"Der Geist von Kreuth lebt munter und vergnügt . . ."

Wildbad Kreuth. Joa mei, Karl-Theodor zu Guttenberg. Der smarte Verteidigungsminister kommt am späten Abend als Letzter zur 34. Klausurtagung der CSU-Landesgruppe nach Wildbad Kreuth. Es ist arg kühl, man möchte nicht freiwillig vor die Tür treten

Wildbad Kreuth. Joa mei, Karl-Theodor zu Guttenberg. Der smarte Verteidigungsminister kommt am späten Abend als Letzter zur 34. Klausurtagung der CSU-Landesgruppe nach Wildbad Kreuth. Es ist arg kühl, man möchte nicht freiwillig vor die Tür treten. Aber statt sich aus dem Auto zu seinen Parteifreunden in die warme Hanns-Seidel-Stiftung zu flüchten, stapft Guttenberg gelassen zu den wartenden Journalisten. Gewohnt abgeklärt, der Mann. Aber nur bis zur letzten Frage, die ihm in der Kälte gestellt wird.Denn bei der schlittert Guttenberg plötzlich übers verbale Glatteis. Parteichef Horst Seehofer habe ja das "Jahrzehnt der Erneuerung" ausgerufen. Was er, Guttenberg, denn darunter verstehe, will einer wissen. "Das höre ich jetzt zum ersten Mal", antwortet der Freiherr unverblümt. Den Fauxpas bemerkend, schiebt er "von Ihnen" hinterher. "Ist doch schön, dann erneuern wir mal", spottet er noch schnell und stapft davon. So viel zum neuen Projekt der CSU. Und zur derzeitigen Orientierung, die in der Partei (nicht) herrscht. Gemeint ist übrigens die Erneuerung Deutschlands, nicht die der CSU.Da klingt es, gelinde gesagt, merkwürdig, wenn Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich behauptet: "Wir strotzen vor Kraft. Der Geist von Kreuth lebt munter und vergnügt wie eh und je." Passt scho, quittiert man in Bayern eine solche Angeberei.Im holzvertäfelten Seminarraum 6, gleich neben dem "Bierstüberl", sitzen die 45 Abgeordneten der Landesgruppe aufgereiht wie die Buben und Madln in der Schule. Frontalunterricht mit der Parteispitze steht auf dem Stundenplan. Wie früher in den goldenen 70ern. Der Vorsitzende Horst Seehofer appelliert an das Selbstbewusstsein und den Stolz, es gebe keinen "Bedeutungsverlust" der CSU. "Maß und Mitte" könne er nur jedem in der Bundespolitik raten, mahnt Seehofer. "Eine typische Ansprache des Trainers in der Halbzeit", sagt danach ein Teilnehmer. "Von Krisenstimmung aber keine Spur", behauptet ein anderer. Jeder, der da unten im Kabuff hockt, müsste eigentlich wissen, dass die Realität eine andere ist. Als ob sie aber den Pferden auf der schneebedeckten Wiese vor dem Tagungsort die Scheuklappen geklaut haben, will keiner offen eingestehen, dass die Christsozialen in Wahrheit in einer deftigen Krise stecken. Von der absoluten Mehrheit in Bayern ist man weiter denn je entfernt, ängstlich wartet man auf eine neue Umfrage, die angeblich ein Ergebnis unter 40 Prozent voraussagen wird. Das Wirtschaftsimage der CSU ist durch das milliardenschwere Landesbank-Desaster dahin. Einstigen Granden wie dem Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber droht deshalb massiv Ungemach. Und die Basis mault über den sprunghaften Parteichef, der sich so gerne heute da und morgen dort positioniert - wie jetzt in der Frage von weiteren Steuerentlastungen, die er vor wenigen Monaten noch am liebsten fest terminiert hätte und nun unter Vorbehalt stellt. Schlimmer geht's eigentlich nimmer, wenn man den Zustand einer Partei beschreiben soll. Was tun? In 34 Jahren Kreuth hat man vermutlich nur einmal intern schonungslos Tacheles geredet, prompt wurde 2007 Stoiber gestürzt. Die Partei braucht Hilfe, dringend. Und ein bisschen Therapie gönnt man sich dann doch, ausgerechnet durch die CDU, die früher vom Tegernsee aus ein beliebter Sparingspartner der Bajuwaren war. Verkehrte Welt. Jürgen Rüttgers ist eingeladen, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident. Er referiert am Morgen über die Zukunft der Volkspartei. Irgendetwas werden sie sich dabei gedacht haben, sagt Rüttgers. Bei der CSU, und dann noch in Kreuth! Zu Zeiten von Strauß und Stoiber hätte es niemand gewagt, die Frage danach überhaupt zu stellen. Volkspartei war die CSU früher wie von Gott gegeben, heute ist sie vor allem eines: den eigenen, politischen Sinn suchend.

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