Der Heilige Rock und die starken Frauen
Die Stöckelschuhe stehen im Vorraum der katholischen Kirche. Sie sind rot. Sinnlich. Sündhaft. Stark. Eine Provokation vor dem Altarraum - inszeniert auf schlichten, grauen Pflastersteinen. Die abgelaufenen Pumps locken an diesem Freitagabend viele Gläubige der Heilig-Rock-Wallfahrt an. Da ein zustimmendes Nicken. Hier ein zauderndes Kopfwiegen
Die Stöckelschuhe stehen im Vorraum der katholischen Kirche. Sie sind rot. Sinnlich. Sündhaft. Stark. Eine Provokation vor dem Altarraum - inszeniert auf schlichten, grauen Pflastersteinen. Die abgelaufenen Pumps locken an diesem Freitagabend viele Gläubige der Heilig-Rock-Wallfahrt an. Da ein zustimmendes Nicken. Hier ein zauderndes Kopfwiegen. Die Installation der Künstlerin Monika Jungnitz in der Trierer Welschnonnenkirche - einen Steinwurf vom Dom mit der gefeierten Reliquie des Heiligen Rocks entfernt - verstört. Zeigt sie doch das neue Selbstbewusstsein von Frauen in der katholischen Kirche. Rita Monz aus Eppelborn ist eine dieser Frauen. Sie ist 52 Jahre alt, Hausfrau. Das T-Shirt, das sie trägt, ist genauso rot wie die Stöckelschuhe ein paar Meter weiter, "kfd" prangt darauf. Seit acht Jahren engagiert sich Rita Monz ehrenamtlich in der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. 10 000 Saarländerinnen vertritt die kfd im Diözesanverband Trier. "Wir Frauen können mehr als putzen. Es ist an der Zeit, dass die Männer in der Kirche das anerkennen", sagt die zierliche Frau energisch. Geputzt hat sie in den vergangenen Tagen trotzdem mit ihren Verbandskolleginnen - bis das Wasser und die Hände schwarz waren. Denn der "alte Muff" in der Welschnonnenkirche musste weg. Für die Premiere der kommenden vier Wochen: Erstmals haben die katholischen Frauen bei einer Wallfahrt ihr eigenes Gotteshaus zum Rasten, Beten und Diskutieren. Eine Stationskirche von Frauen für Frauen.
Ausgrenzung statt Anerkennung
Für viele hier ist die "Frauenkirche" zwar ein sehr positives Signal, aber noch lange nicht genug: Sind es doch - ihrer Meinung nach - die Frauen, die unter der Woche die Kirchenbänke bei den Gottesdiensten in Deutschland füllen. Sind es doch die Frauen, die in Zeiten des Priestermangels viele Pfarreien mit am Leben erhalten. Sie machen Küsterdienste oder nehmen beim Pfarrfest mal eben mit Kuchenverkauf 1200 Euro für die Gemeinde ein. Doch statt der Anerkennung, die sie sich wünschen, erfahren sie Ausgrenzung, dürfen weder das Diakonat noch das Priesteramt ausüben. "Noch zehn Jahre können sie sich die Scheuklappen leisten. Dann ist der Priestermangel so verheerend, dass sie uns noch mehr einbinden müssen", mutmaßt Rita Monz.
