Der heimliche Vorsitzende"Wir sind mitten im Generationswechsel"

Saarbrücken. Zum Abschied aus der Bundesspitze der Linkspartei hatte Oskar Lafontaine seinen Genossen im Mai noch eine großzügige Botschaft mit auf den Weg gegeben: Wenn die Partei die bisherige Richtung fortsetze, erklärte er, "gibt es für mich keine Veranlassung, mich ständig einzumischen"

 Oskar Lafontaine hat den Parteivorsitz der Linken im Mai abgegeben. Dennoch ist er häufig immer noch das lauteste Sprachrohr der Partei. Foto: dpa

Oskar Lafontaine hat den Parteivorsitz der Linken im Mai abgegeben. Dennoch ist er häufig immer noch das lauteste Sprachrohr der Partei. Foto: dpa

Saarbrücken. Zum Abschied aus der Bundesspitze der Linkspartei hatte Oskar Lafontaine seinen Genossen im Mai noch eine großzügige Botschaft mit auf den Weg gegeben: Wenn die Partei die bisherige Richtung fortsetze, erklärte er, "gibt es für mich keine Veranlassung, mich ständig einzumischen". Gemessen an dieser Bedingung muss die Linke nach dem Abtritt des Vorsitzenden eine radikale Kurswende hingelegt haben. Denn Lafontaine meldet sich wieder regelmäßig zu Wort. Und tut dabei so, als sei er nicht nur Chef einer Elf-Mann-Fraktion im saarländischen Landtag, wo er sich eigentlich um Nichtraucherschutz, Schulreform und Haushaltspläne zu kümmern hätte, sondern weiter der große Zampano der Linken. Lafontaine, der heimliche Vorsitzende? "Der Eindruck täuscht", widersprach der 66-Jährige im ZDF. Die Debatte darüber sei ein Trick, um "Zwietracht in die Führung der Linken" zu säen. "Das wird nicht gelingen."

Doch wer beobachtet, wie der frühere Parteichef wie selbstverständlich SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen Bedingungen für die Unterstützung einer Minderheitsregierung diktierte, kann zu dem Schluss kommen, dass ihm die Landespolitik mittlerweile zu langweilig geworden ist. In der Jamaika-Koalition wird schon länger gelästert, Lafontaine lasse sich kaum im Hohen Hause blicken, wenn es um Sacharbeit gehe.

Bestes Beispiel für Lafontaines Comeback in Berlin: Bei der Bundesversammlung vergangene Woche soll er schon morgens bei der ersten Beratung der Linken-Fraktion vorne beim Vorstand gesessen haben. Vor dem entscheidenden dritten Wahlgang führte er in vertraulichen Gesprächen mit der SPD-Spitze hinter verschlossenen Türen das Wort für die Linkspartei - und bot an, die Linke könne Brandenburgs SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck mitwählen, wenn SPD und Grüne ihren Kandidaten Joachim Gauck fallen ließen. Linksfraktionschef Gregor Gysi sagte später, er habe auf Lafontaines Beteiligung bestanden, um der SPD zu demonstrieren, dass er "bei uns weiter eine wichtige Rolle spielt".

Doch dazu hätte es dieses Schrittes gar nicht mehr bedurft. Schließlich hatte Lafontaine schon in den Wochen vor der Bundesversammlung erkennen lassen, wer das Zepter seiner Partei schwingt. Als SPD und Grüne ihren gemeinsamen Kandidaten präsentierten, gab Lafontaine die Richtung vor und erklärte den früheren Chef der Stasi-Unterlagenbehörde für unwählbar. Die schrillsten und unversöhnlichsten Töne in Richtung Gauck kamen nicht aus dem Osten, sondern vom Oberlimberg. Einmal verstieg er sich zu der absurden Bemerkung, der frühere DDR-Bürgerrechtler Gauck habe von der Stasi Privilegien erhalten.

Für den Trierer Politikwissenschaftler Axel Misch ist klar, dass das Zusammenspiel zwischen Gysi und seinem alten Kumpel Lafontaine immer noch bestens funktioniert. "Das ist nach wie vor das Duo, das die Richtung vorgibt", sagt Misch.

Einige Linke rieben sich am Tag der Präsidentenwahl verwundert die Augen ob der Selbstverständlichkeit, mit der Lafontaine plötzlich wieder zurück im Ring war. "Ist der jetzt wieder Parteichef?", wurde ein Linker in den Zeitungen zitiert. Ein Satz des früheren Linke-Geschäftsführers und Lafontaine-Gegners Dietmar Bartsch verrät ziemlich viel über Lafontaines innerparteiliches Gewicht: Nur der wäre in der Lage gewesen, die Linke in der Bundesversammlung in letzter Sekunde auf Gauck-Linie zu bringen. Dass die Enthaltung der Linken im dritten Wahlgang ganz maßgeblich Lafontaines Werk war, daran gibt es kaum Zweifel.

