Der "Goldene Staat" steht vor dem Bankrott

Vor den Villen parken Luxuskarossen aus deutscher Produktion: BMW, Mercedes, Porsche. Leise surren die Bewässerungsanlagen in den gepflegten Vorgärten. Hier in Sorrento Pointe, 40 Kilometer vom Stadtzentrum von Los Angeles entfernt, schien bis vor wenigen Tagen die Welt der Bürger noch in Ordnung zu sein. Doch dann fuhren zwei Leichenwagen in die "Como Lane"

Vor den Villen parken Luxuskarossen aus deutscher Produktion: BMW, Mercedes, Porsche. Leise surren die Bewässerungsanlagen in den gepflegten Vorgärten. Hier in Sorrento Pointe, 40 Kilometer vom Stadtzentrum von Los Angeles entfernt, schien bis vor wenigen Tagen die Welt der Bürger noch in Ordnung zu sein. Doch dann fuhren zwei Leichenwagen in die "Como Lane". Einige Nachbarn schossen mit ihren Handys Fotos, als die Gerichtsmediziner ihrer traurigen Pflicht nachgingen und sechs leblose Körper aus der Haus der Familie Rajaram trugen. Der 45-jährige Vater - ein Finanzanalyst und Börsenspekulant - hatte seine Frau, die drei Söhne und die Schwiegermutter mit Kopfschüssen getötet, bevor er sich selbst richtete. Es war die Kurzschluss-Tat eines in Geldnot geratenen Mannes, die sich - so fürchten Psychologen - in ähnlicher Form schon bald überall in den USA wiederholen könnte. Dass der Verzweiflungsakt in Kalifornien stattfand, ist zwar reiner Zufall - doch er wirft ein bezeichnendes Licht auf die Stimmungslage in einem Bundesstaat, der sich wie keine andere Region der USA im Würgegriff der Finanz- und Börsenkrise befindet. Kalifornien kann man durchaus als Herz der amerikanischen Konjunktur bezeichnen: Schließlich werden hier, im "Golden State", jährlich 15 Prozent des Inlands-Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Doch der Zustand des mit 36,5 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesstaates der USA gleicht derzeit dem eines Patienten, der auf der Intensivstation in kritischem Zustand liegt. Seit Banken, Aktienkurse und das Vertrauen in die kapitalistische Marktwirtschaft im Land kollabiert sind, erfreut sich die Heimat von Hollywood und Disneyland eines zweifelhaften Rufes: "Vorreiter der Rezession" betitelte in dieser Woche das "Wall Street Journal" die Zustände an der Westküste - unter dem Eindruck eines dramatischen Appells von einem der populärsten Politiker in den USA. Denn Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat unmissverständlich erklärt: Spätestens Ende Oktober werde dem Staat das Geld, mit dem Gehälter sowie Betriebskosten für Schulen, Polizei und Altersheime bezahlt werden, ausgehen. Die Option, die in der Vergangenheit verfügbar war, gibt es derzeit für den "Gouvernator" nicht: Sich auf dem freien Kreditmarkt sieben Milliarden Dollar auszuleihen, die jene Finanzlücke füllen sollen, die gewöhnlich in den letzten drei Monaten des Jahres entsteht und dann durch Steuereinnahmen wieder ausgeglichen wird. Banken sind quer durch die USA in einen Darlehens-Streik getreten. Schwarzeneggers Haushaltschef Bill Lockyer rechnet damit, dass vermutlich die US-Notenbank mit einem Not-Kredit einspringen muss, um Kalifornien vor dem Bankrott - und den daraus resultierenden Service-Einschränkungen - zu bewahren. "Schon bald könnten uns und anderen Bundesstaaten die Mittel fehlen, um die Aufgaben der Verwaltung erfüllen", warnt der Ex-Hollywoodstar. Allein die Stadtväter von Los Angeles rechnen mit einem Defizit von 400 Millionen Dollar für dieses Jahr und bereiten Entlassungen vor. 14 weitere Staaten, darunter auch New York und Florida, melden bereits dramatische Einbrüche bei den Einnahmen durch Umsatz- oder Immobiliensteuern - vor allem, weil Verbraucher keine Kredite mehr erhalten, um sich Wünsche wie einen Neuwagen oder ein neues Haus zu erfüllen. Hinzu kommen noch die Ausfälle durch Einkommenssteuern jener, die als Folge der nun unvermeidbaren Firmen-Pleitewelle ihren Job verlieren werden. Doch nirgendwo ist die Krise so präsent wie im erdbebengefährdeten Kalifornien, das auch als Epizentrum jener Ereignisse gilt, die die Bankenkrise erst ins Rollen brachten. Denn kalifornische Hypothekenmakler befanden sich an vorderster Front, als es darum ging, jene "Subprime"-Darlehen einkommensschwachen Hauskäufern anzudrehen, die sich eigentlich gar kein Eigenheim leisten konnten. Doch nun ist die Spekulationsblase geplatzt, und Immobilien in den Großräumen San Francisco, Los Angeles und San Diego haben innerhalb von gerade einmal zwei Jahren rund 30 Prozent ihres Wertes verloren. Gleichzeitig stieg die Zahl der Zwangsversteigerungen rapide an, was den Preisverfall beschleunigte - und kalifornische Finanzierungsgiganten wie "New Century", "Countrywide" oder "Indy Mac" in den Ruin trieb. Doch die erste Welle der Rezession hat mittlerweile alle Branchen erfasst. Gut abzulesen ist dies an den Leerstandsraten von Gewerbe-Immobilien: In manchen Städten verdoppelte sich diese innerhalb weniger Monate auf nunmehr rund 20 Prozent. Selbst Kaffeehäuser wie "Starbucks" spüren die Panik der Verbraucher, die mittlerweile selbst am Pausengetränk sparen. Auf die Frage, wann es mit dem Patienten Kalifornien wieder aufwärts gehen wird, haben auch Experten keine klare Antwort. "Es wird", so fürchtet der US-Ökonom Stephen Levy, "eher noch schlechter als besser werden." Der Grund für seinen Pessimismus: Die große Welle der Arbeitsplatzverluste steht erst für 2009 bevor - als Folge der sinkenden Realeinkommen und daraus resultierenden Konjunkturschwäche.

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