Das Gottvertrauen der Saarländerin - es stammt von ihrer verstorbenen Oma Resi. Spitzbübisch lächelt die alte Dame mit dem silbergrauen Dutt und der Kittelschürze von einem Foto herab, das Rita Monz bei sich trägt. In den 60er Jahren erzählt Oma Resi ihren Enkelkindern aus der Bibel. Ihr Gott ist immer gütig, nie strafend. Sie lehrt genauso viel Respekt vor den Nachbarn wie vor dem Bischof oder dem Papst. Rita Monz übernimmt den Glauben, den ihre Großmutter vorlebt. Zunächst gedankenlos - wie Kinder das tun. Dann mit eigener Hingabe. "Und schließlich auch mit Zweifeln", sagt sie und das Stimmengewirr auf dem Trierer Hauptmarkt erstickt jetzt fast ihre Worte. Mit dicken Tüten bepackt drängen sich die Freitagseinkäufer aus den Geschäften und verschwinden in der Menschen-Masse aus tausenden Pilgern. Sie alle wollen dabei sein, wenn gleich im Trierer Dom der Heilige Rock enthüllt wird - das Gewand, das Jesus Christi getragen haben soll. Es ist eine der bedeutendsten Reliquien Europas, die normalerweise verschlossen in einer Kapelle liegt. Einen wissenschaftlichen Beleg zur Echtheit gibt es nicht. Der Legende nach soll die Heilige Helena - Mutter von Kaiser Konstantin - den Rock auf einer Pilgerfahrt nach Jerusalem entdeckt und der Trierer Kirche zum Geschenk gemacht haben. Im 20. Jahrhundert war er nur dreimal zu sehen: 1933, 1959 und zuletzt vor 16 Jahren. Ein Weltereignis, zu dem die Kirche bis Mitte Mai mehr als 500 000 Pilger erwartet.
Kurz vor dem Trierer Hauptmarkt muss ein Radfahrer, der ein Jakobsmuschel-Amulett um den Hals trägt, absteigen. Es ist eng geworden, als der Rotschopf von Rita Monz wieder aus der Menge auftaucht. Ihre Zweifel am Glauben, sie kamen vor etwas mehr als zehn Jahren. Mit dem Pastor, den sie kannte, der selbst nicht das lebte, was er auf der Kanzel predigte. Er schlug Schulkinder und Messdiener. Ein Skandal im Ort, der für viele beendet war, als der Pastor ging.
Nicht für Rita Monz. "Ich hatte die Nase voll von diesem Glauben und von diesem Gott", sagt sie. Sie kann das alles nicht fassen und wendet sich enttäuscht von der Kirche ab - bis ein Geistlicher sie schließlich mit langen Gesprächen zurückholt. "Er hat mir klar gemacht, dass ich nicht mit Gott hadern darf, wenn ich eigentlich seine Institution auf Erden meine. Da arbeiten eben Menschen, und Menschen machen Fehler", sagt sie. Eine Erkenntnis, die ihr auch heute über so manch' schwierigen Tag hinweg hilft. Etwa dann, wenn Mütter sie auf die Missbrauchsfälle im Bistum Trier ansprechen und sie als eine der Vetreterinnen der katholischen Frauen in der Diözese entgeistert fragen, warum sie nicht schon längst aus dieser Kirche ausgetreten ist.
Jugend hat ihre eigene Kirche
Plötzlich Scheinwerfer in der Kirche St. Paulus. Ein Stacheldrahtzaun. Schaufenster-Puppen mit Spritzen im Arm und Fast-Food-Tüten vor den Füßen. Das Wort Sucht haben Firmlinge aus Weiskirchen in großen Lettern auf den Fußboden geschrieben.
Die Jugend feiert hier heute den Beginn ihrer Heilig-Rock-Wallfahrt - mit Kunst zeigen Mädchen und Jungs, welche Themen sie beschäftigen. "Es war uns wichtig, dass die Jugendlichen die Kirche selbst gestalten, damit sie sich in diesem geistlichen Raum wiederfinden", erklärt Pastoralreferent Roland Hinzmann. Denn nach der Kommunion oder der Firmung reißt das Band der Kirche zu den Jugendlichen häufig ab. Ihre Sprache ist dann eine andere.