Von einem "heimlichen Parteivorsitzenden" wollen aber weder Lafontaine selbst noch die Parteispitze etwas wissen. Der Vorsitzende Klaus Ernst, dem während des Präsidenten-Wahldramas von führenden Linken keine allzu starke Leistung bescheinigt wurde, sagte gestern: "Er steht uns zur Seite, er hilft uns." Damit Lafontaine das nicht ganz ohne Amt tun muss, hat die Linke eigens eines für ihn geschaffen: Als eine Art Sonderbotschafter soll er künftig die Kontakte ins Ausland pflegen. An der Weiterentwicklung des Grundsatzprogramms soll er dagegen nicht mehr federführend beteiligt sein - offiziell zumindest.Herr Ramelow, Sie haben im Vorjahr gesagt, es müsse auch ohne Oskar Lafontaine gehen. Hat der Satz für Sie weiter Gültigkeit?

Ramelow: Ich habe das damals zurück genommen, weil der Satz durch Lafontaines bekannt gewordene Krebserkrankung in einem falschen Licht erschien. Inzwischen sind wir mitten im Generationswechsel. Und der ist gut angelegt, wenn wir auf den Rat unserer Altvorderen hören.

Mit Oskar Lafontaine als Schattenvorsitzendem?

Ramelow: Er ist einer unserer wichtigen Mitstreiter, der diese Partei, daran muss man erinnern, erst ermöglicht hat. Als Vorsitzender der saarländischen Landtagsfraktion und damit als Repräsentant der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz der Linken hat er einen Anspruch, sich bei einer grundlegenden politischen Weichenstellung der Partei einzubringen.

Darüber sind aber offenbar nicht alle in der Partei erbaut.

Ramelow: Unsinn. Oskar Lafontaine hat einen großen politischen Einfluss bei den Linken. Und das ist gut so. Wenn er sich zum Beispiel mit Forderungen an Rot-Grün in die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen einschaltet, dann sei darauf hingewiesen, dass er unseren Landesverband dort mit großem persönlichem Engagement zum Erfolg geführt hat.

Was sagt das über den Einfluss der beiden amtierenden Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst aus, wenn es praktisch noch einen Übervorsitzenden gibt?

Ramelow: Lafontaine ist doch nicht immer und überall anwesend, sondern dort, wo er dazu gebeten wird. So war das übrigens auch bei dem internen Gespräch mit SPD und Grünen während der Wahl des Bundespräsidenten.

Müsste sich die Linke nicht stärker von Lafontaine emanzipieren, so wie das einst auch die Grünen von Joschka Fischer getan haben?

Ramelow: Das ist Quatsch. Die Partei muss sich selbst emanzipieren. Nicht von Lafontaine, sondern um selbstbewusst die nächsten politischen Etappen anzugehen.

Kämen Linke und SPD möglicherweise leichter zueinander, wenn sich Oskar Lafontaine zurücknehmen würde?

Ramelow: Auch das ist Unsinn. Eine Lockerungsübung zwischen Linken und SPD wird es erst geben, wenn wir genügend gemeinsame Projekte haben. Dazu müssen auch die Sozialdemokraten über ihren Schatten springen. "Man möchte Zwietracht in die Führung der Linken säen."

Lafontaine zur Debatte über seine Position

Meinung

Das Saarland ist ihm nicht genug

Von SZ-Redakteur

Peter Stefan Herbst

 Oskar Lafontaine hat den Parteivorsitz der Linken im Mai abgegeben. Dennoch ist er häufig immer noch das lauteste Sprachrohr der Partei. Foto: dpa

Oskar Lafontaine hat den Parteivorsitz der Linken im Mai abgegeben. Dennoch ist er häufig immer noch das lauteste Sprachrohr der Partei. Foto: dpa

Hatte wirklich jemand ernsthaft geglaubt, er würde sich auf seine Aufgaben im Landtag konzentrieren? Das Saarland war schon immer zu klein für das große Ego von Oskar Lafonatine. Natürlich möchte bei den Linken niemand von einem "heimlichen Parteivorsitzenden" sprechen. Würde dies doch die Akzeptanz und Autorität der neuen Führung in Frage stellen. Dennoch steckt und bleibt Lafontaine in dieser Rolle. Unabhängig davon, wie man zu ihm steht, nimmt er bei der Linken eine besondere Stellung ein - ob mit oder ohne Amt. Er und Gregor Gysi spielen in ihrer Partei in einer eigenen Liga. Wortgewalt und Machtinstinkt der linken Altstars sind unerreicht. Die gewählten Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst können da nicht mithalten. Sie haben Lafontaine jetzt mit dem Amt eines "Außenministers" die Welt zu Füßen gelegt. Vielleicht in der Hoffnung, dass er sich künftig aus der Bundespolitik heraushält. Diese Erwartung könnte trügerisch sein. Ist Lafontaine doch für seine Unberechenbarkeit bekannt. Befreit vom lästigen Tageswerk eines Partei- und Fraktionsvorsitzenden kann er sich auf alle Themen stürzen, die ihn interessieren.

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