dem Attentat ihren 20-jährigen Sohn Daniel verlor, ist die Vorstellung grauenhaft, dass sie vielleicht auf der Straße einem schon wieder frei herumlaufenden Terrorhelfer begegnen könnte. "Ich wünsche ihnen nichts Schlechtes, aber ich will, dass sie ganz weit weg sind."

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