"Boah, schau mal, wie stylish!", tönt es hinter den Kleiderständern hervor. Zwei junge blonde Frauen in Turnschuhen mit aufgetürmten Haaren posieren vor einem Spiegel in dem großen Zelt gegenüber der Jugend-Kirche. Die eine hat einen Gürtel entdeckt, die andere eine 70er-Jahre-Jacke. "Kleider sind ein Riesen-Thema unter Jugendlichen. Hier finden sie alles - vom gebrauchten Sport-Short für 50 Cent bis zur ausrangierten Pelzjacke für 50 Euro", erklärt Kathrin Prams, pädagogische Referentin der Fachstelle plus für Kinder-Jugendpastoral in Saarbrücken. Sie ist umringt von 1500 Kilo Schuhen, Hosen, Jacken, T-Shirts, Krawatten und Oberteilen aus Kleiderspenden, die ehrenamtliche Helfer in den kommenden Wochen auf dem "Second-Hand- & Rockmarkt" verkaufen.
Apropos Rock. Noch nie zuvor hat Rita Monz den Heiligen Rock, den größten Schatz des Trierer Doms, gesehen. Doch heute ist sie eine der Ersten, die sich ihm - unter Glockengeläut - nähern darf. Ihre Hände an der weißen Fahne zittern. Sie gehört zu einer Abordnung von kfd-Frauen, die mit mehr als 1500 Menschen den Gottesdienst und die feierliche Enthüllung begleiten. "Es ist mir egal, ob der Rock echt ist oder nicht. Für mich ist er ein Symbol meines Glaubens. Er gibt mir Kraft", sagt sie, während sie ganz hinten in der Schlange steht, die in den Dom einzieht.
Minuten später blickt Rita Monz aus drei bis vier Metern Höhe von einer Empore des Gotteshauses auf den noch bedeckten Holz-Glas-Schrein. Sie ist gerührt, die Zeremonie erinnert sie an ihre Hochzeit und an die Kommunion ihres Sohnes. Es ist jetzt kurz vor 15 Uhr. Pauken und Trompeten ertönen. Das Tuch fällt. Es ist rot - und bringt das Kostbarste zum Vorschein. "Wir Frauen können mehr als putzen. Es ist an der Zeit, dass die Männer in der Kirche das anerkennen."
Rita Monz, Vorstandsmitglied
im Diözesanverband Trier
der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands
Hintergrund
Der Heilige Rock ist eine Tuchreliquie, die Teile des Gewandes von Jesus Christus enthalten soll. Sie wird im Trierer Dom aufbewahrt und ist normalerweise nicht sichtbar. Die rotbraune Tunika wird nur bei den "Heilig-Rock-Wallfahrten" gezeigt, die unregelmäßig ausgerufen werden. Erstmals wurde der Heilige Rock im Jahr 1512 auf Drängen von Kaiser Maximilian I. öffentlich gezeigt. Das 500-Jahr-Jubiläum ist Anlass für die Wallfahrt 2012.
Wissenschaftliche Belege über die Echtheit des Gewandes gibt es nicht. Der Überlieferung nach soll die Heilige Helena, die Mutter Konstantins des Großen, die Tunika bei einer Pilgerfahrt in Jerusalem gefunden und dann der Trierer Kirche geschenkt haben. Erst 1196 wurde der Rock in den Trierer Annalen erwähnt. Heute wird das Gewand als Symbol für die Menschwerdung von Jesus Christus verehrt. Zur letzten Wallfahrt 1996 kamen rund 700 000 Pilger. dpa
Auf einen Blick
Das Städtenetz Quattropole, das Bistum Trier und das Erzbistum Luxemburg starten an der Saarbrücker Ludwigskirche am Montag, 16. April, eine Lichtprojektion zur Heilig Rock-Wallfahrt. Die Ludwigskirche wird bis Sonntag, 22. April, beleuchtet. Von Montag, 23. April, bis Sonntag, 29. April, wird die Lichtprojektion an der Cathédrale St. Étienne in Metz, von Montag, 30. April, bis Sonntag, 6. Mai, an der Cathédrale Notre-Dame in Luxemburg stattfinden. Den Abschluss bildet der Dom St. Peter in Trier, wo die Projektion vom 7. bis zum 12. Mai zu sehen ist. red